Eine jede Tour in den Alpen beginnt erstmal hier: in den Tälern, in der für die Reise gebuchten Unterkunft, an überfüllten Parkplätzen oder auch am Bahnsteig.
Hier, in den Alpentälern ballt sich das alpine Leben, denn dort ist Straßenbau möglich und das Klima angenehm. Durch die Talgebiete schlängelt sich ein Netz an Verkehrswegen, die sowohl zum Gütertransit und von den Einheimischen vor Ort als auch den rund 100 Millionen Tourist*innen jährlich im gesamten Alpenbogen genutzt werden. Die Alpen sind damit eine der besterschlossenen Hochgebirgsregionen der Welt. Um diesem Andrang gerecht zu werden, braucht es eine umfassende Infrastruktur.
Wo so viele Nutzungen auf engem Raum zusammentreffen, stoßen Natur, Mensch und Infrastruktur zunehmend an ihre Grenzen – und die Klimakrise verschärft die Situation weiter.
Wie Verkehr, Tourismus und Zersiedelung das Klima anheizen
Talgebiete sind nicht nur betroffen von den klimatischen Entwicklungen im Hochgebirge – sie tragen auch wesentlich zur Klimakrise bei. Vor allem der intensive Tourismus, der damit verbundene Verkehr sowie die Siedlungsentwicklung verursachen oft hohe Treibhausgasemissionen, die die Erwärmung der Alpen weiter beschleunigen.
Erholung mit Nebenwirkungen
Der Tourismus ist ein zentraler Wirtschaftsfaktor vieler alpiner Regionen, zugleich aber ein großer Belastungsfaktor für das Klima. Um die Nachfrage zu bewältigen, wird die touristische Infrastruktur in den Talräumen stetig ausgebaut: Hotels, Zufahrtsstraßen, Parkplätze, Seilbahnen, Gastronomie- und Freizeitanlagen prägen vielerorts das Landschaftsbild. Sie beanspruchen aber große Flächen und verbrauchen erhebliche Mengen an Energie und Ressourcen.
Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten
Ein besonders problematischer Aspekt ist der Verkehr, allen voran der motorisierte Individualverkehr: Mit rund 24 % ist der Verkehrssektor europaweit der zweitgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen – 60 % davon entfallen auf Pkw und Motorräder. Im Alpentourismus stammen sogar 75 % der CO₂-Emissionen allein aus dem Verkehrsbereich. Dass immer mehr Menschen nur für einen oder wenige Tage im Urlaub ins Gebirge fahren, führt dazu, dass die Bedeutung des Pkw-Verkehrs weiter zunimmt und immer mehr Emissionen durch die touristische Anreise verursacht werden. Die Folge sind überlastete Verkehrswege, kilometerlange Staus und überfüllte Parkplätze. Eine häufige Reaktion: Straßen und Stellflächen werden weiter ausgebaut – Maßnahmen, die den Verkehr langfristig zusätzlich ankurbeln und die Klimabelastung weiter verschärfen.
Wenn Wachstum die Landschaft frisst
Gleichzeitig schreitet die Zersiedelung in den alpinen Talräumen voran: Ferienwohnungen, Einfamilienhäuser, Gewerbeflächen und Freizeitbauten breiten sich zunehmend außerhalb geschlossener Ortskerne aus. Eine Studie der BOKU Wien von 2024 zeigt, dass sich die stark zersiedelten Flächen in Österreich zwischen 1975 und 2020 verfünffacht haben. Diese Form der Bebauung versiegelt zunehmend Flächen, erschwert eine klimafreundliche Energieversorgung, erhöht den Mobilitätsbedarf – und fördert damit erneut den individuellen Pkw-Verkehr.
Neben der Zerstörung wertvoller Lebensräume verlieren wir durch zunehmende Bodenversiegelung auch einen wichtigen CO₂-Speicher. Intakte Böden, Wälder und Grünflächen binden nicht nur Kohlenstoff, sondern kühlen auch die Siedlungsräume und halten Wasser bei Starkregen zurück – wichtige Schutzfunktionen, die durch Zersiedelung und Versiegelung zunehmend gefährdet sind.
