Bergsturz am Piz Scerscen
Klaffende Wunde im „Festsaal der Alpen“ (aufgenommen ca. 6 Stunden nach dem Ereignis vom Gipfel des Piz Nair). Foto: Manfred Scheuermann
Klimalehrpfad

Permafrost: Der unsichtbare Kitt der Alpen

Wie ein Kleber sorgt Permafrost im Gebirge dafür, dass Berge stabil bleiben. Doch die Klimakrise lässt auch den Permafrost tauen. Wie drastisch sind die Folgen des Tauens?

Wann wir auf dem Weg zum Gipfel Permafrost unter unseren Füßen haben, ist schwer zu sagen: weil wir Permafrost erst einige Meter unterhalb der Erdoberfläche finden können, ist er für uns Bergsteiger*innen in der Regel unsichtbar. Eine Ausnahme sind Blockgletscher, steile Schuttwülste, die ähnlich wie ein Glescher talwärts kriechen und die eine fühlbare Kälte ausstrahlen, wenn man an ihnen vorbeiläuft. Obwohl wir den Permafrost auf unserer Tour dort vielleicht spüren können - wenn er taut, sehen wir die Konsequenzen deutlich. Und die Klimakrise erwärmt den Permafrost immer mehr.

Frostiger Fels

Permafrost ist dauerhaft gefrorener Boden, der mindestens zwei Jahre hintereinander durchgehend Temperaturen unter null Grad Celsius aufweist. Dabei gefriert der Boden selbst, also Erde, Gestein, Sand oder Schlamm sowie das im Boden enthaltene Wasser. Entscheidend für Permafrost ist aber allein die Temperatur, nicht das sichtbare Vorhandensein von Eis. Gerade im Hochgebirge, wo der Untergrund aus reinem Fels besteht und sich Wasser vor allem in kleinsten Rissen und Klüften sammelt, ist der Anteil an Eis im Permafrost häufig eher gering.

Weil Permafrost - wie der Name schon sagt - permanent gefrorenes Material beschreibt, ist er einige Meter unter der Erdoberfläche zu finden, wo er vor der direkten Witterung, Temperaturschwankungen und der Sonneneinstrahlung geschützt ist. Die Schicht darüber ist die sogenannte Auftauschicht, also der oberflächennahe Bereich im Verlauf der Saisonen immer wieder auftaut und gefriert. In dieser Schicht können, je nach Bodenbeschaffenheit, auch Pflanzen wachsen.

Permafrost bildet sich dann, wenn es die meiste Zeit des Jahres sehr kalt ist. So friert der Boden Schicht für Schicht stärker durch. In den Alpen findet man ihn deshalb hauptsächlich in hochgelegenen Gebieten, meist oberhalb von etwa 2.800 Metern in schattigen Nordseiten und oberhalb rund 3.200 Metern an Südseiten. Auch die Oberflächenbeschaffenheit spielt dabei eine Rolle: in großen Schutthängen kann Permafrost auch in deutlich niedrigeren Lagen vorkommen. Dort wo Permafrost vorkommt, stabilisiert er den Untergrund, indem die einzelnen Bodenkomponenten aneinander festfrieren.

In den Alpen verbirgt sich der Permafrost vor allem in Schutthalden und Felswänden oberhalb der Baumgrenze. Auf einer Fläche von etwa 3% der Alpen wird Permafrost vermutet. Zum Vergleich: Gletscher bedecken etwa 1 % der Gesamtfläche der Alpen. Der größte Anteil des alpinen Permafrosts liegt in den Schweizer Alpen, gefolgt von Italien und Österreich.

Wo Permafrost auch für uns sichtbar wird, sind Blockgletscher. Das sind Ansammlungen aus losem Schutt, oft aus Moränen oder Material aus Hangrutschen, die komplett durchfrieren und im Inneren auch gefroren bleiben. Hier ist der Anteil an Eis meistens größer als bei Permafrost im Untergrund, weil hier mehr Wasser zwischen die Steine dringen und dort gefrieren kann. Die Eislinsen in Blockgletschern können mehrere Meter dick sein - und damit auch sehr schwer. Durch sein Eigengewicht fängt der gefrorene Schuttberg an, in Richtung Tal zu kriechen - wie ein Gletscher aus Eis auch. Daran sind Blockgletscher dann auch für Bergsteiger*innen zu erkennen: sie kriechen wie große Steinwülste Richtung Tal. Die Seiten fallen in der Regel steil ab, viel steiler als bei nicht gefrorenem Material, weil der Schutt aneinander festfriert und so nicht wegrutscht sondern praktisch zusammenklebt.

