Aperer Gletscher mit Spalten.
Immer früher im Jahr erscheinen die Gletscher in den Alpen oft grau. Foto: DAV/Carolin Funcke
Klimalehrpfad

Gletscher: Das nicht mehr ewige Eis

An den Alpengletschern erkennen wir die Folgen der Klimakrise besonders drastisch. Sie haben bisher schon 60% an Masse eingebüßt. Wie können wir sie noch schützen?

Hoch oben in der nivalen Zone verwandelt sich der Boden unter unseren Füßen allmählich – Steigeisen und Pickel werden ausgepackt und aus festem Fels wird eisiger Grund. Wir betreten die Gletscher – oder vielmehr das, was von diesen einst mächtigen Eisriesen noch übrig ist.

Seit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert haben die Alpengletscher bereits rund 60 Prozent ihrer Masse eingebüßt. Wissenschaftliche Prognosen zeichnen je nach Klimaszenario ein düsteres Bild: Bis Mitte des Jahrhunderts wird ein Großteil der Gletscherfläche der Ostalpen bereits abgeschmolzen sein, in den Westalpen spätestens bis Ende des Jahrhunderts.

Oben nähren, unten zehren

Im Gebirge entstehen Gletscher weit oben in kalten, oft windigen Schattenlagen. Niederschlag fällt hier vor allem als Schnee, der dort oben über viele Jahre liegen bleibt. Über die Jahre sammelt sich der Schnee an und die unteren Schichten werden immer stärker zusammengepresst. So wird langsam aus lockerem Schnee massives, schweres Gletschereis. Auch Lawinenkegel, verwehter Schnee, Schneerutsche oder gefrierendes Schmelzwasser erhöhen den Druck auf die unteren Schichten und können so den Gletscher nähren.

Hat sich genügend Eis gebildet, setzt sich das Eis durch sein Eigengewicht langsam in Bewegung – es beginnt zu fließen. Jetzt sprechen wir von einem Gletscher. Bleiben die klimatischen Bedingungen konstant, kann sich im sogenannten Nährgebiet, den hochgelegenen Zonen des Gletschers, weiterhin Schnee in Eis umwandeln, das den Gletscher von oben weiter ins Tal drückt.

Auf seinem Weg ins Tal erreicht der Gletscher irgendwann eine Höhenlage, in der der Schnee nicht mehr ganzjährig liegen bleibt, sondern im Sommer schmilzt. Hier kann der Gletscher nicht mehr weiter wachsen, er bleibt durch die nachrückenden Massen von oben aber noch im Gleichgewicht. Noch weiter talwärts kippt das Gleichgewicht dann in die Gegenrichtung: Die Temperaturen sind so hoch, dass der Gletscher kontinuierlich Eis verliert - hier ist das Zehrgebiet des Gletschers. Die Abgrenzung zwischen Nährgebiet und Zehrgebiet ist die Gleichgewichtslinie: oberhalb dieser Höhenlage gewinnt der Gletscher an Masse, unterhalb verliert er an Masse.

Ob ein Gletscher wächst oder schrumpft, hängt somit von seiner Massenbilanz und der Höhe der Gleichgewichtslinie ab: Überwiegt das Nähren in Hochlagen mit einer niedrigen Gleichgewichtslinie, wächst der Gletscher; dominiert das Abschmelzen in tieferen Gebieten und liegt die Gleichgewichtslinie in hohen Lagen, zieht er sich zurück. Halten sich beide Prozesse die Waage, bleibt seine Größe in etwa konstant.

Entstehung der Gletscher. Illustration: Marmota Maps

"Ewiges" Eis noch bis 2100

Weltweit sind die Gletscher aber auf dem Rückzug: Seit dem Jahr 2021 wächst die große Mehrheit der Gletscher nicht mehr. Besonders alarmierend ist die Entwicklung in den Alpen: seit 2001 wurde kein Wachstum mehr festgellt. Seitdem haben die alpinen Gletscher rund 42 Gigatonnen Eis verloren - ungefähr 35 Mal den gesamten Inhalt des Bodensee und das innerhalb der letzten knapp 25 Jahre.

