Dass mein Sturz beim Skifahren und diese Schmerzen nichts Gutes bedeuten würden, war klar. Aber das? Die Diagnose Kreuzbandriss assoziieren viele mit OP und einem langwierigen Genesungsprozess. Das muss nicht so sein – ein wenig Glück und konsequente Nachsorge vorausgesetzt.
Das Kreuzband als Stabilisator
Jedes Knie besitzt ein vorderes und ein hinteres Kreuzband. Gemeinsam mit Innen- und Außenband machen sie den Bänderapparat des Kniegelenks aus. Die Kreuzbänder liegen hinter der Kniescheibe und verbinden – sich gegenseitig überkreuzend – Ober- und Unterschenkelknochen. Ihre spezielle Funktion: Sie stabilisieren und verhindern eine übermäßige Rotationsbewegung. Ein Riss des vorderen Kreuzbandes tritt wesentlich häufiger auf als einer des hinteren Kreuzbandes, und geschieht meist durch eine gewaltvolle Verdrehung des Knies. Klassische Auslöser-Sportarten sind Fußball und Handball. Durch ruckartige, schnelle Richtungswechsel kann es zu einer Ruptur kommen. Oder, wie in meinem Fall, beim Skifahren. Bleibt der Ski im Tiefschnee stecken, der Körper und somit auch das Bein drehen sich aber weiter, verdreht sich der Oberschenkel zum Unterschenkel in solch einem Maß, dass das Kreuzband nicht mehr Stand hält.
Woran erkenne ich einen Kreuzbandriss?
Das Erste, was ich nach meinem Sturz feststellte: ziemlich starke Schmerzen im Knie. Beim Versuch, den Hang abwärtszugehen, merkte ich, dass mein Bein sich nicht stabil anfühlte, ich konnte es nicht gerade halten und es knickte weg. „Patienten bemerken in der Regel eine erleichterte Verschiebbarkeit zwischen Ober- und Unterschenkel“, bestätigt Prof. Dr. Christoph Lohmann, Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Abhängig sind die Symptome zudem von auftretenden Begleitverletzungen. Das sind häufig Schädigungen des Meniskus, der Innen- und Außenbänder. Eine zuverlässige Diagnose erfolgt über ein MRT, das detaillierte Schnittbilder von Gewebestrukturen wie Muskeln und Bändern liefert.
Tipps zur Vermeidung von Kreuzbandrissen
Vor der Tour:
Gezieltes Training zur Stärkung der Muskulatur um das Kniegelenk
Realistische Selbsteinschätzung: Bin ich fit genug für die Tour?
Auf Tour:
Geeignetes Schuhwerk tragen
Stabilisierende Hilfsmittel verwenden (z. B. Stöcke)
Realistische Selbsteinschätzung: Habe ich noch Kraftreserven?
Möglichkeiten der Behandlung
Grundsätzlich besteht die Wahl zwischen einer konservativen und einer operativen Behandlung. Der operative Standard ist eine so genannte Sehnenersatzplastik. Hierbei werden körpereigene Sehnen entnommen und wieder eingesetzt. Diese Operation wird in Deutschland in vielen Kliniken durchgeführt. Zusätzlich hat sich in den letzten Jahren eine weitere Operationsmethode entwickelt, bei der das Kreuzband zusammengenäht wird. „Es werden Führungsfäden in das Kreuzband eingefügt und dadurch die natürlichen Strukturen des Kreuzbandes erhalten“, erklärt Prof. Lohmann. Diese spezielle Methode kann jedoch nur bis zu drei Wochen nach dem Riss durchgeführt werden und nicht alle Kliniken bieten den Eingriff an.