Die Oberfläche von Blockgletschern taut und friert je nach Witterung und isoliert den gefrorenen Kern. Dort können deshalb auch Pflanzen wachsen - genauso wie auf der Auftauschicht von Permafrost in Untergrund.

Der Blockgletscher im Äußeren Hochebenkar oberhalb von Obergurgl, Ötztaler Alpen. Foto: DAV/Tobias Hipp

Weltweit ist etwa ein Sechstel der Erdoberfläche Permafrostgebiet, das meiste davon in Russland, Kanada und Alaska und nicht nur im Gebirge. Gerade in Sibirien sind es eher flache Tundragebiete, wo der Permafrost organisches Material bindet. Der gefrorene Boden reicht dort bis zu 1600 Meter in die Tiefe.

Steigende Temperaturen auch im Boden

Wird es an der Erdoberfläche wärmer, dringt die Wärme auch langsam in immer tieferen Schichten vor und erwärmt den Permafrost. Seit dem Jahr 1850 hat sich die untere Grenze des Permafrosts in den Alpen bereits um über 150 Höhenmeter nach oben verschoben. Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts könnten es noch einmal bis zu 300 Meter werden.

Permafrost gilt als sensibler Indikator für langfristige Klimaentwicklungen. Je tiefer im Untergrund desto länger braucht es bis die Erwärmung von der Oberfläche ankommt und desto weniger sind saisonale Temperaturschwankungen zu erkennen. Die Erwärmung des Permafrosts geschieht dadurch deutlich langsamer und mit einem zeitlichem Verzug im Vergleich zur Lufttemperatur. Genau darin liegt seine Aussagekraft: der tauende Permafrost zeigt, dass sich das alpine Klima deutlich und stetig erwärmt. In sämtlichen Messstationen ist seit Beginn der Messungen 1988 ein deutlicher Erwärmungstrend zu erkennen, der nun auch in den tiefsten Bodenschichten messbar ist. Eine deutliche Beschleunigung der Erwärmung des Permafrosts ist vor allem in den letzten 10 Jahren messbar.

Wusstest du schon?

Der Unterschied zwischen Fels- und Bergsturz ...

... liegt in der Menge des abgebrochenen Materials. Bei mehr als einer Million Kubikmeter abgebrochenen Materials spricht man von einem Bergsturz, so wie beim Fluchthorn in Tirol 2023, dessen Gipfel nach dem Ereignis rund 19 Meter niedriger ist. Stürzt weniger ab als bei einem Bergsturz, spricht man von einem Felssturz und stürzen nur einzelne Steine oder Blöcke aus den Wänden bezeichnet man das als Steinschlag - ein alltägliches Ereignis im Gebirge.

Die Forschung zum Permafrost braucht auch dich, ...

... denn jeden Berg detailliert zu überwachen, ist als Forschungsinstitut nicht zu leisten. Projekte wie das Beobachtungsnetzwerk PERMOS in der Schweiz oder das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) leisten hier wichtige Pionierarbeit. Über das SLF können auch Laien als Citizen Scientists mithelfen: Über einen Fragebogen lassen sich Felsstürze erfassen – jede einzelne Meldung hilft, Risiken besser einzuschätzen.

Halt durch Permafrost

In den Alpen ist die wohl entscheidendste Funktion des Permafrosts seine stabilisierende Wirkung: Wie ein unsichtbarer Kleber bindet er Felsblöcke und Schutthalden, sichert steile Hänge und festigt Bergrücken und Gipfelbereiche. Doch wenn dieser natürliche Klebstoff schwindet, gerät die Statik ins Wanken – Felsstürze, Hangrutsche und ganze Bergstürze können die Folge sein, wie 2023 am Fluchthorn, 2024 am Piz Scercen sind die Folge oder im Mai 2025 oberhalb des Dorfes Blatten im schweizerischen Lötschental. Dort lösten sich rund neun Millionen Kubikmeter Eis, Schlamm und Gestein. Das entspricht etwa 750.000 LKW-Ladungen voller Material. Fast 90 Prozent des – zum Glück rechtzeitig evakuierten – Dorfes wurden verschüttet.

