Eine Gruppe von Wanderern mit Rucksäcken und Trekkingstöcken wandert auf einem Pfad durch eine alpine Landschaft mit schneebedeckten Bergen unter klarem, blauem Himmel.
Im Anstieg zur Schlüsselstelle, dem 4750 Meter hohen Pass Punta Unión, hat die Gruppe majestätische Gipfel wie den Taulliraju immer im Blick. Foto: Sascha Mache
Inklusive Expedition des DAV

Gemeinsam zu Perus Gletscherbergen

Eine inklusive Expedition in die peruanischen Anden? Die richtige Planung, gute Vorbereitung und Teamgeist sorgten dafür, dass die Teilnehmenden ihre Einschränkung für einige Zeit vergessen und stolz auf fünftausend Metern Höhe in die Kamera jubeln konnten.

Nach fünf Stunden Aufstieg gleichen wir unsere GPS-Daten ab: Es ist so weit! Tracker, Smartphone, Pulsuhr – alle zeigen die Höhe von fünftausend Metern, wir haben es geschafft! Wir weinen und lachen und staunen über die Aussicht: Über uns der Gipfelaufbau des Cerro Sentilo, unter uns die Laguna Taullicocha mit dem schroffen Eisriesen Taulliraju. Mit einem Schlag fällt die Anspannung aus vielen Monaten Vorbereitung von uns ab. Inmitten der majestätischen Andengletscher ist die unsichtbare Höhenmarke einerseits ganz unwichtig – aber symbolisch markiert sie vor allem für die Bergsteiger*innen mit Behinderung einen unvergesslichen Erfolg, sportlich und vor allem persönlich.

In der inklusiven Gruppe sind von acht Teilnehmenden nur zwei ohne Behinderung oder chronische Erkrankung. Allerdings sortiert sich das Miteinander über die zweijährige Laufzeit unseres Projekts nicht nach diesem Kriterium. Ob Autoimmun- oder Krebserkrankung, starke Sehbehinderung oder psychosomatische Erkrankung: Es geht nicht um den Grad der Behinderung, sondern darum, wie allen gemeinsam eine optimale Vorbereitung aufs Höhentrekking gelingt. Gegenseitige Unterstützung zählt – auf dieser Reise ist vor allem mentaler Zusammenhalt gefragt, aufgrund der Erkrankungen der Teilnehmenden braucht es unterwegs weniger Hilfestellungen als Motivation und gegenseitige Wertschätzung. Und Teamgeist, gerade auch unter den fordernden Bedingungen des Zeltens in großer Höhe und Kälte. Als Zeltgemeinschaften haben wir feste Zweierteams gebildet. Das erleichtert das Vertrauen und ermöglicht Rückzug und Fürsorge im geschützten Rahmen abseits der Gruppenaktivitäten.

In Zweierteams wird sich auf die Nacht im Zelt vorbereitet. Foto: Sascha Mache

Jubel auf fünftausend Metern Höhe

Am höchsten Punkt unserer Reise, am Cerro Sentilo, strahlen jetzt glückliche Gesichter fürs Jubelfoto. Der Mut, trotz Selbstzweifeln und Behinderung gemeinsam diese Expedition zu wagen, wird belohnt. „Ich habe nie darüber nachgedacht, welche Einschränkungen die jeweiligen Menschen haben oder nicht – vermeintlich ‚Schwache‘ bewiesen ihre Stärke, und umgekehrt konnten Stärkere sich wieder erholen“, so ein Teilnehmer. Eine Teilnehmerin erfüllt sich einen Lebenstraum und beweist, dass Höhenbergsteigen für sie auch mit Multipler Sklerose möglich ist. Ein anderer erinnert sich an schwere Momente seiner Darmkrebserkrankung, als er vor Projektbeginn von einer solchen Anstrengung wie heute nicht zu träumen wagte.

Aber dann müssen wir eine Entscheidung treffen. Bis zum Gipfel des Sentilo wären es nur noch hundert Höhenmeter mehr. Doch alle zusammen sind wir nicht sehr schnell unterwegs. Den langen Abstieg im weglosen Gelände schaffen wir nicht bei Tageslicht, wenn alle gemeinsam zum Gipfel klettern. Anstatt uns aufzuteilen und nur die schnellsten Richtung Gipfel zu schicken, entscheidet die Gruppe, zusammen zu bleiben.

Gemeinsam feiern wir das Erreichte, im Wissen, dass jede*r heute an einem Punkt die persönlichen Ziele hinter den Erfolg der Gruppe zurückgestellt hat. Dafür belohnt uns nun das Gefühl geteilter Freude – ein unvergesslicher Moment.

So sehr wir auf gegenseitige Unterstützung setzen, so sehr wir Gemeinsamkeiten suchen: Unterschiede bei der Leistungsfähigkeit gibt es auch in unserer inklusiven Gruppe – und wie in jeder Seilschaft bestimmt auch die Tagesform individuelle Grenzen.

