Reinhold Messner: Der Eispapst
Biographie
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„Wie im richtigen Leben“: Ein Drama um „Eifersucht, Neid und Rivalität“ unter Bergsteigern. Wieder einmal steigt Reinhold Messner tief ein in die Frühgeschichte des Himalaya-Bergsteigens und verrät dabei viel über sich selbst.
„Das Narrativ zum Bergsteigen ist ebenso wichtig wie das Bergsteigen selbst“, mit dieser steilen Behauptung beschließt Reinhold Messner sein jüngstes Buch. Tatsächlich hat die Menge der Publikationen, in denen der inzwischen Fünfundsiebzigjährige selbst vom Bergsteigen erzählt, längst die Höhe eines respektablen Bücherberges angenommen, den er nun mit dem „Eispapst“ um eine weitere Erzählung vergrößert.
Rund um die Person des Münchner Bergsteigers Willo Welzenbach, der 1934 am Nanga Parbat umkam und in dem Messner, nicht ganz zu Unrecht, einen Vorgänger und Gleichgesinnten sieht, entfaltet der Südtiroler ein Schauspiel von nahezu shakespearschen Ausmaßen. In diesem stehen sich Welzenbach und Paul Bauer gegenüber, beide zunächst Seilpartner bei schwierigen alpinen Unternehmungen und Mitglieder im elitären Akademischen Alpenverein München.
Durch die Erstbegehung zahlreicher eisgepanzerter Nordwände in den Alpen hatte sich Welzenbach zum „größten deutschen Bergsteiger der Zwischenkriegszeit“ entwickelt. Seine Veröffentlichungen, 1935 gesammelt und herausgegeben vom AAVM, gestaltet Messner über lange Strecken des Buches und mit einigen schriftstellerischen Freiheiten um zu lebhaften Vortragsreden. Bauer indes, der den 1. Weltkrieg als Offizier miterlebt hat, sieht im alpinistischen Tun einen „Kampf für Deutschlands Ehre“, dem er seine ganze Energie widmet. Die Bergfreundschaft zwischen den beiden Männern wird schließlich überrollt von einer tödlichen Lawine aus „Eifersucht, Neid und Rivalität“. Auf dem Höhepunkt des Dramas droht Bauer gar damit, Welzenbach zu vernichten bzw., ganz im Stil der Zeit, ihn „an die Wand zu quetschen“. Etwas geschraubt stellt Messner fest: „Liberaler Humanismus und evolutionäres Übermenschengehabe stehen sich also auch im Himalaya diametral gegenüber.“
Wie konnte es dazu kommen? Wesentlichen Anteil daran haben die Zeitläufte, deren Spuren bis in das ferne Berlin reichen und die Messner seitenlang in aller Breite, darin liegt der besondere Reiz des Buches, dokumentiert. Heutige Zeitgenossen können darüber wohl nur den Kopf schütteln. Angeregt durch die Aktivitäten der Briten am Everest, wollten auch die deutschen Bergsteiger der Zwanziger am Ringen um die Achttausender teilhaben. Einige von ihnen glaubten gar, auf diese Weise die Sieger des Weltkrieges auf dem bergsteigerischen Felde übertrumpfen zu können. Zu ihnen zählte Paul Bauer, der 1929 eine leidlich erfolgreiche Expedition zum Kantsch geführt hatte und diese zwei Jahre später fortsetzen wollte.
Demgegenüber verfolgte Welzenbach ganz andere Ziele. Sein Können und seine Erfahrungen im Eis verrieten ihm, der eher sportlich als national dachte, dass der Nanga Parbat das lohnendere und aussichtsreichere Ziel sei. Wenn man nicht auf die finanzielle Unterstützung des Alpenvereins verzichten wollte oder konnte, die im Angesicht einer Weltwirtschaftskrise sowieso nur zögernd und spärlich floss, so waren zwei gleichzeitige Expeditionen zu verschiedenen Bergen völlig ausgeschlossen. Außerdem blockierte das Auswärtige Amt die Unternehmungen, weil man bei den Verhandlungen um die Reduzierung der Reparationsforderungen auf die Zahlungsunfähigkeit der Deutschen setzte und diesen Eindruck nicht durch kostspielige Reisen gefährden wollte. Nicht zuletzt sahen es wohl auch einige britische Kolonialherren nicht ein, warum sie auf ihre Jagdausflüge und Regierungsreisen in die Himalayaberge nur deshalb verzichten sollten, weil ihnen deutsche Bergsteiger wieder einmal die besten Träger und auch die raren Lebensmittel wegschnappten.
