Wir suchen also nach den bestmöglichen Rahmenbedingungen für unsere Viertagestour mit vier Kindern: epische Trails, bestenfalls mit ein paar Sprüngen, mal technisch, mal geschmeidig und mit einem Bikepark mit Flowtrails. Zudem soll der eine oder andere Transfer lieber mit Bus und Bahn abgekürzt werden können, damit die Motivation hoch bleibt und die Energie für die Trails aufgehoben wird. Schnell ist klar: Der perfekte Ort für eine Mehrtagestour mit Kids ist dort, wo alle von den guten Trails schwärmen und ein perfekt ausgebautes Netz an Bus, Bahn und Liften existiert: in der Schweiz, genauer gesagt in Graubünden. Doch wo starten, wo genau langfahren, wo Zwischenstopps einplanen, und welchen Bikepark ansteuern? Alles wichtige Fragen, auf die es wiederum keine einfachen Antworten gibt. Denn eine traurige Tatsache ist: Für die Planung von Mehrtagestouren mit Kids gibt es bis heute kein vernünftiges Nachschlagewerk. Warum also nicht direkt in Graubünden anrufen und sich wertvolle Tipps von denjenigen einholen, die die Trails gemacht haben und am besten kennen? Eine klasse Idee – denn nach wenigem Hin und Her und kleinen Korrekturen haben wir einen Plan. Los geht’s am Starttag mit dem Alps Epic Trail.
Knackige Passagen und "Schweizer Postkartendörfer"
Die ersten Meter verlaufen auf einem breiten Schotterweg, der erst leicht bergab, dann wieder bergauf führt, um uns dann auf den legendären Alps Epic Trail mit knapp vierzig Kilometer Länge zu entlassen. Die Kids sind etwas enttäuscht, weil doch einige knackige Passagen gemeistert werden müssen und es noch immer nicht wirklich bergab geht. Doch dann ist es endlich so weit: Moderat und über viele Wellen lässt es sich wunderbar ins Tal surfen. Ein letztes Mal durch den Wald, um kurze Zeit später nach Sertig abzubiegen. Am Ende des kleinen urigen Dorfs geht es kurz steil hinauf zu einem Höhenweg, der stets leicht bergauf bis nach Abirügg führt. Vor allem im Wald gibt es immer wieder kurze knackige Anstiege, die volle Aufmerksamkeit erfordern. Dass die Biketrails in der Schweiz größtenteils von den Wanderwegen getrennt sind, macht die ganze Sache entspannter.
Ab Monstein, einem wunderschönen Dorf, wie man es von typischen Schweizer Postkarten kennt, geht es dann nach einer kurzen Abfahrt wieder leicht bergauf. Aus Straße wird Schotter und aus Schotter ein etwas gröberer und steiler Karrenweg. Alles in allem sind die letzten 150 Höhenmeter aber gut machbar. Der folgende Trail ist mit Schwierigkeiten zwischen S0-S1 ganz moderat, meistens leicht und führt immer am Hang entlang. Auch wenn das Gelände recht steil abfällt, ist der Trail nie richtig ausgesetzt. Schon bald erreichen wir unsere heutige Unterkunft, den Sägässähenki. Der Dachstuhl des Bauernhofs wurde erst 2023 mit neuen Ferienwohnungen ausgebaut. Eines ist gewiss: Auf der Dachterrasse kann man den Tag mit einem leckeren Kaltgetränk bestens Revue passieren lassen.
Auf den Spuren Danny MacAskills
In Jenisberg startet Tag zwei wieder mit einer Abfahrt. Der erste Abschnitt hat ein, zwei schärfere Spitzkehren, die man nicht fahren kann, aber ansonsten ist alles gut machbar. Unten angekommen, rollen wir direkt auf eine steinerne Brücke zu. Hier ist eine Tafel angebracht, die via QR-Code auf das Home of Trails-Video verweist, bei dem Danny MacAskill mal eben auf die Mauer sprang und dabei über die Brücke rollte – neunzig Meter über dem Abgrund.
„Nicht nachmachen!“ steht auf der Tafel.