Bei der Besteigung des Cerro Sentilo konnten wir frei entscheiden, wie weit jede*r gehen wollte oder konnte. An den anderen Tagen folgte unsere Tour allerdings einer modifizierten Route des berühmten Santa Cruz-Trekkings und die ganze Gruppe musste jeweils bis zum Abend am nächsten Camp-Platz sein, an den unsere Tragetiere das große Gepäck und die Zelte transportierten. Eine Herausforderung, vor allem an der Schlüsselstelle, der Überschreitung des 4750 Meter hohen Passes Punta Unión. Aber auch hier kamen schließlich alle sicher auf der Passhöhe an. Einer Teilnehmerin waren die letzten Höhenmeter in der dünnen Luft zu viel, sie konnte sich von unserem Pferd Chaski tragen lassen, das wir für solche Fälle immer bei uns hatten.

Pferd Chaski unterstützt die Teilnehmenden, wenn die Anstiege doch mal zu anstrengend oder die Luft zu dünn wurde. Foto: Sascha Mache

Tourenplanung und Höhenanpassung

Wie jede andere Trekking-Gruppe müssen wir uns an die Höhe anpassen. Neben der Beobachtung möglicher Symptome einer Höhenerkrankung überprüfen wir die Akklimatisation mit der täglichen Kontrolle des Ruhepulses und bei Bedarf Messung der Sauerstoffsättigung. Mit sportmedizinischen Belastungstests hatten alle zu Hause schon abgeklärt, dass durch vorhandene Grunderkrankungen in der Höhe kein besonderes Risiko besteht.

Bei der Tourenplanung gemeinsam mit unserem UIAGM-Bergführer ( (Internationale Vereinigung der Bergführerverbände) Máximo Henostroza aus Huaraz haben wir ein Programm entworfen, das präzise auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten war. Máximo stand selbst schon auf dem Everest und anderen Achttausendern und führt auch für deutsche Expeditionsanbieter. Für unsere inklusive Gruppe legen wir einen besonderen Schwerpunkt darauf, Schlafhöhe und das Niveau der Belastungen lehrbuchmäßig langsam zu steigern.

Nach Tagestouren rund um Huaraz komplettierten wir die Anpassung mit einem ersten Trekking ins Quilcayhuanca-Tal. Von einem Basecamp mit fixer Schlafhöhe auf 4070 Metern unternahmen wir Touren zu Aussichtspunkten und Lagunen bis 4600 Meter hinauf. So vorbereitet konnten alle nach kurzer Ruhepause das Santa Cruz-Trekking mit Schlafhöhen bis 4400 Meter in vollen Zügen genießen.

Eine Tour ins Quilcayhuanca-Tal ist Teil der Höhenanpassung. Foto: Sascha Mache

Für die Teilnehmenden war das Erlebnis, wie sich der Körper in der Höhe anfühlt, weitgehend neu. Zwei aus der Gruppe standen zuvor schon auf Gipfeln über vier- beziehungsweise fünftausend Metern, die meisten hatten zuvor allerdings nie einen Viertausender besucht. Entsprechend viel Raum nahm das Thema der Höhenanpassung ein. Schon viel früher, bei einem Vorbereitungswochenende in den Ötztalern schliefen wir auf der Similaunhütte über dreitausend Meter hoch und befassten uns theoretisch mit den körperlichen Anpassungsprozessen in der Höhe und der passenden Taktik. Bei einem anderen Modul im Januar ging es ums Thema Kälte. Im Mittelgebirge erprobten wir in einer Frostnacht im Taunus unter freiem Himmel die Wärmeleistung unserer Schlafsäcke.

Während die körperliche Erfahrung der Höhe für alle spannend war, sind den Teilnehmenden die nackten Zahlen der erreichten Höhe im Rückblick nicht so wichtig.

Was vor allem zählt, ist die grandiose Landschaft zu sehen – oder bei eingeschränktem Sehvermögen mit allen Sinnen wahrzunehmen. Und die herzliche Gastfreundschaft der Menschen, ob in Lima oder in der Cordillera Blanca.

Für viele aus der Gruppe war es die erste Reise in ein derart weit entferntes Land, diese Erfahrung wird bleiben.

Wie wichtig den Teilnehmenden diese inklusive Expedition war, zeigt sich auch daran, welche gesundheitlichen Rückschläge sie teils im letzten Halbjahr vor der Reise noch überwunden haben. Bei der einen verschlechterte sich plötzlich das Sehvermögen massiv, ein anderer brauchte eine neue Immuntherapie gegen die Leukämie, zwei Personen mussten eine Lungenentzündung auskurieren, bevor sie trainieren konnten. Aber all diese Hindernisse ließen die Teilnehmenden hinter sich, möglich machte das der Spirit der Gruppe: „Dieses Miteinander habe ich mir von unserer Perureise erhofft. Ich wurde viel reicher beschenkt, als ich mir vorstellen konnte. Diese inklusive Erfahrung möchte ich in meinen Alltag mitnehmen“, so das Resümee eines Teilnehmenden.