Zwei Personen steigen Bergsteig hinauf
Nur wenige Höhenmeter von der Bergstation der Seilbahn entfernt geht es beim Aufstieg zur Kanzelwand (2059 m) schon ruhiger zu. Foto: DAV/Julia Behl
Wandern mit der Sektion Köln

Von leise nach laut

Über den Pass in eine andere Welt – so in etwa kann man das Gefühl beim Übergang vom Großen Walsertal ins Kleinwalsertal kurz und knapp umschreiben. Und so lassen wir nach der Hälfte unserer Tour die Ruhe und die einsamen Landschaften mit traditionellen Bauernhöfen im Großen Walsertal zurück, um in den Trubel des nicht minder schönen Kleinwalsertals einzutauchen. Nach kurzer Eingewöhnungsphase lassen wir uns hier aber bereitwillig von Ausblicken auf Hohen Ifen und Gottesacker, einem Bad im kühlen Bergsee und einigem mehr ablenken.

Aber zurück zum Anfang, zurück in die Stille. Es ist ein sonniger Samstagnachmittag im August, wir treffen uns im Café Jäger in Buchboden, unserer Unterkunft für die nächsten Nächte. Wir, das sind unsere beiden ehrenamtlichen Wanderleiterinnen Ulrike und Ute, elf Mitglieder der Sektion Rheinland-Köln und ich, die die Tour für die Panoramaredaktion begleiten darf. Im hintersten Teil des Großen Walsertal gelegen kommt man in Buchboden und speziell in unserer charmanten Pension schnell runter von der Hektik des Alltags. Nicht umsonst steht der Aufenthalt in dem Vorarlberger Bergsteigerdorf unter dem Motto „Urlaub im Einklang mit der Natur“. Vogelzwitschern und das Plätschern der Lutz ein paar Meter tiefer sind für gewöhnlich die einzigen Geräusche hier im Talschluss.

Gemeinsam lachen, gemeinsam leiden

Nicht so heute, gilt es doch, sich kennenzulernen und sich einzustimmen auf eine Woche gemeinsam wandern, gemeinsam lachen und vielleicht auch mal gemeinsam leiden – ob beim gar so steilen Abstieg vom Fürggele oder der etwas unruhigen Nacht im Matratzenlager. Am ersten Abend wird uns das Konzept der folgenden Wanderwoche erklärt. Die Tour hat nämlich – wenn man so will – zwei Eigenheiten. Einmal ist es eine gemeinsame Unternehmung von Wander- und Tourengruppe der Sektion. Das heißt, Ulrikes und Utes Touren werden sich jeden Tag leicht unterscheiden, insbesondere was Länge und Höhenmeter angeht, oft aber auch, was die Schwierigkeiten der Strecke betrifft. Für uns Teilnehmende heißt das: sich täglich neu zu entscheiden. Wie fit fühle ich mich? Will ich den Gipfel erklimmen oder mir extra viel Zeit nehmen für die Pause auf der Alm, für die Blütenpracht am Wegesrand, für einen Sprung in den Bergsee? Aber auch wenn man sich – wie ich – meist für den Gipfel entscheidet, kommen Genuss und Planschpausen nicht zu kurz. Die zweite Besonderheit ist die Aufteilung der Woche in zwei Abschnitte. Wir starten mit erholsamen Nächten in der Pension und Tageswanderungen von Buchboden aus, bevor es auf die Streckenwanderung Richtung Kleinwalsertal geht. Drei Tage, sich an die Luft zu gewöhnen – allein unsere Unterkunft liegt immerhin über achthundert Meter höher als Köln mit seinen 53 Metern über Null – und sich langsam an das Gewicht des komplett gefüllten Rucksacks heranzutasten. Anstrengend wird’s mit rund zwanzig Kilometern Strecke und fast 800 Höhenmetern trotzdem direkt am ersten Tag. Während Ute mit ihrer Gruppe die traumhaft gelegenen Almen abwandert, erklimmen wir gemeinsam mit Ulrike unseren ersten Gipfel. Der Aufstieg auf den 1930 Meter hohen Glattmar ist steil, schon ein bisschen Feuchtigkeit macht insbesondere den Abstieg zur Rutschpartie – die Ausblicke aufs Lechquellengebirge im Süden und unser morgiges Ziel, das Wandergebiet rund um Damüls im Norden, entlohnen für die Anstrengung. Eine Einkehr haben wir uns trotzdem verdient – an der Alpe Steris, der größten und bereits 1356 urkundlich erwähnten Walseralpe, treffen wir auf Ute und die anderen, die uns mit leuchtenden Augen von den kulinarischen Köstlichkeiten berichten.