Und der Trend zeichnet sich weiter negativ ab: bei einer globalen Erwärmung um "nur" 2.6 °C (im Vergleich zur vorindustriellen Zeit) werden bis 2100 nur noch knapp ein Drittel der heutigen Alpengletscher übrig sein. Unternehmen wir nichts gegen den Klimawandel und folgen dem Klimaszenario mit der stärksten Erwärmung um global etwa 4,8 °C im Vergleich zum vorindustriellen Zustand, dann werden die Alpengletscher bis 2100 komplett verschwunden sein.

Hört ein Gletscher auf zu fließen, verliert er seinen Status als Gletscher. Zuletzt wurde in Deutschland dem Südlichen Schneeferner auf der Zugspitze dieser Status aberkannt – zurück bleibt nur noch regloses Toteis, das langsam und unwiderruflich schmilzt. Viele weitere Gletscher stehen kurz davor, ihren Gletscherstatus zu verlieren.

Wusstest du schon?

Weltweit sind etwa ...

... 10 Prozent der Landfläche von Gletschern bedeckt.

Toteis kann für Bergsteiger*innen gefährlich werden, ...

... denn es wird häufig von Schutt bedeckt und ist vom Fels rundherum deshalb oft nur schwer zu unterscheiden. Das Eis drunter schmilzt aber trotzdem weiter. So können Hohlräume entstehen, durch die Bergsteiger*innen einbrechen können. Im Voralpenland kennen wir solche Toteislöcher aus den Eiszeiten als steil abfallende Senken. Manchmal sind sie auch mit Wasser gefüllt und bilden kleine Seen mit steilen Ufern.

Gletscher sind ein Fenster ...

... in die Vergangenheit. Im Eis finden sich zum Beispiel Lufteinschlüsse, die uns Rückschlüsse auf die Atmosphäre von vor vielen Tausend Jahren ziehen lassen. Daher wissen wir, dass noch nie so viel Kohlenstoffdioxid in unserer Atmosphäre war wie heute.

Gletscher schwimmen ...

... manchmal auf einer Schmelzwasserschicht Richtung Tal. Das Gletschereis schmilzt zwar vor allem an der Oberfläche, wo es der Temperatur und der Sonne ungeschützt ausgeliefert ist. Das Schmelzwasser sickert aber auch durch Spalten und sogenannte Gletschermühlen tief in den Gletscher hinein, zum Teil bis auf den felsigen Untergrund. Dort kann es einen Wasserfilm unter dem Eis bilden und auch dort die Eisschmelze beschleunigen oder sich in Hohlräumen zu Wasserblasen ansammeln. Das macht den Gletscher zunehmend instabil: er rutscht auf dem Wasser mehr als auf felsigem Untergrund und die Eisschichten können dem Druck des Wasser unter Umständen nicht mehr standhalten - der Gletscher bricht ab, so wie 2022 an der Marmolata in Südtirol.

Die Gletscher könnten Inseln im Meer versenken, ...

... wenn sie abschmelzen. Überall auf der Erde fließt das Wasser, das bisher in den Gletschern gebunden war, über Flüsse in unsere Meere - und lassen dort den Wasserspiegel ansteigen. Eine Studie des Fachmagazin Science aus dem Januar 2023, prognostiziert, dass bis Ende des Jahrhunderts etwa zwei Drittel der heute existierenden Gletscher verschwunden sein werden. Das würde den Meeresspiegel um gut 11-18 mm anheben. Würden alle Gletscher schmelzen, stiege der Meeresspiegel um rund einen halben Meter. Hinzu kommen die großen Eisschilde Grönlands und der Antarktis – zusammen könnten sie den Meeresspiegel um knapp 70 Meter anheben.

Die Alpengletscher sind insgesamt zu klein, um allein für einen derartigen Meeresspiegelanstieg zu sorgen. Die Klimakrise betrifft aber weltweit alle Gletscher und gerade im Himalaya und in den Anden ist noch viel Wasser gebunden.