Die Sehnenersatzplastik hingegen kann auch Wochen, Monate oder gar Jahre nach der Verletzung noch mit denselben Erfolgschancen durchgeführt werden. Die Regeneration bei beiden OP-Varianten ist jedoch langwierig. „Wann ist es möglich, in den Sport zurückzukehren? Das wollen die aktiven Menschen wissen. Im Wettkampfsport nach neun Monaten“, betont Lohmann. Der Sport-Physiotherapeut Markus Pranieß schätzt zwischen sechs und dreizehn Monaten: „Wichtig ist die Unterscheidung zwischen „Return to sport“ und „Return to competition“. Leichtes Joggen ist viel früher möglich als leistungsorientierter Kontaktsport.“
Übungsempfehlungen von Sport-Physiotherapeut und Osteopath Markus Pranieß
Ausfallschritte („Lunges“) in verschiedenen Varianten
„Nordic Hamstring Curls“ (Im Kniestand den Oberkörper langsam nach vorn absenken und mit den hinteren Oberschenkeln bremsen)
„Y Balance“ (Auf einem Bein stehen und mit dem anderen Fuß kontrolliert in drei Richtungen den Boden antippen)
Rumpftraining (z.B. Kreuzheben)
Training der medialen Hamstrings und Musculus gluteus medius (z.B. Einbeinstand)
Insbesondere nach einer Verletzung oder Operation sollten jegliche Übungen in ärztlicher oder physiotherapeutischer Absprache durchgeführt werden.
Kreuzbandriss ohne OP – geht das?
„Bei der konservativen Behandlung soll das Kniegelenk durch gezieltes Muskeltraining so stabilisiert werden, dass die Funktion des Kreuzbandes zum großen Teil übernommen werden kann“, erläutert Prof. Lohmann. Das Training wird in einer Physiotherapie erarbeitet, die so bald wie möglich nach der Verletzung beginnt. Sofern die Therapie erfolgreich ist, kann man nach wenigen Monaten wieder Sport machen – mit zunächst knieschonender Belastung wie Schwimmen und Radfahren. Allerdings empfinden Patient*innen mitunter ein Gefühl der Instabilität im Knie und entscheiden sich daher für eine OP. „Erst einmal ein paar Monate abwarten und schauen, wie sich das Knie entwickelt“, empfiehlt Markus Pranieß. „Ich habe einige Patienten betreut, die – mit Erfolg – eine konservative Behandlung durchlaufen haben.“
Cross Bracing Protocol
Eine weitere Option der konservativen Behandlung eines Kreuzbandrisses ist das sogenannte „Cross Bracing Protocol“. Ein australisches Forschungsteam hat diese Methode entwickelt, bei der das vordere Kreuzband ohne Operation heilt. Dabei wird das Knie in den ersten vier Wochen in 90-Grad-Beugung ruhiggestellt. Danach wird die Schiene kontinuierlich angepasst, bis ein uneingeschränkter Bewegungsumfang wiederhergestellt ist. In einer Studie hat die Methode gute Ergebnisse gezeigt.
Ob diese Behandlungsmethode infrage kommt, ist mit dem behandelnden Arzt oder behandelnden Ärztin zu klären.
Ich entschied, erstmal abzuwarten, wie stabil sich mein Knie bei verschiedenen Belastungen anfühlt. Und es stellte sich heraus: nach nur zwei Monaten bin ich das erste Mal wieder an der Kletterwand und zum Wandern in den Bergen. Durch konsequente Physiotherapie, Training und wohl eine Prise Glück – ich bin ohne Begleitverletzungen davongekommen.
Kann ich vorbeugen?
Die Frage, die sich viele aktive Bergsportler*innen stellen, lautet: Wie kann ich einem Kreuzbandriss vorbeugen? „Indem man, bevor man auf den Berg geht, seine Muskulatur trainiert, sodass sie nicht so schnell ermüdet“, empfiehlt Prof. Lohmann. Denn das Gelenk funktioniert vor allem als Kombination aus Gelenkflächen, Bändern und Muskulatur. Er ergänzt: „Die Muskeln sind zusätzliche Stabilisatoren. Sie dämpfen und nehmen Belastung von den Gelenken. Wenn die Muskulatur ermüdet, steigt das Risiko für einen Kreuzbandriss.“ Ein wichtiger Aspekt ist die realistische Selbsteinschätzung und die Vermeidung von Überlastung. Markus Pranieß erklärt allerdings: „Die Verletzung geschieht oft in dem Moment, in dem die Muskeln nicht angesprochen werden und die Bänder entsprechend nicht schützen. Daher ist eine Vorbeugung nur bedingt möglich.“ Gezieltes Training hilft übrigens auch im Falle eines Kreuzbandrisses. Denn die Regeneration verläuft in der Regel schneller, wenn die Muskulatur trainiert ist.
Also: Krafttraining lohnt sich! Das gilt auch für mich – ohne Kreuzband, um umliegende Strukturen zu schützen.