Expedkader Frauen auf Abschlussexpedition

Aufbruch ins Ungewisse

Vom 11. Juli bis Mitte August ist das Frauenteam des DAV-Expedkaders auf seiner Abschlussexpedition: Im Kangertitivasiaq Fjord an der Ostküste Grönlands hoffen sie auf Neuland im steilen Granit und im alpinen Gelände.

„Ich freue mich sehr darauf, weit weg zu sein, mit einem coolen Team eine komplett neue Umgebung zu erkunden und zu versuchen, unbegangene Linien im Fels zu finden“, sagt Amelie Kühne – und Rosa Windelband ergänzt: „Ich freue mich drauf, mal vier Wochen komplett abgeschieden zu sein und draußen mit der Natur zu leben, ohne den ganzen Luxus und Überfluss, den man in Deutschland hat.“ Expedition heißt eigentlich „Erkundung“ – und entsprechend sind die Erwartungen der Mädels vom DAV-Expedkader an die Abschlussfahrt nach ihrer (durch Corona verlängerten) vierjährigen Kaderzeit.

Das Team hatte seit 2020 Zeit, sich bei den verschiedensten Lehrgängen auf die große Expedition vorzubereiten. Hier am Riffelkopf im Zugspitzgebiet, auch auf der Erschließung von Neuland. Foto: DAV-Expedkader/Dörte Pietron

Neben Amelie (Sektion Heilbronn) und Rosa (Sektion SBB) gehören zum Team Janina Reichstein (Sektion Erlangen), Caro Neukam (Sektion München & Oberland), Luisa Deubzer (Sektion München & Oberland) und Lea Luithle (Sektion Ludwigsburg) – neben der Trainerin Dörte Pietron ergänzt Laura Tiefenthaler das Team als Ärztin und „Geheimwaffe“; sie gehörte zum Frauenkader 2019. Und wie es sich für eine Expedition gehört, hat diese Fahrt einen sehr explorativen Charakter: Zwar waren schon etliche Teams im „Mythic Cirque“ unterwegs, jedoch ist das Tal auf der gegenüberliegenden Fjordseite noch größtenteils unerkundet. Nur ein Team – Nico Favresse, Sean Villanueva, Aleksej Jaruta und Jean-Louis Wertz – war bisher dort und konnte zwei Routen eröffnen. Das Tal scheint eine vielversprechende Auswahl steiler Felswände zu bieten. „Ich hab Lust auf einen Bigwall, steil und schwer, mit Portaledge-Biwaks, am coolsten so, dass Freiklettern grade noch möglich ist; und ich hoffe auf guten Fels ohne lose Schuppen“, umreißt Janina Reichenstein ihre Erwartungen.

Das gut eingespielte Team, hier beim Lawinenlehrgang 2022: Luisa Deubzer, Amelie Kühne, Caro Neukam, Janina Reichstein, Rosa Windelband und Lea Luithle (v.l.n.r.). Foto: Florian Hellberg

Expeditionsziel Nachhaltigkeit

Anspruchsvolles Neuland erkunden konnten die jungen Frauen schon in der Vorbereitungszeit. „Nachhaltigkeit“ und „klimabewusste Anreise“ sind die Schlagwörter, die  dem Team besonders wichtig waren in der Planungsphase – nach dem Vorbild anderer Expeditionen, die auf Grönland unterwegs waren. Deswegen und auch wegen der relativ kurzen Entfernung haben sie sich für Grönland entschieden: Es liegt ca. 3400 km entfernt, Pakistan dagegen doppelt so weit. Nico Favresse und seine Freunde sind schon seit Jahren mit Segelbooten zu Zielen im Polarmeer unterwegs, Silvan Schüpbachs Team erreichte den „Mythic Cirque“ sogar im Seekajak, auch Caro North aus dem DAV-Expedkader 2013 segelte im vergangenen Jahr nach Grönland – hatte nach langer Anreise dann allerdings nur noch drei Schönwettertage für ihre Erstbegehung…

