Gerade stehen wir hinter der Neuen Prager Hütte, um das Risiko von Felsstürzen aus der Wand oberhalb zu bewerten, als uns ein lautes Donnern aufschrecken lässt. Ein Blick in den Himmel zeigt: Nach Gewitter sieht es eigentlich nicht aus. Die Staubwolken gegenüber zeigen: An der Kristallwand hat sich gerade eine ordentliche Menge Gestein gelöst. Erschreckend und gleichzeitig faszinierend. Gibt uns dieses Ereignis schon Aufschluss über die Richtigkeit der Ergebnisse, die anhand der Fernerkundungsanalysen des Forschungsprojekts ReHike erhoben wurden? Auf der Karte der Forscher Dr. Florian Albrecht von Spatial Services und Dr. Daniel Hölbling von der Universität Salzburg sind so genannte InSAR-Punkte verzeichnet, mit deren Hilfe Veränderungen an der Erdoberfläche millimetergenau gemessen werden können. Rund um die Kristallwand sind sie rot – je röter der Punkt, desto stärker bewegen sich Berg und Gestein. Dies passt sehr gut zu unserer Beobachtung an der Wand, ganz so einfach ist es dann aber leider nicht, erklären die beiden.
Und doch ist genau das erklärtes Ziel unseres Ausflugs in die Hohen Tauern rund um die Neue Prager Hütte auf knapp 2800 Metern: die Daten, die die Forschenden am Schreibtisch er arbeitet haben, mit den realen Gegebenheiten im Gelände abzugleichen. Das Projekt, an dem neben Spatial Services, einem Unternehmen, das sich mit der Auswertung und Nutzung von Geodaten beschäftigt, auch die Universität Salzburg, das digitale, alpine Dienstleistungsunternehmen LO.LA sowie der Österreichische und Deutsche Alpenverein beteiligt sind, nennt sich ReHike. Es geht um Klimawandelanpassung, Ziel ist es, Antworten auf Fragen wie die folgenden zu erhalten: Wie können die Alpenvereine ihre Infrastruktur in den Bergen, also Hütten und Wege, auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten? Und braucht es künftig zusätzliche Maßnahmen, um Bergsport (sicher) ausüben zu können? Dafür wurden gemeinsam mit Gebietskundigen zwei Untersuchungsgebiete – die Ötztaler Alpen mit Wildspitze und Taschach- sowie Gepatschferner und die Hohen Tauern mit Großvenediger, Großglockner, Pasterze und Schlatenkees – festgelegt. Hier liefert das Projekt Vorschläge und Erkenntnisse, die eine Grundlage für ein verbessertes Risiko- und Wegemanagement schaffen sollen. Dafür nutzen die Forschenden Radar-Satelliten und satellitengestützte Karten, die den Gletscherrückgang und die damit verbundenen Prozesse über die Jahre hinweg sichtbar machen.
Von Satellitendaten zu Risiko-Karten in den Alpen
Die Informationen stammen unter anderem aus dem europäischen Copernicus-Programm, das Daten zur Überwachung der Erde und ihrer Umwelt bereitstellt. Die am Computer dargestellten Prozesse werden dann hinsichtlich ihres Schadenspotenzials eingestuft, wodurch die Gefährdungsstufe pro Wegabschnitt festgestellt werden kann. Auf der Grundlage dieser Analyse wird untersucht, wo das Schadens und Gefährdungspotenzial zugenommen hat, wo es gleich geblieben ist und wo es gegebenenfalls schon zu einer Entspannung gekommen ist. Ergänzend stehen Daten zur Verfügung, die bereits vorab durch ortskundige Fachleute wie Alpinpolizei, Beauftragte für Wegebau und Bergführer*innen erhoben wurden. Daraus ist eine Karte mit insgesamt 42 Problem-Hotspots entstanden – Orte, deren Infrastruktur besonders relevant für die Alpenvereine und Bergsportler*innen sind.
Im Gastraum der Neuen Prager Hütte erklärt Dr. Celia Baumhoer, Wissenschaftlerin am Earth Observation Center (EOC) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), die Vorteile dieser Vorgehensweise, also der Nutzung von Fernerkundungssystemen. Zum einen bietet sie dank kontinuierlicher, konsistenter Zeitreihen und stetig wachsender Archive eine objektive Datengrundlage und somit hohes Potenzial für die Überwachung und Analyse des Klimawandels und seiner Folgen in Gebirgsregionen. Dank der Forschung können durch Gletscherschmelze entstandene Schutt und Toteisflächen genauso wie Gefahrenstellen durch den Klimawandel automatisiert erfasst werden. Daraus lässt sich für den DAV besser abschätzen, wie sich das Wegenetz verändern wird, mit welchem Mehraufwand für die Instandsetzung zu rechnen ist und wie sich die alpinen Gefahren auf ausgewählten Wegen und Routen entwickeln werden. Zum anderen können (In-)Stabilitäten der Hänge rund um Hütten und entlang vielbegangener Wege flächendeckend ausgewertet werden. Langfristig könnten diese Erkenntnisse in das Kartenmaterial der Alpenvereine sowie das Tourenportal alpenvereinaktiv.com einfließen und so Bergsteiger*innen bei der Tourenplanung unterstützen und für Gefahren sensibilisieren.
Mehr Bewegung in den Alpen
Nachdem die Computerarbeit nun mit den realen Gegebenheiten abgeglichen wurde, ist ein nächster Schritt, diese Daten und Informationen mit den Gründen für die Bewegungen im Gelände in Verbindung zu bringen – so wie eben auch das Ereignis an der Kristallwand. Was die Daten der Radarauswertung der letzten zehn Jahre klar zeigen: Die Bewegungen in den Alpen werden mehr, was auch für uns immer spürbarer wird. Darauf müssen wir uns vorbereiten: jede*r Einzelne durch eine solide Bergsportausbildung und gute Tourenplanung, die Alpenvereine unter anderem durch Forschungsprojekte wie ReHike, um rechtzeitig fundierte Lösungen für eine bessere Frühwarnung zu entwickeln.
Empfohlene Artikel
Klimawandelfolgen für den Bergsport
Weiterentwickeln statt Weitermachen
Der Rückblick auf die Schlagzeilen des Sommers 2025 verfestigt den Eindruck, dass die Berge immer mehr in Bewegung geraten. Wo müssen wir also umdenken und uns anpassen?
DAV-Werkstatt 2025 zu Klimawandelfolgen
Große Aufgabe, große Chance
Unter dem Motto „Berge in Bewegung“ diskutierten auf der DAV-Werkstatt rund 170 Sektionsmitglieder über die Auswirkungen des Klimawandels auf den Bergsport und den Verein.
Interview mit DAV-Präsident Roland Stierle
„Wir müssen Infrastrukturen anpassen“
Dem DAV-Präsidenten und Bergsteiger Roland Stierle ist wichtig, Klimawandelfolgen so zu gestalten, dass auch in Zukunft Bergsport im Naturraum Alpen möglich ist.
Interview Hans Hocke vom DAV-Bundeslehrteam
Angepasst auf Hochtouren
Hans Hocke ist als Bergführer und DAV-Ausbilder seit Jahrzehnten im Hochgebirge unterwegs.