Ein zehnköpfiges Expeditionsteam ging unter der Leitung von Sascha Mache (DAV Offenbach) und Christiane Werchau (DAV Forchheim) im Juli 2025 auf eine Höhentrekkingtour in der Cordillera Blanca der peruanischen Anden und überschritt dabei die 5000-Meter-Marke. Unter den Teilnehmer*innen waren auch vier mit körperlichen Einschränkungen. Die Teilnehmerin Sabine Sorg berichtet im Interview über viele prägende Momente, die teils schwierige Vorbereitung und darüber, was sie fürs Leben gelernt hat.
Sabine, vor zwei Wochen seid ihr aus Peru wieder heimgekehrt. Wie ist deine Stimmung?
Meine Stimmung ist total gut. Zuerst hatte ich das Gefühl "... ach ja, nun geht der Alltag wieder los". Aber jetzt denke ich: Nee, so richtig zurückgekehrt ist er noch nicht. Da sind unheimlich viele Erinnerungen und Gedanken, die auf eine positive Weise Einzug in mein Alltagsleben halten.
Sprechen wir einmal über die Erinnerungen. Welche kommen dir zuerst in den Sinn?
Also die Landschaft dort hat mich total begeistert. Die werde ich in meinem Herzen immer mitnehmen. Oben die weißen, schneebedeckten Berge, darunter Fels und dann, weiter unten, eine leuchtende Lagune … Das wirkt vielleicht gar nicht so groß in dem Moment. Aber du kapierst irgendwann: das ist alles viel größer als hier bei uns in den Alpen. Und viel einsamer.
Wenn du jetzt zurückdenkst, gab es für dich vielleicht einen schönsten Moment?
Da gab es eher viele Momente. Aber vielleicht war das Erreichen der Punta Union, dieses hohen Bergpasses auf 4750 Meter, für mich am wichtigsten. Ich war die erste unserere Gruppe, die zu Fuß dort oben ankam. Ich bin eher vom Typ Selbstzweifler und denke dauernd: „Ich schaff das nicht.“ Und dann da oben zuerst anzukommen – das war echt super toll. Es gab aber auch viele andere Momente. Ich hatte vorher ein bisschen Spanisch gelernt. Die Gespräche mit den Leuten, wenn ich zum Beispiel den Esel festhalten durfte, während er beladen wurde. Oder mit unserem Bergführer Maximo, der mir unheimlich viel über die Berge, die ganze Umgebung und die Tiere erzählt hat. Das war sehr eindrücklich.
Ihr wart die meiste Zeit in Höhen über 4000 Meter unterwegs. Wie kamen die Teilnehmer*innen damit klar?
Es hatten schon einige Leute Kopfschmerzen oder Magen-Darm-Problematiken. Da weiß man dann nicht, ob das vom Essen kommt oder von der Höhe. Aber niemand ist wirklich krank geworden. Ich selbst hatte großes Glück: Ich hatte überhaupt nichts!
Du hast dich sicherlich auch sehr gut vorbereitet.
Ja, in erster Linie durch intensives Lauftraining. Dafür bin ich auch in den Taunus gefahren. Allerdings konnte ich dann doch nicht so viel trainieren, wie ich vorhatte. Anfang des Jahres bekam ich eine Lungenentzündung und fühlte mich fünf Wochen echt schrecklich.
Aber du bist noch rechtzeitig wieder fit geworden?
Das ist typisch, wenn du mit chronischen Erkrankungen zu tun hast. Du willst auf ein Ziel hintrainieren und dann macht dein Immunsystem die Grätsche und will zeigen, was es Tolles kann. Ich sagte mir: Es kommt jetzt, wie es kommt. Kurz vor dem Start habe ich dann den Fitness-Test gemacht. Ich war auf einer Fortbildung in Füssen und bin auf den Tegelberg gestiegen. Das ging gut! Dann habe ich entschieden: okay, wenn ich diese 900 Höhenmeter schaffe, kann ich mir die Tour zutrauen. Wenn es mal heftiger ist, dann laufe ich halt langsamer. Aber ich komme an. Ob das in den Alpen ist oder anderswo.
Trotz intensiver Vorbereitung, den Trainings-Wochenenden mit dem Team in den vorangegangenen Monaten und den Akklimatisierungstouren vor Ort waren sicherlich alle sehr gefordert.
Ja, ich finde auch, das mit der Inklusion ist in dem Rahmen echt eine schwierige Sache - wo fängt sie an, wo hört sie auf? Auch an einer inklusiven Expedition kannst du nur mit bestimmten Einschränkungen teilnehmen. Du kannst so eine Tour halt nicht mit einem fehlenden Bein machen.
Gab es unterwegs mal schwierige Momente? Hattest du oder hatte jemand aus der Gruppe mal Zweifel, ob es weitergehen kann?