Überlebensfaktor Gletscher

Wasserspeicher, Frühwarnsystem und Klimaregulator - Gletscher erfüllen wichtige Funktionen im Ökosystem Alpen und erleichtern uns Bergsteiger*innen häufig den Aufstieg.

Gletscher zeigen an, was vielen Landstrichen noch bevorsteht.

Gletscher sind ein Frühwarnsystem unseres Planeten. Ihr rasantes Schmelzen ist ein direktes Zeichen der globalen Erwärmung und macht den Klimawandel für uns sichtbar und erfahrbar.

Gletscher speichern Trinkwasser.

Für viele Regionen in und unmittelbar angrenzend zu den Alpen sind Gletscher wichtige Wasserlieferanten, denn besonders in den trockenen Sommermonaten liefern sie stetig Schmelzwasser. Dabei übernehmen sie in besonders heißen Jahren eine Ausgleichsfunktion: durch die höheren Temperaturen geben die Gletscher vermehrt Schmelzwasser ab und versorgen so die umliegenden Flüsse und Täler, wenn dort die Wasserreserven aus beispielsweise Niederschlägen knapp werden. In alpinen Tälern nahe der Gletscher, wie z.B. im Ötztal, kann Gletscherwasser 60-80% des Abflusses im Sommer ausmachen. Je weiter von den Alpen entfernt nimmt der Einfluss der Gletscherschmelze ab, kann aber in manchen Flüssen wie z.B. Rhone oder Po, noch bis zu einem Viertel des Abflusses ausmachen. Gerade wegen der Gletscher werden die Alpen oft als das „Süßwasserschloss Europas“ bezeichnet, das mit steigenden Temperaturen zu versiegen droht.

Gletscher regulieren sowohl das globale als auch das lokale Klima.

Weiße Schnee- und Gletscheroberflächen haben eine hohe Albedo, d.h. sie reflektieren einen großen Teil der Sonnenstrahlung – deutlich mehr als etwa grauer Fels – und tragen so zur Kühlung der Umgebung bei. Dieser Effekt, wirkt wie ein natürlicher Sonnenschutz. Wenn Gletscher jedoch schmelzen, verringert sich diese Reflexionskraft. Die Gletscheroberflächen werden durch immer mehr Schuttablagerung dunkler und die freigelegten dunklen Felsen absorbieren mehr Sonnenlicht, was die Erwärmung verstärkt und die Gletscherschmelze weiter antreibt – ein Teufelskreis, der die Klimaerwärmung beschleunigt.

Intakte Gletscher stützen und schützen ihre Umgebung.

Auf dem Gletschereis kann Regen- und Schmelzwasser kontrolliert abfließen. Schneeflächen saugen sich außerdem mit Wasser voll, was besonders bei Starkregen das Tal vor Überflutungen schützen kann. Das Wasser wird dann langsam und kontinuierlich wieder abgegeben.

Das Gewicht der Gletschermassen haben seit Jahrzehnten stabilisierenden Druck auf angrenzende Hänge und Gipfelbereiche ausgeübt und dadurch stabilisiert: wie eine Art Stützmauer. Durch den Massenverlust werden immer mehr Felsbereiche vom Eis freigelegt und können sich ausdehnen. Auch legt der Gletscher durch sein Rückziehen meist große, übersteilte und teils noch mit Eis gefüllte Schutt- und Moränenhänge frei. In Kombination mit Extremwetterereignissen und tauendem Permafrost sind diese neuen Geländebereiche besonders anfällig für Steinschlag, Murgänge, Felsstürze oder gar Bergstürze. Stabile Gletscher schützen so uns Bergsteiger*innen vor alpinen Gefahren.

Gletscher prägen die Landschaft.

