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The Dawn Wall – die schwerste Wand der Welt

16.01.2015, 10:08 Uhr

Der El Capitan im kalifornischen Yosemite Valley ist einer der berühmtesten Kletterberge der Erde, Routen wie die „Nose“(1958, 1000 m, VI, A2) oder die „Salathé“ (1961, 1000 m, VI+, A2) sind legendär. Die Erstbegehungen und ersten Wiederholungen erfolgten in teilweise technischer Kletterei; erst 1988 wurde mit der Salathé (X-) der erste große „Bigwall“ am El Cap frei geklettert – Seil und Haken dienen dabei nur zur Sicherung, die Kletterer halten sich zur Fortbewegung nur am Fels.

 

In den 1990er- und 2000er-Jahren wurden gut ein Dutzend weitere Routen am El Capitan frei geklettert, viele durch die deutschen Brüder Alexander und Thomas Huber (Huberbuam). Der Amerikaner Tommy Caldwell hat bis heute wohl die meisten Free Walls auf der Tickliste – unter anderem die erste freie Wiederholung der „Nose“ (X+) und danach die Nose und den „Freerider“ (IX) in 24 Stunden.

 

Drei Seillängen im glatten elften Grad

Sieben Jahre arbeitete Caldwell (36) nun an seinem Projekt „Dawn Wall“, seit 2009 war Kevin Jorgeson (30) mit von der Partie. Erst in der sechsten Saison fanden sie eine Lösung für eine der drei superschweren Seillängen in Wandmitte (XI), im Herbst 2014 konnten sie dann auch die letzten beiden knacken, die sie ebenfalls mit glatt XI bewerteten. Damit galt es nun, alle 31 Seillängen der Route in einem Zug zu klettern – als „team free ascent“, das heißt: Einer steigt vor, einer nach. Zum Vergleich: Die bisher schwierigsten Mehrseillängenrouten haben vielleicht eine oder zwei Seillängen, die maximal bis XI- schwer sind, und sind selten länger als 10 oder 12 Seillängen. „Dawn Wall“ hat drei Seillängen im glatten elften Grad, zehn weitere liegen zwischen X- und X+/XI-, nur zwei sind leichter als IX-.

 

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Caldwell und Jorgeson waren auch Nachts im Einsatz, Foto: Patagonia

Am 28. Dezember 2014 stiegen Caldwell und Jorgeson ein – die extrem kleinen Griffe sind bei Kälte am besten zu halten; manche Seillängen kletterten sie deswegen sogar in der Kühle der Nacht mit Stirnlampe. Eine wachsende Zuschauermenge verfolgte von den Wiesen am Wandfuß ihr Vorwärtskommen, wie von der Kleinen Scheidegg aus die Eiger Nordwand beobachtet wurde, der Rest der Welt konnte auf den Weblogs der beiden Akteure ihre Fortschritte sehen; teilweise hielten Fotografen in der Wand die Szenen fest; sogar die New York Times berichtete über das Projekt.

 

Die verflixte 15. Länge

Die Spannung stieg, als Caldwell seine schwersten Teile geschafft hatte, Jorgeson aber mit durchgekletterten Fingerspitzen immer wieder an der 15. Seillänge scheiterte. Nach sieben Tagen und zehn Fehlversuchen gelang ihm endlich die Passage, und danach auch der spektakuläre Sprung der 16. Seillänge (XI). Und das Wetter hielt auch für die letzten zehn „leichten“ Längen im neunten Grad. Nach 19 Tagen stiegen sie am 14. Januar 2015 endlich aus, zu Frau und Freundin, und nahmen Barack Obamas Glückwunsch entgegen: „Ihr erinnert uns daran, dass alles möglich ist.“

 

Meilenstein im Free-Wall-Klettern

Die „Dawn Wall“ definiert die Grenze im Free-Wall-Klettern neu; man darf gespannt sein, wann jemand imstande sein wird, der jahrelangen Obsession der zwei Weltklassekletterer zu folgen. Für die Kletter-Community mag sie auf jeden Fall Inspiration sein - mit den Worten der Protagonisten:

Tommy Caldwell: „Heute ist alles mit Warnschildern beklebt. So ein Projekt setzt mich in Brand, es ist ein aufregendes Leben.“

Kevin Jorgeson: „Ich glaube, jeder hat sein eigenes geheimes Dawn Wall Projekt, das er eines Tages erfüllen will.“