Die Alpe Steris ist die größte und bereits 1356 urkundlich erwähnte Walseralpe. Wir sind nicht nur optisch, sondern auch kulinarisch überzeugt. Foto: DAV/Julia Behl

Den grandiosen Kuchen mit frisch gepflückten Heidelbeeren aus dem Hüttenumfeld lassen wir uns direkt vor Ort schmecken, ein Stück Bergkäse nehmen wir uns für die Brotzeit am nächsten Tag mit. Er wird uns auf der Damülser Mittagsspitze gemeinsam mit den in arnika-gelb und vielen weiteren Farben blühenden Bergwiesen darüber hinweghelfen, dass der versprochene Bodenseeblick von tiefhängenden Wolken getrübt wird.

Du möchtest auch in den Genuss einer Sektionstour kommen, bist aber noch kein Mitglied im DAV? In unserer Sektionensuche findest du die passende Sektion in deiner Nähe!

Steil hinauf zur Biberacher Hütte

Die Tour führt uns von der Mittagsspitze über Hohes Licht, Hochblanken und Ragazzer Blanken direkt hinein in einen Viehtrieb. Den Wunsch des Hirten, ihm ein ausgebüchstes Kalb zurück zur Herde zu treiben, können wir jedoch nicht erfüllen – das Tier erweckt regelrecht den Eindruck, als würde es unsere Ahnungslosigkeit wittern... Abends in der Unterkunft werden die Erlebnisse dann besprochen – und es ist Raum für Sorgen und Nöte, denn: Morgen wird es ernst. Es geht ins Kleinwalsertal, nun wird sich zeigen, ob das, was beim Packen zuhause klug erschien, sich auch in der Realität bewährt. Knapp tausend einigermaßen steile Höhenmeter sind es hinauf zur Biberacher Hütte auf 1846 Metern. Dazu kommt laut Wetterbericht ein strahlend blauer Himmel und mit ihm die Angst vor Sonnenbränden, Durststrecken, Hitzeerschöpfung. Den wetterbedingten Sorgen steuern wir durch einen frühen Aufbruch am nächsten Morgen entgegen, am Respekt einiger vor der ersten Nacht im Hüttenlager ändert dies jedoch nichts.

Auf dem Weg zur Biberacher Hütte hat man das Große Walsertal im Rücken. Foto: DAV/Julia Behl

Es geht erstmal schattig los, am Bächlein Lutz entlang in den Talschluss. Hier wartet der schweißtreibende Teil auf uns. In steilen Serpentinen geht es hinauf, anfangs noch durch den Wald, der sich bald lichtet und die Sonne vom – wie prophezeit – wolkenlosen Himmel auf uns herunterbrennen lässt. Umso entzückter sind wir beim Anblick der Alpe Ischgarnei, die mit schattigen Plätzchen und kühlen Getränken lockt. Nun ist es nicht mehr weit. Ein letzter Anstieg und schon flanieren wir gemütlich durch in allen Farben blühende Wiesen auf die Biberacher Hütte zu. Ein sich auf einem Felsen sonnendes Murmeltier verzögert die Ankunft noch kurz, doch dann werden wir von der restlichen Gruppe, eiskaltem Brunnenwasser und einem feinen Kuchen- und Kaiserschmarrn-Angebot willkommen geheißen. Die Zeit bis zum Abendessen vertreiben wir uns mit der Planung des folgenden Tages – denn wo Hitze ist, sollte man das Gewitterrisiko gut im Blick haben. Und so entschließt sich Utes Gruppe, über die Forststraße ins Tal abzusteigen und einen Teil der Strecke mit dem Bus zu überbrücken. Ulrike hingegen will früh aufbrechen und den Weg über das 2145 Meter hohe Fürggele in Angriff nehmen.