Die Kids staunen nicht schlecht und hätten Danny natürlich gerne live dabei gesehen. Heute steht außerdem die Passüberschreitung ab Preda aus eigener Muskelkraft auf dem Programm. In Summe rund 550 Höhenmeter auf der wenig befahrenen Straße bei moderater Steigung. Hier kommt es darauf an, sein eigenes Tempo zu fahren. Jede*r für sich – aber bestenfalls zu zweit zur Unterhaltung. Nach einem leckeren Mittagessen freuen wir uns bei strahlendem Sonnenschein auf den lang ersehnten Albula-Trail über die schöne Hochebene. Er führt erst leicht hinauf, ab der Mitte nimmt der Trail richtig Fahrt auf und so surfen und hüpfen wir über grüne Wiesen immer der Waldgrenze entgegen. Im Wald wechselt der Charakter des Trails schlagartig. Aus S0-S1 werden viele steinerne und verblockte S2-Passagen. Dieser Abschnitt ist aber zum Glück kurz. Unsere heutige Unterkunft ist das Hotel Morteratsch, das es schon seit über hundert Jahren gibt. Damals hörte der Morteratschgletscher nicht weit hinter dem Hotel auf. Wo sich der Gletscher heute befindet, wollen wir uns morgen aus der Nähe anschauen.
Zeugen der Gletscherschmelze
Tag drei beginnt mit einem kurzen Bike und Hike – dank zwei Übernachtungen im Hotel Morteratsch können wir dabei auf das meiste Gepäck verzichten. Wir fahren ins Tal hinein und werden Zeugen, wie sich der Gletscher über die letzten 150 Jahre nach und nach zurückgezogen hat – erschreckend! Der anschließende Hike auf die großen Felsvorsprünge ist kurzweilig und die Aussicht grandios! Doch der Gletscher ist noch immer mindestens 300 Meter weit weg. Die Abfahrt später macht richtig Laune, doch Vorsicht ist geboten. Auch die Kids müssen sich hier zügeln, rechts fahren und ihr Tempo in unübersichtlichen Kurven drosseln, denn es ist auch eine sehr beliebte Wanderstrecke. Da wir lieber mehr Zeit für Aussicht, Foto und Pizza in Poschiavo haben wollen, nehmen wir direkt den Zug zum Ospizio Bernina. Denn es ist uns wichtig, dass die Kids für die doch relativ lange und gegen Ende auch technische Abfahrt genug Energie übrighaben. Die Zugfahrt dauert nicht lange und schon sind wir am Lago Bianco angekommen.
Ab hier geht’s von 2300 auf 1000 Meter hinunter. Die Aussicht ist entsprechend grandios. Diese Weite! Darin verliert sich fast der kleine Trail.
Und so geht es über einen wunderschönen Singletrail hinein ins linke Tal. Am ersten kleinen Gegenanstieg über wunderschöne Wiesen mit rauschendem Bach entscheiden wir uns für eine kleine Pause. Der Trail taucht in den Wald ein, wird steiler und wurzliger. Danach geht es über einen aus dem Mittelalter geprägten steinernen Karrenweg steil hinab. Unten angekommen, zieht sich der flache Wiesentrail raus aus dem Tal. Nach einer langen, epischen Abfahrt gibt es leckere Pinsa in Poschiavo, dann nehmen wir den Zug retour zum Lago Bianco und fahren ohne Höhenverlust und vor herrlicher Gletscherkulisse auf einem relativ anspruchsvollen Trail bis zum Ende des Sees, bevor es mit einigen spaßigen Abschnitten weiter Richtung Morteratsch geht. Ganz zum Schluss wird’s nochmal richtig flowig, und so kommen wir alle mit einem breiten Grinsen am Hotel an.
Trails, Trails, Trails
Nachdem die Kids den Vormittag unseres vierten Tages – endlich – auf den legendären Flowtrails oberhalb von St. Moritz verbracht haben, entscheiden wir uns am Nachmittag für die finale Top-to-Bottom Abfahrt. Und zwar vom 3055 Meter hohen Piz Nair hinab bis auf 1800 Meter.
Dafür braucht es ausgeruhte Kids mit guter Aufmerksamkeit und Konzentration. Der Trail beginnt mit der Querung einer größeren Altschneedecke, dann moderat über hochalpine steinerne Schotterwege, bevor er immer gröber wird. Die Kids meistern dieses steile Stück mit Bravour. Auf der „letzten Meile“ wartet dann der richtig schöne Fopetta Flowtrail auf uns – mit kleinen Drops, Tables sowie schön angelegten Northshores und Anliegerkurven. Unten in St. Moritz angekommen, rollen wir bis zum Bahnhof und klopfen uns alle auf die Schulter – was für ein Erlebnis!