Instabil schon ab -1° C

Entscheidend für die stabilisierende Wirkung von Permafrost ist nicht zwingend der Eisgehalt, sondern vor allem seine Temperatur. Grundsätzlich gilt: je kälter, desto fester. Je kälter die Temperatur desto höher ist die Reibung in den unzähligen kleinsten Rissen und Klüften im Berginneren. Der Permafrost muss also gar nicht erst tauen und verschwinden. Mit steigender Temperatur wird der Untergrund immer elastischer, so ähnlich wie bei einem Eis am Stiel: das wird auch erst weicher, bevor es auf die Hand tropft. Der Permafrost wird bereits bei einer Temperatur ab -1°C so elastisch, dass ganze Felswände einstürzen können.

Alpine Infrastruktur unter Druck

Diese Ereignisse bedrohen nicht nur Täler und Siedlungen – auch die alpine Infrastruktur kann in Einzelfällen betroffen sein. Durch das schmelzen von Eis im Permafrost kommt es zu einem Volumenverlust und folglich z.B. zu Sackungen von Fundamenten von Hütten oder Liftstützen.

Mehr Gefahren für Bergsteigende

Mit dem „natürlichen Klebstoff“ Permafrost in Hängen, Felswänden und Gipfeln verschwindet auch die Stabilität vieler Kletter- und Hochtouren. Manche Routen werden so unberechenbar gefährlich, dass von ihrer Begehung je nach Verlauf des Sommers immer öfter schon abgeraten werden muss. Ein Beispiel: die Querung des Goûter-Couloirs am Mont Blanc. Im Sommer geht dort alle alle 37 Minuten ein Steinschlag über die Aufstiegsroute.

Ein Problem dabei: Permafrost ist mit bloßem Auge nicht erkennbar. Anders als etwa die Lawinengefahr im Winter lässt sich das Risiko vor Ort kaum einschätzen. Für Bergsteigende bedeutet das: Klimawandelbedingte Risiken müssen bei der Tourenplanung stärker mitgedacht werden – in Bezug auf Jahreszeit, Routenwahl und Risikoabwägung.

Beim Anstieg zur Goûter-Hütte muss das Grand Couloir (hinter dem rechten Grat) gequert werden – Steinschlaggefahr inklusive. Foto: AdobeStock/almostfuture

Unsichtbarer Permafrost formt sichtbar die Landschaft

Die Auswirkungen gehen jedoch weit über akute Gefahren hinaus: Wenn Permafrost taut, verändert sich der Wasserhaushalt der Alpen. Der bislang wasserundurchlässige Boden wird durchlässig – Seen, Quellen und Feuchtgebiete können versickern oder verschwinden ganz. Das wirkt sich nicht nur auf alpine Ökosysteme, sondern auch auf die Trinkwasserversorgung in tieferen Lagen aus. Auch Quellen von Hüttenstandorten können teilweise durch Permafrostvorkommen oder aktive Blockgletscher gespeist sein.

Gleichzeitig verändert sich die Vegetation. In wärmerem, weicherem und feuchterem Boden können sich neue Pflanzenarten ansiedeln – und so die biologischen und mikrobiellen Kreisläufe ganzer Höhenlagen grundlegend verändern.

Mehr Klimaschutz für weniger Risiko

Der Rückgang des Permafrosts ist eine direkte Folge der steigenden Temperaturen im Zuge der Klimakrise. Deshalb gilt: Klimaschutz ist Permafrostschutz. Je konsequenter wir Emissionen senken, desto besser können wir die Erwärmung verlangsamen – und damit auch den Permafrost in den Alpen erhalten.

Komplett erhalten werden wir die aktuellen Permafrostgebiete aber trotzdem nicht können. Forschung und Monitoring spielen deshalb eine entscheidende Rolle, um mögliche Gefahren einschätzen und entsprechend reagieren zu können.

Ein wichtiger nächster Schritt wäre ein Risikofrühwarnsystem, das – ähnlich wie der Lawinenlagebericht im Winter – auch im Sommer über alpine Gefahren informiert und in die Tourenplanung einfließt. Denn: Wer Risiken kennt, kann besser handeln. Aufklärung, Forschung und ein bewusster Umgang mit den Veränderungen im Hochgebirge sind deshalb essenziell – für sichere Bergerlebnisse, auch in Zeiten der Klimakrise.

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