Wenn Täler zur Falle werden
Die intensive Nutzung alpiner Talgebiete und die damit verbundenen Emissionen beschleunigen die Erwärmung der Alpen mit gravierenden Folgen für Natur, Mensch und Infrastruktur. Der Rückgang der Gletscher, das Auftauen des Permafrosts und die Zunahme extremer Wetterereignisse erhöhen das Risiko für Felsstürze, Murenabgänge und Überflutungen. Immer häufiger geraten Siedlungen in Talräumen in Gefahr, verschüttet oder überschwemmt zu werden – wie zuletzt in Blatten in der Schweiz.
Am 28. Mai 2025 löste sich dort ein großer Teil des Birchgletschers, der durch Bergsturzmaterial und Schmelzwasser an der Gletschersohle ins Rutschen geriet, in die Schlucht des Birchbachs stürzte und dabei rund 130 Häuser sowie die Kirche – etwa 90 Prozent des Ortes – unter Schutt und Eis begrub. Bergstürze vorherzusagen ist zwar kaum möglich, doch dank eines Frühwarnsystems konnte in der Schweiz fast die gesamte Bevölkerung von Blatten rechtzeitig evakuiert und so vor dem verheerenden Gletscherabbruch geschützt werden.
Von manchem zu viel, von manchem zu wenig
Auch die Wasserversorgung in den Talgebieten gerät zunehmend unter Druck. Die Alpen gelten als „Wasserturm Europas“ und speisen Flüsse, Seen und Grundwasservorräte weit über den Alpenraum hinaus. Wenn die Temperaturen aber auch in hohen Lagen steigen, fließt der Niederschlag vermehrt direkt als Regen ab, statt als Wasserreserve in Form von Schnee liegen zu bleiben. Mit den schwindenden Gletschern fließt auch immer weniger Schmelzwasser ab. Für die Talräume hat das doppelte Folgen: Längere Trockenphasen im Sommer setzen Landwirtschaft, Bevölkerung und Tourismus unter Stress, während häufigere und heftigere Starkregenereignisse die Infrastruktur überlasten und Schäden verursachen. So drohen die Täler zwischen Wassermangel und Hochwasser zerrieben zu werden.
Zusätzlich belastet der starke Verkehr die Regionen – nicht nur klimatisch, sondern auch durch Schadstoffe und Lärm. Enge Täler verhindern die freie Ausbreitung von Schadstoffen und Schall. Dieser Effekt wird durch bodennahe Inversionslagen verstärkt, bei denen kalte Luft in den Tälern unter wärmerer Luft eingeschlossen ist. Abgase und Lärm stauen sich – die Belastung kann dadurch bis zu dreimal so hoch sein wie in Flachlandregionen. Das beeinträchtigt nicht nur die Gesundheit und Lebensqualität der Menschen, sondern setzt auch Pflanzen und Bergwälder unter zusätzlichen Stress.
Zukunft bauen – Unsere Vision für Talgebiete
Was macht alpine Talräume in Zeiten von Klimakrise, wachsendem Nutzungsdruck und begrenztem Raum zukunftsfähig? Der Deutsche Alpenverein setzt sich für eine Entwicklung ein, die diese Räume nicht weiter belastet, sondern stärkt: als klimaresiliente, naturnahe und lebenswerte Orte – für die Menschen, die dort leben, und für alle, die sie verantwortungsvoll nutzen möchten.
Klasse statt Masse
Ein zukunftsfähiger Tourismus orientiert sich an den Belastungsgrenzen der Region. Wenn wir ihn künftig auf Qualität statt Quantität ausrichten, kann er Teil der Lösung werden. Die Bergsteigerdörfer zeigen bereits heute, dass sanfter, naturverträglicher Tourismus nicht nur möglich, sondern auch attraktiv ist – für Gäste und Einheimische gleichermaßen. Der DAV lehnt den weiteren Ausbau der Tourismusinfrastruktur in bislang unerschlossenen Gebieten ab. Neue Erschließungen, großflächige Zusammenschlüsse oder künstliche Erlebniswelten widersprechen dem Prinzip eines naturverträglichen Tourismus und gefährden wertvolle alpine Räume.
