Ende Juni 2025 geht es los. Das insgesamt zehnköpfige Expeditionsteam, darunter vier Teilnehmer*innen mit Einschränkungen und die Leiter*innen Christiane Werchau und Sascha Mache, steigt in Frankfurt in den Flieger nach Lima. Von der Bergsteigerstadt Huaraz (3052 m) geht es nach der Akklimatisation auf eine viertägige Trekkingtour durch die mittlere Cordillera Blanca in das Quilcayhuanca-Tal, mit Startpunkt auf 3850 Metern. Danach folgt eine noch strammere fünftägige Trekkingtour in das Santa-Cruz-Tal in der nördlichen Cordillera Blanca, mit 67 Kilometern Länge. Der höchste Punkt ist der Bergpass Punta Union mit 4760 Metern. Als Gipfeloption steht der Cerro Sentilo mit 5150 Metern auf der Wunschliste.

Wie kamst Du zum Bergsport, Susanne?

Ich bin in Berchtesgaden geboren und gehe seit meinem vierten Lebensjahr in die Berge. Vom Wandern bin ich übers Bergsteigen zum Skilanglauf, Skifahren und schließlich zum Klettern gekommen. Im Jahr 1993 hatte ich einen schweren Kletterunfall und brach mir den ersten Lendenwirbel. Ich hatte Glück, knapp am Rollstuhl vorbei geschrammt zu sein. Viele Jahre bin ich dann weiter geklettert, habe über die Sektion Augsburg 1997 meinen Fachübungsleiter Skilanglauf gemacht und dann 2001 den Fachübungsleiter Bergsteigen, mit Grund- und Aufbaulehrgang, draufgesetzt.

… eine klassische Alpenvereinskarriere könnte man sagen.

Ja, aber leider konnte ich dann nicht mehr als Fachübungsleiterin tätig sein. Im Jahr 2003 erhielt ich die Diagnose Multiple Sklerose. Das fing mit ganz heftigen Schüben an. Mit meinem rechten Bein konnte ich gar nicht mehr laufen. Von einem Moment auf den anderen änderte sich das Leben. Ich musste meine Stelle als Personalleiterin aufgeben, dabei stand ich kurz vor der Verbeamtung auf Lebenszeit. Das Gesundheitsamt stellte meine Dienstfähigkeit bis zur Rente in Frage. Man wurde zur damaligen Zeit ziemlich schnell abgeschrieben und es gab kaum medikamentöse Basis-Versorgung, nur Akut-Behandlungen gegen die Schübe mit viel Kortison.

Das muss ein großer Schock gewesen sein.

Es war sehr schwer, das Ganze zu verkraften. Als ich im Krankenhaus lag, bekam ich dann absurderweise vom Alpenverein eine Einladung für Fachübungsleiter zu einer Reise nach Nepal geschickt. Höhentrekking - das war eigentlich immer mein Lebenstraum. Und nun lag ich da und konnte kaum gehen. Aber ich begann zu kämpfen. Anfangs konnte ich mich nur hundert Meter von Parkbank zu Parkbank schleppen. Und jetzt scheint sich mein Lebenstraum doch noch zu erfüllen.

In Peru soll sogar ein 5000er bestiegen werden?

Der 5000er wäre eigentlich nur das i-Tüpfelchen, wenn wirklich alle aus der Gruppe fit sind. Allein über 4000 Meter zu kommen und diese gewaltigen Giganten zu sehen, das war schon immer mein Traum. Auch als Fachübungsleiterin war ich nie höher als 3700 Meter. Aufgrund der verschiedenen Behinderungsbilder in der Gruppe werden wir nicht über einen Gletscher gehen und auch nicht in zu anspruchsvollem Gelände unterwegs sein. Das Höhentrekking ist für unsere Gruppe ideal.

Wie wurdest Du auf das Projekt aufmerksam?