Schmelzendes Eis vor Grönland. Foto: Thomas März/www.bergundbild.de

Wieviel Treibhausgas-Emissionen lassen sich durch Fähre und Segelboot sparen gegenüber der Flug-Anreise? Wie bringt man acht Frauen mit Expeditionsgepäck und Verpflegung per Segelboot in einen grönländischen Fjord, zu einem Preis, der in vernünftiger Relation zur CO2-Einsparung steht? Und wie sieht dabei die Zeiteffizienz aus – „wir sind schließlich zum Klettern unterwegs, nicht zum Segeln“, sagt Dörte Pietron augenzwinkernd. Diese Fragen bewegten – neben der gesamten sonstigen Logistik – das ganze Team in der Vorbereitungsphase; Janina Reichenstein bemühte sich speziell um die Emissionsberechnungen, Rosa Windelband um die Segel-Optionen.
„Es war unheimlich komplex, halbwegs verlässliche Emissions-Zahlen zu bekommen“, berichtet Janina – schließlich klingt es etwas nach Apfel-Birnen-Vergleich, ob eine schwerölbetriebene Fähre den „böseren“ CO2-Abdruck hinterlässt oder ein hocheffizientes Düsenflugzeug, das aber seine Abgase in die hohe Atmosphäre impft. „Das Segelboot wäre deutlich nachhaltiger“, resümiert Janina; aber es hat andere Schwierigkeiten. Generell einmal kann man in einen Fjord erst segeln, wenn das Meereis zu ausreichend breiten Kanälen aufgebrochen ist; nach einer kalten Saison kann das so spät der Fall sein, dass dann das Wetter sommerlich instabiler wird oder Gletscher schwieriger zu begehen sind. Mit einem Motorboot dagegen kann man auch schmalere Eislücken befahren und früher vor Ort sein. Segeln ist natürlich ein emotionales Erlebnis, wie Rosa formuliert: „Durch das langsame Reisen per Segelboot kann man spüren, wie weit man weg ist, statt einfach in ein Flugzeug zu steigen und kurz drauf tausende Kilometer weit weg auszusteigen.“ Deswegen schrieb sie eine Menge Skipper an, die im Eismeer segeln, und lotete monatelang die Optionen aus. Eine Lösung war schon in Sicht, das achtköpfige Team samt Gepäck auf einem Boot zu transportieren, und sie waren kurz davor, den Vertrag zu unterschreiben. Doch letztlich scheiterte es dann an der Zusammenarbeit mit dem Skipper. „Wir waren eine zu große Gruppe“, sagt Janina, „mit weniger Personen hätten wir viele Segeloptionen gehabt“. So entschied sich das Team letztlich doch schweren Herzens für den Flug von München über Island nach Grönland und den Motorboot-Transport vor Ort. Natürlich werden die realen Emissionen (sie liegen fürs ganze Team bei ca. 13 Tonnen CO2) zumindest kompensiert werden. „Ich bin schon ein bisschen enttäuscht, weil ich so viel Energie in das Projekt gesteckt habe – und es sich ja auch fast ausgegangen wäre“, sagt Rosa, „aber ich freue mich trotzdem sehr auf die Expedition, und das mit dem Segeln klappt schon noch irgendwann!“ Auch Janina sagt zum Ziel des nachhaltigen Reisens: „Es war gut, dass wir es versucht haben – ich würde es wieder probieren.“

Ins Land der Eisbären

Dieses Bild brachte der Männerkader letztes Jahr von der Abschlussexpedition mit, ebenfalls aus Grönland, aber aus einer anderen Region. Wir sind schon gespannt, welche Eindrücke die Frauen dieses Mal mitbringen. Foto: Thomas März/www.bergundbild.de

Nun wird das Team also nach Kulusuk fliegen, einem 200-Seelen-Dorf an Grönlands Ostküste. Dort wird der Südtiroler Bergführer Robert Peroni sie abholen, wenn es das Eis erlaubt, und per Boot nach Tasiilaq (Ammassalik) schippern, einem 2000-Einwohner-Ort, wo der Großteil des Proviants eingekauft werden soll. Peroni ist Grönland-Experte, bekannt durch eine große Durchquerung in den 1980er Jahren, und arbeitet vor Ort als Agent und Organisator. Er wird die Frauen auch mit einem Gewehr ausstatten und ein Schießtraining mit ihnen durchführen. Zwar gab es in der Region in den letzten 25 Jahren nur zwei Begegnungen von Menschen mit Eisbären, und normalerweise verziehen sich die Großtiere, wenn man einen Warnschuss in die Luft feuert. Dennoch sagt Dörte Pietron nur halb im Scherz: „Ich hab am meisten Angst vor den Eisbären, die sind die größte Unbekannte; im Fels weiß man besser, was zu tun ist.“ Das wissen auch die Mädels aus dem Team nach ihrer fast vierjährigen Trainingszeit im Kader. „So ganz auf alles kann man nicht vorbereitet sein“, warnt zwar Amelie Kühne, „aber durch die vielseitigen Lehrgänge sind wir auf jeden Fall auf das meiste vorbereitet – und das andere lassen wir einfach auf uns zukommen und werden das Beste draus machen.“ Die acht Frauen haben Material für vier Seilschaften im Fluggepäck dabei, inklusive Portaledge, Bohrmaschine und Solar-Ladegerät, werden sich aber je nach Möglichkeiten vor Ort vielleicht auch zu größeren Gruppen zusammentun. Das Ziel sind frei kletterbare Linien, so dass Bohrhaken höchstens zum Überwinden kompakter Platten zwischen zwei Riss-Systemen nötig sein sollten; und für Abseilstände: „Ein Bohrhaken am Stand schadet dem Fels weniger als ein Schlaghaken und ist für Nachfolgende besser zu beurteilen“, merkt Dörte an.