Die weißen Eismassen prägen nicht nur unser Bild der Alpen, sie haben die Landschaft auch buchstäblich ausgeformt. Die Gletscherzungen haben auf ihrem Weg ins Tal Felsen und ganze Täler rund geschliffen. An ihrem Ende und den Seiten haben sie dabei Schuttwälle, die Moränen, aufgeschüttet, über die wir nun mit bester Aussicht auf viele unserer Hütten wandern können. Seit sich die Gletscher zurückziehen, geben sie immer mehr Felsen und Schutt frei, der von Pionierpflanzen wie Flechten und Moosen neu besiedelt wird. Trotzdem werden wir uns immer stärker an Schutt- und Felslandschaften gewöhnen müssen, denn die Tage der meisten Gletscher sind gezählt.

Gletscher eröffnen uns Bergsportler*innen einmalige Möglichkeiten.

Gletscher haben in der Regel eine recht glatte Oberfläche, die für Bergsteiger*innen vergleichsweise einfach zu begehen ist. Wird es steil, können die Wände mit Pickel und Steigeisen trotzdem in der Regel einfacher und schneller erklommen werden als lockerer Schutt. Fehlt Eis und Schnee, brauchen wir andere technische Fähigkeiten: Sicherungen im losen Fels sind sehr viel schwieriger anzubringen als im Eis, Schutthänge erfordern eine andere Gehtechnik als Gletscherflächen und die Bedingungen verändern sich sehr viel schneller als viele es vielleicht gewöhnt sind. Der Biancograt, einer der großen Klassiker der Alpen, ist durch die Gletscherschmelze technisch anspruchsvoller geworden und kann nur noch bei besten Bedingungen begangen werden. Die Pallavicini-Rinne am Großglockner – lange Zeit eine der bekanntesten Eiskletterrouten Österreichs – ist heute praktisch nicht mehr begehbar und im Winter kaum noch mit Ski zu befahren. Die Erstbegeher schlugen 1876 mühsam 2.500 Stufen ins mächtige Eis – von dem heute kaum noch etwas übrig ist.

Gletscher sind Lebensraum.

Auch wenn Gletschereis auf den ersten Blick recht leblos wirkt, einige Arten sind auf ihn angewiesen. Der Gletscherfloh zum Beispiel auf dem Eis. Mit dem Schmelzwasser und seiner klimaregulierenden Wirkung machen Gletscher ihre Umgebung überhaupt erst bewohnbar für Pflanzen und Tiere. Nach dem Gletscher siedeln sich zwar zunächst mehr Arten an, mit der Zeit nimmt die Artenvielfalt aber wieder ab: Die hochspezialisierten Alpenpflanzen, die diese neuen Flächen besiedeln, sind darauf angewiesen, dass Gletscher ständig neue Felsformationen freigeben. Sobald die Gletscher vollständig verschwunden sind, gibt es keine neuen Lebensräume mehr – und diese spezialisierten Arten werden zunehmend verdrängt.

Von den Alpen aus die Andengletscher schützen

Auf Hochtour. DAV/Silvan Metz

Ein großer Teil der Alpengletscher werden aller Voraussicht nach bis Ende des Jahrhunderts verschwunden sein, egal wie viele Emissionen wir noch einsparen. Vor Ort müssen wir uns deshalb an die neuen Bedingungen anpassen. Global ist es aber für viele Gletscher noch nicht zu spät: die riesigen Gletscher der Anden oder des Himalaya können und müssen noch geschützt werden - jedes Zehntelgrad weniger schützt die Bevölkerung vor Ort vor Trinkwasserknappheit, Überflutungen und Steinschlägen und uns alle vor einem steigenden Meeresspiegel und dem Auslösen anderer globaler Klimakipppunkte.

Als Deutscher Alpenverein beschäftigen wir uns außerdem intensiv mit den Folgen des Gletscherrückgangs für den Bergsport. Unsere Vision: Auch in Zukunft sollen sichere, eindrucksvolle Berg- und Hochtouren möglich bleiben. In Projekten wie ReHike erforschen wir, welche Routen auch nach dem Gletscherrückgang möglich bleiben, wie sich alpine Gefahren durch die Klimakrise verändern – und was das für unsere Touren bedeutet.

Denn eines ist sicher: Auch in einer Welt mit weniger Eis lohnt es sich, in die Berge zu gehen. Und es lohnt sich, für ihren Schutz zu kämpfen.

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