Ich war 2017/2018 bei dem Leuchtturmprojekt vom Alpenverein dabei, der inklusiven Alpenüberquerung, die ebenfalls von Sascha Mache und Christiane Werchau geleitet wurde. Unterwegs begann unsere Träumerei von noch größeren Höhen. Und dann wurde diese Idee immer konkreter. Ich bin sehr dankbar, dass ich nun ein zweites Mal an einem inklusiven Projekt des DAV teilnehmen darf.

Warst Du schon einmal so weit weg?

Nein, das ist das allererste Mal, dass ich einen Langstreckenflug mache – mit fast 59. An meinem Geburtstag werde ich, sofern alles nach Plan läuft, im Flieger zurück nach Deutschland sitzen.

Ihr habt in den letzten Monaten mit der Gruppe an mehreren Wochenenden spezielle Trainings durchlaufen. Hast Du Dich darüber hinaus auch selbst vorbereitet?

Ja, ich habe mich sehr akribisch vorbereitet, weil ich die Trainingslehre bei der Ausbildung zum Fachübungsleiter Bergsteigen sozusagen inhaliert habe und eigentlich schon immer Ausdauersport, Skilanglauf und Langstreckenlauf gemacht habe. Besonders vor meiner Erkrankung. Und die große Herausforderung mit MS ist, die Geh- oder Laufstrecken immer weiter zu verlängern. Ich habe bei mir in der Nähe im Westerwald einen Verein gefunden, der jedes Jahr ein Laufanfängertraining anbietet. Und obwohl ich schon seit vierzig Jahren laufe, fange ich da jedes Jahr wieder von vorne an. Mein erstes Ziel war immer, die fünf Kilometer zu erreichen. Und als ich jetzt im Frühjahr wieder eingestiegen bin, konnte ich das zweite Ziel angehen: den ersten Zehner!

Wie setzt sich Euer Expeditionsteam zusammen?

Wir sind acht Teilnehmer, davon leben vier mit Einschränkungen. Die Leute kommen aus dem Alpenvorland, dem Flachland, von der Küste, aus Ost und West. Die jüngsten sind so Mitte vierzig, die meisten eher Mitt- oder Endfünfziger. Neben dem Leitungsteam wurden jeweils passende Zweierteams gebildet, die dann zusammen unterwegs sind, sich unterstützen und in einem Zelt schlafen. Ich bilde mit einem gesunden Teilnehmer ein Zweierteam. Wenn ich abends K.O. bin, kann und muss ich vielleicht Hilfe annehmen, z.B. wenn ich nach einer langen anstrengenden Tagesetappe nicht mehr die Kraft für den Zeltaufbau habe, wird mir sicherlich geholfen.

Das klingt sehr durchdacht.

Ja, die gegenseitige Unterstützung und das Teamwork sind sehr wichtig. Ich denke aber, die Unterschiede zwischen gesunden und chronisch kranken Teilnehmern relativieren sich immer mehr im Alter. Mit 37 waren sie noch größer. Da können gesunde Gleichaltrige in der Regel viel mehr als jemand mit einer chronischen Krankheit. Im Alter kommen aber auch bei den Gesunden viele Zipperlein hinzu. Da tun dann die Knie oder die Hüfte weh, die Augen oder die Bronchien lassen nach. Da kann man vielleicht sogar mit MS manches besser, weil sich die jahrelange Erfahrung auszahlt und man gar nicht schneller laufen kann. Langsame Aufstiege sind ja gerade in großer Höhe für die Höhenanpassung und Akklimatisation sinnvoll.

Wie ist die Stimmung jetzt gerade in der Gruppe, so kurz vor dem Start?

Das Wichtigste ist für viele, fit und gesund zu bleiben. Also ich denke jeden Tag beim Joggen, wenn es kühl ist, unterwegs in der Bahn oder in der Arbeit, wo die Klimaanlage läuft: „Jetzt bloß keine Erkältung bekommen!“

Ihr seid drei Wochen in abgelegenen und unwirtlichen Landschaften unterwegs. Das wird schon hart werden, oder?