Topfit für Granit

Nochmal aktuell auf Granit eingestellt hat sich das Team bei einem letzten Lehrgang Mitte Juni in der Schweiz: Vier Mädels genossen zuerst etwas Hochtourenfeeling am Mönchsnollen und schlossen sich dann den anderen an, die an der Teufelstalwand in der Schöllenschlucht über der Gotthardstraße Risse aller Breite bekletterten, dabei fleißig Cams legten „und auch mal reinsprangen“ (Janina). Bei dem Treffen wurde nochmal die Ausrüstung exakt geplant und so aufgeteilt, dass sie mit dem Fluggepäck mitkann. Auch das Essen war Thema; Lea Luithle hatte dazu fleißig recherchiert. Nun wurden Kalorientabellen gewälzt und überlegt, wie mit den auf Grönland erhältlichen Nahrungsmitteln eine attraktive, nahrhafte und obendrein weitgehend vegetarische Verpflegung sichergestellt werden kann. Luxuriös wird die Küche im Fjord nicht werden – aber andere Teams konnten den Speiseplan immerhin mit frisch gefangenem Fisch aufpeppen…
Eine weitere Ungewissheit bleibt: Der Winter in Grönland war heuer lang, die Eisdecke war drei Wochen vor der geplanten Abreise noch sehr dick und die Mädels mussten darauf hoffen, dass es rechtzeitig aufbrechen würde, damit sie mit dem Motorboot bis ganz in den hinteren Teil des Fjords fahren können. „Wenn der Gletscher kalbt, geht das nicht“, warnt Dörte; immerhin haben die Vorgänger im „Mythic Cirque“ im vorderen Teil des Fjords schon noch etwas Neuland übriggelassen… Doch alle im Team sind sich angesichts sämtlicher Ungewissheiten einig in dem, was Lea Luithle so ausdrückt: „Ich bin froh, dass wir so ein cooles Team haben, das auch jetzt in der stressigen Phase funktioniert; alle können an einem Strang ziehen, wenn’s das braucht. Deshalb mache ich mir keine Sorgen, wenn Schwierigkeiten auf uns zukommen, werden wir das als Gruppe gut meistern.“

Und die Jungs?

Als – etwas größere – Gruppe hat auch das Männerteam des Expedkaders sein erstes Trainingslager in der Pfalz gut hinter sich gebracht. „Inhaltlich ging's um Tradklettern, Bergrettung und erste Hilfe und natürlich so viel und hart klettern wie möglich. Das hat richtig gut funktioniert. Klassiker am Fließband und schwere Routen bis 8b!“, berichtet der Trainer Christoph Gotschke. Nun „dürfen“ die zwölf Jungs, die im Sichtungscamp im März ausgewählt wurden, ihre Trainings- und Touren-„Hausaufgaben“ abarbeiten: Bergrettungstechniken einschleifen und passende Vorbereitungstouren machen für die nächsten Sommercamps in Chamonix und den Dolomiten. Und Christoph ist weiterhin vom neuen Konzept überzeugt: „ Man merkt deutlich, dass sich alle von ihrer besten Seite zeigen wollen: sportlich, aber auch im Gruppenalltag und Miteinander“.

Wir wünschen den Jungs einen guten Sommer – und den Mädels eine spannende Expeditionszeit und gesunde Rückkehr als das gute Team, das sie jetzt schon sind.

Der DAV-Expedkader wird unterstützt von Mountain Equipment, Edelrid und Katadyn. Herzlichen Dank für die langjährigen Partnerschaften!

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