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Shootingstar Martina Demmel im Interview: Hungrig auf mehr

15.12.2021, 17:00 Uhr

Mit dem Titelgewinn bei der Deutschen Meisterschaft Lead 2021 habe sie absolut nicht gerechnet, sagt Martina Demmel. Andere hatten sie wahrscheinlich schon auf dem Schirm. Die 20-Jährige aus Böbing in Oberbayern, die früher Skirennen fuhr, gilt als Riesen-Talent: In diesem Jahr – ihrem ersten richtigen Wettkampfjahr – schaffte sie bereits bei einigen Lead-Weltcups den Einzug ins Halbfinale.

Erst vor gut vier Jahren begann Martina zu klettern. Eine Freundin nahm sie damals mit in die Halle, danach war sie angefixt. Zunächst war Martina vor allem am Fels unterwegs und hat mittlerweile eine beeindruckend lange Ticklist. Im April 2021 sorgte sie in der Kletterszene für Furore, als sie im spanischen Oliana mit „Joe-cita“ ihre erste 9a abknipste. Auch ihre Routenbilanz 2020 mit 201 Routen im achten Franzosengrad spricht Bände. 

 

Vom Newcomer zur Deutschen Meisterin

Martina, du hast erst vor etwa viereinhalb Jahren mit dem Klettern begonnen: Wie konntest du in so kurzer Zeit so überragend gut werden? Bist du einfach ein Riesen-Talent oder hast du dir das hart erarbeitet?

Ohne Talent geht es sicher nicht. Aber hart erarbeitet habe ich es mir nicht, ich habe nie strukturiert trainiert und kann mir auch nur schwer vorstellen, mehrmals am Tag zu trainieren. Ich habe mir nie so viele Erwartungen gemacht, vielleicht lief es auch deshalb so schnell so gut. Ich hatte einfach immer total viel Spaß am Klettern, es ist meine große Leidenschaft. Ich habe immer versucht, alles zu probieren, an meinen Schwächen zu arbeiten und möglichst breit aufgestellt zu sein. Und ich bin auch immer viel im Onsight geklettert und habe dadurch gelernt, eine Tour schnell zu lesen und schneller effizient durchsteigen zu können.

 

Hast du dich mit dem Sieg bei der Deutschen Meisterschaft im Lead Anfang Oktober selber überrascht?

Ja, auf jeden Fall. Mit dem Titel habe ich definitiv nicht gerechnet, gerade auch weil es in den Wochen zuvor offensichtlich war, dass andere Mädels viel fitter waren als ich – auch mental. Aber im Wettkampf sind kleine Momente entscheidend, so war es dann eben auch bei der DM. Und ich bin wahrscheinlich einen Tick entspannter rangegangen als die anderen Mädels, die den Titelgewinn am Saisonende als Ziel hatten… ich war eigentlich schon mit der Finalteilnahme zufrieden.

 

War das für dich der Höhepunkt im Wettkampfjahr?

Auf jeden Fall. Ehrlich gesagt kann ich es immer noch nicht ganz fassen, dass ich gewonnen habe. Ich habe in der Finaltour unten einige Fehler gemacht und  nicht erwartet, dass es dann tatsächlich für den Sieg reichen wird.

 

Und wie schaut deine gesamte Saisonbilanz aus? Du warst ja auch bei einigen Lead-Weltcups am Start.

Insgesamt war es ein gutes Jahr, also ich bin mehr als zufrieden mit der Saison. Ich konnte einige Erfahrungen sammeln - und es war mein erstes richtiges internationales Wettkampfjahr. 2020 gab es ja nur einen Weltcup in Briançon. In diesem Jahr dann gleich drei Mal im Halbfinale mitklettern zu können, hat mich schon sehr gepusht. Vor allem, nachdem mein Saisonstart etwas holprig war. Es lief zu Beginn nicht wirklich gut und es war auch danach noch ein Auf und Ab – vor allem mental. Beim letzten Weltcup in Briançon wurde ich Fünfzehnte und das hat mich hungrig gemacht, noch mehr zu zeigen. Ich habe das Gefühl, noch nicht alles gegeben zu haben, nicht alles erreicht zu haben, was möglich ist. Die Weltmeisterschaft in Moskau war dann für mich noch einmal eine richtig coole Erfahrung. Dort habe ich das erste Mal im Wettkampf einen Sprung geschafft, früher wäre ich an dieser Stelle rausgeflogen. Also ich bin definitiv motiviert für das kommende Jahr.

 

Was findest du am Wettkampf besonders reizvoll?