Ich glaube, das ist eine Frage, die man nur individuell beantworten kann. Ein paar Leute mussten sich sicherlich durchkämpfen. Auch meine Freundin Diana, die eine Sehbehinderung hat. Aber so wie ich hat sie sich gesagt: „Ich will das!“ und hat sich durchgebissen. Ich selbst hatte am ersten Wandertag schlimme Selbstzweifel. Da habe ich ordentlich Tränchen verdrückt. Aber irgendwie habe ich dann gedacht: Du kannst eh nix anderes machen. Also lauf einfach und schlag diese Gedanken tot. Ich bin dann oft ganz vorn, direkt hinter Maximo gelaufen. Mir tut es gut, einfach kontinuierlich zu gehen und nicht immer Päuschen einzulegen.
Mit welchen Einschränkungen lebst du?
Ich habe mehrere Rheuma-Diagnosen. Zudem eine versteifte Halswirbelsäule und seit der Kindheit eine Einschränkung im Sehen nach einer Augenverletzung. Außerdem habe ich Asthma. Naja, und noch anderen Kleinkram. Es lohnt gar nicht, sich Gedanken darüber zu machen (lacht). Aber ich hatte wirklich Höllenangst, dass sich rheumatologisch etwas tut und ich dann merke: Jetzt kommt ein Schub.
Konntet ihr euch auf der Tour gegenseitig unterstützen?
Wir waren in Zweierteams eingeteilt. Mir war es sehr wichtig, zusammen mit Diana ein Team zu bilden. Mit diesem Projekt sind wir super gefahren. Wenn ich gemerkt habe, sie ist abends total k.o., habe ich schon mal ihre Isomatte im Zelt ausgerollt und den Schlafsack hingelegt. Und sie hat mir geholfen, wenn ich meine emotionalen Hänger hatte. Mir hat das sehr viel Sicherheit gegeben.
Euer Gruppenmotto lautete „Gemeinsam auf hohe Berge“ – habt ihr das auch so gelebt?
Beim Aufstieg auf den Sentilo haben wir auf 5000 Metern, also knapp unter dem Gipfel, entschieden, dass hier Schluss ist. Zeitlich hätte es nicht mehr gepasst. Und der Unterschied zwischen dem Gipfel und dem Platz, wo wir waren, war nur minimal. Die meisten Teilnehmer sagten: "Hey, wir haben gesagt: 'Gemeinsam auf hohe Berge' – und gemeinsam heißt nun mal gemeinsam und kein Egotrip. Das fand ich sehr, sehr gut. Klar, waren da Leute dabei, die wahnsinnig gern auf dem Gipfel gewesen wären.
Bist du jetzt angefixt und möchtest bald wieder auf eine Expedition?
Ein paar von uns haben schon darüber nachgedacht, wieder etwas gemeinsam zu unternehmen. Ehrlich gesagt: Ich muss nicht unbedingt noch mal so weit weg. Es war eine tolle Erfahrung. Aber ich suche mir jetzt lieber am Arlberg, wo ich häufiger bin, irgendeinen Gipfel. Oder gehe mit meinem Mann einfach eine Woche auf Hüttentour.
Was würdest du jemandem raten, der damit liebäugelt, an einer inklusiven Expedition teilzunehmen?
Am wichtigsten scheint mir, sich ein Team zu suchen, bei dem die Gruppendynamik stimmt. Wo einfach klar ist: Wir wollen zusammen eine schöne Tour unternehmen und eine gute Zeit miteinander verbringen. Und nicht nur hoch auf einen Gipfel rennen. Außerdem ist die gute Vorbereitung eminent wichtig. Nicht nur die körperliche, sondern auch, was man alles mitnimmt. Ich war insbesondere medizinisch sehr gut ausgestattet. Mir gibt es ein sicheres Gefühl, sagen zu können: Okay, ich habe alles getan, alles andere habe ich nicht in der Hand.
… und es hat sich ja gezeigt, dass du damit gut gefahren bist. Nimmst du noch weitere Erkenntnisse mit in den Alltag?
Ja, zuallererst: Ich bin viel zäher, als ich immer denke. Dass ich mir sagen kann „Ich schaffe das!“ hätte ich früher nie gedacht. Und auch, wenn mich mal die Gedanken quälen, kann ich viele Tage am Stück laufen, egal wohin und ob es hoch geht oder runter. Außerdem ist mir klar geworden, wie sehr du selbst dafür verantwortlich bist, dir schöne Erlebnisse zu schaffen. Klar, es passieren mal blöde Dinge, die du nicht in der Hand hast. Aber grundsätzlich obliegt dir die Gestaltung des Lebens erstmal selbst und du bestimmst, ob etwas ein schönes Erlebnis wird.