So musste Welzenbach, der das große Intrigentheater, das Bauer gegen seine Pläne in Szene setzte, erst spät durchschaute, mehrfach in den sauren Apfel beißen, sich im Kampf um das Geld geschlagen geben und auf eine eigene Expedition verzichten. Erst 1934 gelangte er dann endlich an sein Traumziel, den Nanga Parbat. Allerdings musste er sich dafür der Führerschaft des wenig geeigneten Willy Merkl unterwerfen und eine von ihm eher abgelehnte Aufstiegsroute sowie einen ungünstigen Zeitplan akzeptieren. Diese misslichen Umstände macht Messner für die Katastrophe am langen Grat des Nanga Parbat verantwortlich, wo Merkl, Welzenbach und sieben weitere Bergsteiger starben. Eigentlich ist es müßig, zu fragen, wie Messner es am Ende tut, was passiert wäre, wenn der Alpenverein sofort die Qualitäten Welzenbachs erkannt und ihm alleine, wie zunächst vereinbart, ohne die Zeit mit Querelen zu vergeuden, den Diamir-Zugang zum „Schicksalsberg der Deutschen“ ermöglicht hätte, anstatt opportunistisch auf Bauer und dessen Kantsch-Pläne zu setzen. Immerhin machen die Dokumente das Dilemma der Verantwortlichen deutlich. Messner will daher auch nicht von der Schuld des Vereins sprechen, sondern das Bewusstsein wecken „für diese seine Verantwortung, das ihn stark macht.“
Viele der Dokumente, die Messner heranzieht, sind bekannt. In einigen Teilen kann er jedoch auf eine „Akte Welzenbach“ zurückgreifen, die aus dem Nachlass von Welzenbachs Mutter (1876-1970) stammt und über Anton Schwembauer an den Autor gelangt ist. Was über persönliche Beileidsbekundigungen hinaus aus dieser „Akte“ stammt, bleibt unklar, weil Messner, wie er betont, „keine wissenschaftliche Arbeit“ schreiben wollte und daher konsequent die Herkunft all seiner Quellen verschweigt. Auf dieser etwas heiklen Quellenlage, überwiegend mit Datum versehenen, mehr oder weniger offiziellen Schreiben, beruhen allerdings die Täterprofile, die Messner erstellt.
Während die Äußerungen des umtriebigen Bauer eindeutig seine verschrobene, nationalsozialistische (Beitritt zur NSDAP 1933), denunziatorische, ja antisemitische Gesinnung enttarnen, bleiben echte Charaktermerkmale Welzenbachs eher unscharf und oberflächlich: „Welzenbach war in erster Linie Bergsteiger, kein Vereinsmeier. Seine Freunde waren Alpinisten, keine Intriganten.“ „Gerechtigkeit ist ihm heilig.“ Oder etwas moderner: „Neben großem Kletterkönnen bei den technischen Schwierigkeiten waren Erfahrung und Risikomanagement Voraussetzungen für seinen Erfolg sowie ein außergewöhnliches körperliches Leistungsvermögen.“ Und wenn man liest: Welzenbach „möchte Ideen umsetzen, bergsteigen, davon erzählen, darüber schreiben. Ihm geht es nicht um Macht, er sucht das Abenteuer“, dann meint man, Messner über sich selbst reden zu hören. Wir wissen nicht, was die Zuhörer dachten, als man dem toten „Eispapst“ nachrief: „Er starb für Deutschlands Geltung und Ruhm.“ Heute wissen wir allerdings, dass sie diese und ähnliche Phrasen noch bis zum Überdruss vernehmen mussten, und sind damit gewarnt vor der Vereinnahmung für falsche Ziele.