Das ist dieses auf den Punkt abliefern müssen. Beim Lead hast du eben nur einen Versuch, du kannst dir keinen gravierenden Fehler erlauben, sonst war´s das. Außerdem ist es dieses absolute Fokussieren auf den Moment, du bist da in einem Tunnel und es geht nur darum, wie du den nächsten Zug machen kannst. Das sind unglaublich intensive Momente an der Wand. Außerdem macht es einfach Spaß, mit den anderen Mädels vom Kader und aus anderen Nationen unterwegs zu sein und eine unvergessliche Zeit zu haben.

 

Boulderst du eigentlich auch – oder fokussierst du dich total auf Lead?

Auf Lead liegt zwar mein Fokus, aber ich bouldere auch und es macht mir auch Spaß. Gerade bei den koordinativen und dynamischen Sachen fehlt mir Erfahrung. Deswegen scheitere ich in den Leadrouten auch meistens an den riskanten, koordinativen Zügen oder an kleinen Sprüngen – da fliege ich dann raus. Also ich kann sicher vom Bouldern profitieren, aber ich plane, beim Lead zu bleiben – momentan zumindest ist das noch so.

 

Deine Schwächen kennen wir jetzt – was sind deine Stärken?

Ich probiere alles aus – aber am wohlsten fühle ich mich mit offener Hand hängend an Griffen und auf relativ hohen Tritten. Also in einer relativ stabilen Position zu sein. Ich mag es auch, wenn eine Tour abwechslungsreich ist, beispielsweise nicht ausschließlich aus Slopern oder ausschließlich aus Zangen besteht.

 

Magst du dann eigentlich den New-School-Routenbau, der meistens bei Wettkämpfen dominiert?

Ja, sehr. Ich bin zwar eher eine Old-School-Kletterin, aber diesen Routenbau, bei dem schon fast dreidimensional geschraubt wird, finde ich geil… der bietet nicht nur eine Lösung, sondern du kannst um Griffe rumdenken und dir deine eigene Lösung basteln.

 

Trainierst du vor Wettkämpfen spezifisch?

Es gibt immer wieder Bundeskaderlehrgänge zur Vorbereitung auf die großen Wettkämpfe. Die sind dann immer in Hallen mit guten Wettkampfrouten. Bei denen bin ich immer dabei. Und ich trainiere ab und an in Kempten mit dem Lead-Bundestrainer Maxi Klaus. Ansonsten mache ich ziemlich oft Ausgleichs- und Körperspannungsübungen - das hilft auch für die Wettkämpfe und um Verletzungen vorzubeugen.


 

 

"Wettkampf heißt ein punktgenaues Abliefern, Teamfeeling, eine aufgeheizte Stimmung und Adrenalin."

Was sind für dich die großen Unterschiede zwischen Plastik, also Wettkampf, und Fels?

Fels bedeutet für mich Freiheit, ein einfaches Leben und Natur. Wettkampf heißt ein punktgenaues Abliefern, Teamfeeling, eine aufgeheizte Stimmung und Adrenalin.

 

Deine Fels-Ticklist ist lange und beeindruckend… was bedeutet dir das Draußen-Klettern?

Unheimlich viel, am Fels ist der Druck nicht so hoch wie im Wettkampf – da muss ja auf Knopfdruck alles perfekt laufen. Draußen kann ich eigene Entscheidungen treffen - wann ich in welche Tour einsteige beispielsweise. Ich lerne immer wieder neue Orte kennen und viele neue Leute, die mich inspirieren. Es ist ein freies, ungezwungenes Outdoor-Leben und ich kann mich ganz auf das Klettern fokussieren. Das gibt mir unglaublich viel. Trotzdem hat man auch am  Fels theoretisch jeden Tag eine Art Wettkampfsituation, weil nach dem einen Projekt oder dem einen Onsight-Versuch immer wieder eine neue Tour als Herausforderung wartet.

 

Wie geht’s weiter mit Martina Demmel? Welche Ziele hast du im neuen Jahr?

Ich werde mich in der kommenden Saison auf Lead konzentrieren und hoffe auf Starts bei Weltcups. Und da auf das ein oder andere Halbfinale, wo ich endlich einmal richtig kämpfen will. Ich möchte auch im Wettkampf das Gefühl haben, alles gezeigt zu haben, was ich kann. Am Fels möchte ich mich nicht an einem bestimmten Grad orientieren, das ist nicht mein Ziel. Sondern ich möchte viele klassische Linien klettern und möglichst viel Zeit draußen verbringen. Bis zum Frühling, also bis es mit den Kaderlehrgängen losgeht, habe ich mir jetzt aber erst einmal ein paar Monate freigenommen und bin in verschiedenen Gebieten in Spanien unterwegs.

 

Interview: Gudrun Regelein

 

Vielen Dank Martina, für die ehrlichen Worte und die interessanten Einblicke in dein Leben als Fels- und Wettkampfkletterin. 
Wir wünschen dir für die kommende Saison und die Zukunft viel Erfolg und alles Gute und hoffen dich auch weiterhin auf deinem Weg begleiten zu dürfen.