Auf die Schiene setzen
Ein zentraler Hebel für klimaschonende Talgebiete ist die Mobilitätswende. Der Personen- und Güterverkehr muss deutlich stärker von der Straße auf die Schiene verlagert werden. Gleichzeitig braucht es einen attraktiven, gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr, der sowohl für die Anreise als auch für die Mobilität innerhalb des Alpenraums eine echte Alternative zum Auto bietet. Besonders im stark wachsenden Tagestourismus sind klimafreundliche Alternativen entscheidend. Anstatt immer neuer Parkplätze braucht es ein wirksames Parkraummanagement mit spürbar höheren Gebühren. Wer mit Bus und Bahn anreist, soll ebenso spürbare Vorteile haben – auch finanziell. Schon heute gibt es dafür attraktive Angebote wie das Deutschlandticket, regionale Tages- und Gruppenkarten wie das Bayern- oder Guten-Tag-Ticket oder das Einfach-Raus-Ticket oder Klimaticket in Österreich, die die Anreise unkompliziert und günstig machen. Der DAV unterstützt Bergsportler*innen bei der Tourenplanung, die gezielt auf öffentliche Verkehrsmittel abgestimmt ist, etwa über unsere Plattform alpenvereinaktiv.com oder mit Hilfsmitteln wie dem Öffi-Netzplan von Michael Vitzthum.
Einsparen und Effizienz vor Ausbau
Auch die Energieversorgung in den Talgebieten muss sich grundlegend wandeln. Der Bau neuer Kraftwerke darf dabei nur die letzte Option sein. Vorrang haben eine deutliche Senkung des Energieverbrauchs durch Einsparungen und Effizienzsteigerungen – sowohl im Verbrauch als auch bei bestehenden Anlagen. Neue Projekte sollten nur dort realisiert werden, wo sie vorhandene Infrastruktur nutzen und sensible Naturräume unberührt bleiben. Besonders Photovoltaik hat dabei Priorität, da sie sich flächenschonend auf Dächern, Lärmschutzwänden oder über Parkplätzen integrieren lässt. Ein Vorzeigeprojekt ist die Photovoltaikanlage auf der Autobahneinhausung bei Trebesing in Kärnten: Sie produziert jährlich über eine Million Kilowattstunden – genug, um drei Viertel des gesamten Strombedarfs der Gemeinde sowie Tunnel und kommunale Einrichtungen zu decken.
Der DAV lehnt neue Großkraftwerke in bislang unerschlossenen Gebieten klar ab und fordert transparente, umweltverträgliche Entscheidungsprozesse mit umfassender Einbindung der Bevölkerung.
Innen statt außen bauen
Ebenso wichtig ist eine zukunftsfähige Siedlungsentwicklung, die dem Eigenbedarf der Orte dient, die Landschaft schont und die Baukultur respektiert. Statt immer neue Flächen am Ortsrand zu versiegeln, braucht es eine konsequente Innenentwicklung: Baulücken nutzen, bestehende Strukturen verdichten und vorhandene, oft kulturhistorisch wertvolle Bausubstanz sanieren und anpassen. Neue Siedlungen und Ferienanlagen sollen kompakt und hochwertig geplant, ökologisch gebaut und gut in Landschaft und Baukultur integriert sein. Ökologisch wertvolle, hochwasserrelevante und für die Erholung bedeutsame Flächen müssen frei von Bebauung bleiben. Gut vernetzte Freiräume und Retentionsflächen gliedern die Tallagen und erhalten ihre Funktionsfähigkeit.
Alpine Talgebiete sind die Lebensadern der Alpen – Räume, die es zu schützen und zu stärken gilt. Wenn wir sie nachhaltig gestalten, leisten sie einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und werden zugleich widerstandsfähiger gegenüber den Folgen der Klimakrise. So bieten sie mehr Lebensqualität für die Menschen vor Ort, fördern einen naturverträglichen Tourismus und tragen zu einem zukunftsfähigen Alpenraum bei.