Hallo, du kleines Walsertal, griasdi

Beim Aufstieg zum Fürggele; der Platzregen wird uns erst später erwischen. Foto: DAV/Julia Behl

Eine gute Entscheidung, beginnt der Platzregen doch erst, als wir den etwas kniffligen Abstieg über die Scharte längst hinter uns haben. Völlig durchnässt kommen wir am Berghotel Körbersee an, wo pünktlich nach der heißen Dusche die Sonne wieder rauskommt und uns zu einem kleinen Barfuß-Spaziergang – die Schuhe wollen schließlich bis morgen trocknen – zum gleichnamigen See lockt. Der Weg ins Kleinwalsertal am nächsten Tag ist weit. Über zwanzig Kilometer laufen wir erst durch das wunderschöne Pflanzenschutzgebiet Körbersee, dann rund um den Großen Widderstein vorbei an Kühen, die sich angesichts des erneut strömenden Regens Sorgen um unseren Geisteszustand zu machen scheinen, rüber zum Mahdtalhaus, einer Selbstversorgerhütte, die von der Sektion Stuttgart betrieben wird. In der rustikalen Bärgunthütte kehren wir bei ebenso rustikaler Bewirtung auf eine Suppe ein, bevor der Endspurt naht. Höhenmeter haben wir kaum noch vor uns, dafür fünfzehn Kilometer Panoramaweg. So schön er ist, als wir gerade pünktlich zum Abendessen unsere Unterkunft erreichen, brennen die Füße – und der Magen knurrt. Wie praktisch, dass das Team um Hüttenwirt Thomas Gäste auf Anfrage auch bekocht – Nachschlag für hungrige Wandermägen inklusive. Am letzten Tag, auf dem Weg zum Naturfreundehaus Freibergsee, wird auch die Frage beantwortet, die uns schon seit Beginn der Tour beschäftigt: Wäre die Wanderung nicht andersrum schöner gewesen, also von laut nach leise, vom touristisch-trubeligen Kleinwalsertal hin zum Biosphärenpark und Bergsteigerdorf Großes Walsertal?

Auf der Kanzelwand: Hier wartet die vielleicht schönste Aussicht der Tour. Foto: DAV/Julia Behl

Als wir mit der Kanzelwandbahn hinauf und hinein in die Menschenmassen fahren, die wie wir auf dem grandiosen Kammweg von Kanzelwand über Fellhorn zum Söllereck die Ausblicke auf Hohen Ifen und Gottesacker auf der einen und Allgäuer Hochalpen auf der anderen Seite genießen wollen, sind wir dankbar für die kluge Tourenplanung unserer Wanderleiterinnen. In der absoluten Ruhe im Großen Walsertal zu starten, lässt Alltag und Stress schnell in den Hintergrund treten. Sich langsam wieder auf das „normale“ Leben, auf Lärm und Hektik der Zivilisation vorbereiten zu können, macht das Ende der Auszeit erträglicher …

Das „kölsche“ Resümee der Woche und unserer Erlebnisse: „Is dat jeck!“

Und dieses Ende rückt nun mit jedem Schritt näher. Eine letzte Almeinkehr bei selbstgemachtem Kuchen, ein paar letzte Höhenmeter hinab und kurz vor dem Ziel ein letzter Abstecher zum Freibergsee. Das kühle Wasser ist nicht nur für die schmerzenden Füße eine Wohltat. Den letzten Abend im Naturfreundehaus nutzen wir, um Resümee zu ziehen. Landschaft, Flora, Fauna, Miteinander, kulinarische Köstlichkeiten: Einen Ausdruck, der die Woche und die Erlebnisse aller wohl am besten – und am „kölschsten“ – auf den Punkt bringt, höre ich auf meiner Wanderung mit der rheinländischen Sektion nicht nur einmal: „Is dat jeck!“ Diese Einigkeit im Erleben der gemeinsamen Zeit macht auch deutlich, was wir alle schon längst gefühlt haben: Schon in den wenigen Tagen am Berg sind wir zu einer echten Gemeinschaft zusammengewachsen.