Nun, wie auch Christiane immer sagt: „Man muss raus aus der Komfortzone.“ Also ich glaube, die ganz tollen Momente erlebt man nur, wenn man eine gewisse Resilienz und Leidensfähigkeit mitbringt. Die erlebt man nicht im Luxushotel mit Wellnessbereich. Klar, man muss wissen, worauf man sich einlässt. Aber je mehr man diese Komfortzone verlässt, umso schöner wird dann das Erlebnis.

Woraus ziehst Du diese Stärke?

Die Stärke ziehe ich zuallererst aus meiner Liebe zu Bergen. Das war mein Motto für die Alpenüberquerung (Susanne hält eine Zitate-Postkarte hoch): „Unmöglich, sagte die Tatsache. Versuche es, flüsterte der Traum.“ So sind wir an die Sache herangegangen. Und schließlich haben wir es alle geschafft.

Das war sicherlich ein sehr emotionaler Moment…

Ja, alle waren den Tränen nah, auch Sascha. Die Verantwortung, mit der sich die Führer auf ein solches Abenteuer einlassen, ist ja besonders hoch. Sie wissen vorher nie genau über die Teilnehmer Bescheid. Und bei inklusiven Touren ist man mit vielen Erkrankten unterwegs, die noch Zusatzprobleme mitbringen. Und das in sehr abgelegenem Gelände.

Macht Dir auch etwas Bauchschmerzen?

Großen Respekt habe ich vor der Höhe und vor der Sonne. Man muss damit rechnen, dass fünfzig Prozent der Leute höhenkrank werden können. Auch was die hygienischen Verhältnisse angeht habe ich etwas Bedenken. Ich möchte mir nicht Magen-Darm einfangen und dadurch zusätzlich geschwächt werden. Aber insgesamt bin ich optimistisch, dass alles gut wird. Und ich habe volles Vertrauen zu unserem Leitungsteam. Sie sind gut ausgebildet und wissen, was Bergsteigen mit Menschen mit Behinderung bedeutet.

Das ist sicherlich auch heute noch keine Selbstverständlichkeit.

Solche Projekte zeigen, wie weit wir im Alpenverein gekommen sind. Früher gab es nur inklusives Klettern in Kletterhallen. Das hat mich immer gestört, dass es dann hieß: „Da habt ihr doch was für die Behinderten.“ Sobald man den Wunsch hatte, etwas Outdoor zu unternehmen, haben sich die Wenigsten drauf eingelassen. Auch, weil manche Teilnehmer von Gruppentouren stark erfolgsgetrieben sind. Man will unbedingt den Gipfel erreichen, und jemand, der anders unterwegs ist, wird dann als Störfaktor gesehen.
Dankbar bin ich auch, dass Stefan Winter mit seinem Team vom Ressort Sportentwicklung des DAV und der Sportartikelhersteller VAUDE, der unser Team mit aufblasbaren Isomatten, warmen Daunenschlafsäcken und Bergbekleidung für den peruanischen Winter versorgt hat, diese Tour überhaupt erst möglich gemacht haben.

Was steht noch an, bis es losgeht?

Ich bin mitten in der Vorbereitung. Das Packen ist ganz schön schwierig. Wie soll das ganze Gepäck für drei Wochen in einen Tagesrucksack und eine Packtasche? Was muss wohin gepackt werden? Was darf ich nicht vergessen? Die Powerbank, die Medikamente, wohin kommen die Flüssigkeiten? Ich hoffe, dass alles gut geht mit dem Gepäck. Und dann der Abschied von meinem Mann und meiner neunzigjährigen Mutter. Solange war ich noch nie getrennt von meinem Mann unterwegs. Ich bin sehr dankbar, dass beide meine Abenteuerlust akzeptieren, mir vertrauen und mich für eine Zeit loslassen können.
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