Drei Kühe auf einer grünen Almwiese tragen bunte, festliche Kopfschmuckverzierungen vor einer Bergkulisse mit Nadelbäumen.
Almen sind Kulturlandschaften, die das Bild der Alpen maßgeblich prägen. Foto: Touristik-Information Schleching
Klimalehrpfad

Almen: Hotspot der Biodiversität

Klassische Kulturlandschaft - und doch Hotspots der Biodiversität. Die Freiflächen der Almen bieten einen einzigartigen Lebensraum. Wie balancieren wir Nutzung und Schutz?

Die schellenden Kuhglocken hören wir schon von Weitem: wir haben auf unserer Tour eine Almwiese erreicht. Junge Kühe stehen am Hang und grasen oder liegen im Schatten und käuen wieder. Der Gletscherbach plätschert weiter neben uns ins Tal, vorbei an der Almhütte, vor der einige Wander*innen auf einer Bank sitzen und Rast machen. Das perfekte Alpenidyll - und je nachdem, wie stark die Almwiese landwirtschaftlich genutzt wird, auch Hotspot der Biodiversität.

Alpine Wiese ist nicht gleich Almwiese

Alpine Wiesen sind in der Regel auf ganz natürliche Art waldfrei: sie fangen erst oberhalb der Baumgrenze an und sind damit in einem besonders unwirtlichen Gebiet mit viel Wind, niedrigen Temperaturen und wenig Nährstoffen. Almen sind dagegen in der Regel noch unterhalb der natürlichen Waldgrenze. Die Flächen wurden häufig schon vor vielen Jahrzehnten gerodet (Bäume gefällt), um Weideflächen für Kühe, Schafe oder Pferde zu schaffen. Almwiesen sind also Kulturlandschaften, von Menschen so bearbeitete Naturräume, dass sie landwirtschaftlich nutzbar werden. Trotzdem haben die Almbäuer*innen damit auch ganz spezielle Lebensräume geschaffen, die heute vielen verschiedenen Tieren und Pflanzen eine Heimat bieten.

Künstliche Kulturlandschaft: (k)ein Gewinn für die Biodiversität?

Almwiesen ergänzen den Lebensraum Alpen durch ihre besonderen Bedingungen: sie liegen nicht so hoch, wie alpine Rasen, deshalb ist es auf Almen etwas wärmer, der Boden ist in der Regel nährstoffreicher und stabiler als im Hochgebirge und sie sind etwas windgeschützter als die Polsterpflanzen oberhalb der Waldgrenze. Anders als im benachbarten Bergwald kommt aber auch genug Sonne an den Boden, dass Gräser und kleine Stauden wachsen können. Ohne die Weidetiere, die dort grasen und so auch sprießende Bäume fressen, würde die Fläche über die Zeit wieder zu einem Wald zuwachsen und das geschützte Grasland als Lebensraum verloren gehen.

Der Schlüssel zu einer hohen Biodiversität ist dabei die Abwechslung: je unterschiedlicher die Bedingungen auf begrenztem Raum sind, desto mehr unterschiedliche Tiere und Pflanzen können sich dort ansiedeln. Auch dafür sorgen Weidetiere: manche Stellen auf der Almwiese komprimieren die Tiere stärker, weil sie sich dort mehr aufhalten, an anderen rupfen sie bestimmte, besonders leckere Kräuter lieber aus und machen so Platz für andere und an manchen Stellen hinterlassen sie mit ihrem Kot und Urin Nährstoffe. So schaffen die Tiere kleinteilige Nischen im Ökosystem Almwiese, in denen sich Arten mit ihren ganz eigenen Bedürfnissen ansiedeln und wiederum ganz bestimmte Insekten und Kleintiere anlocken. Diese künstlichen, durch den Menschen geschaffenen Kulturlandschaften sind also bei einer naturverträglichen Bewirtschaftung durchaus förderlich für die Biodiversität!

Diese wichtige Leistung im Ökosystem können die Weidetiere aber nur erfüllen, wenn das Verhältnis zwischen Fläche und Tieren stimmt. Denn stehen zu viele Kühe auf der Alm, sind die ökologischen Nischen überbeansprucht beispielsweise durch zu starke Trittschäden, sogenannte Viehgangeln, oder zu viel Nährstoffeintrag, sodass die speziellen Arten dort nicht mehr überleben können. Die Folge ist sogar eine schrumpfende Biodiversität. Gerade von vornherein einzigartige Landschaftstypen wie Moore sind besonders empfindlich gegenüber Eingriffen, auch durch Beweidung. Dort empfiehlt sich stellenweise eine Einzäunung der sensiblen Bereiche.

Wusstest du schon?

Auf den Almen in den Alpen weidet vor allem ...

sogenanntes Galtvieh, also Kühe, die noch kein Kalb geboren haben, sowie Stiere und Ochsen unter zwei Jahren. Rund 67 % der Almen in Österreich sind Galtvieh-Almen. Etwa ein Viertel der Almen sind Almen mit gemischtem Tierbestand. Hier wohnen auch Schafe, Ziegen und Pferde. Das heißt auch, dass wir in den Alpen nur wenige Sennalpen finden, auf denen Milchvieh gehalten und aus der Milch direkt Käse oder Butter hergestellt werden.

Alm, Alpe oder Alb - der Unterschied ...

... liegt in der Region. Im Oberbayerischen und weiten Teilen Österreichs spricht man in der Regel von Almen. Im Allgäu, im westlichen Tirol und Vorarlberg sowie in der Schweiz dagegen meistens von Alpen. Die Alb findet sich wiederum eher in den deutschen Mittelgebirgen, etwa in Baden-Württemberg auf der Schwäbischen Alb oder in Bayern auf der Fränkischen Alb.

Mit großem Kopfschmuck aus Blumen und Zweigen geht es ...

... am Ende der Saison mit den Kühen wieder ins Tal. Auf dem sogenannten Almabtrieb tragen nicht die Menschen, sondern die Kühe den Kopfschmuck - sofern der Almsommer ohne tote oder verlorene Tiere zu Ende ging. Auch hier variieren die Bezeichnungen und je nach Region gibt es ganz eigene Traditionen: die Allgäuer*innen feiern nach der Heimkehr der Kühe den Viehscheid, also das Aufteilen der Tiere zu ihren Besitzer*innen. Denn auf der - in dem Fall - Alpe verbringen Tiere von vielen verschiedenen Bäuer*innen zusammen den Sommer. Begleitet wird der Viehscheid oft von einem Volksfest.

Wenn die Almbäuer*innen ihre Wiesen extensiv bewirtschaften, also mit wenigen und den gewichtsmäßig zum Boden passenden Tieren, profitiert auch der Boden - und damit die Wasserqualität und das Klimasystem. Denn die Tiere reißen die Gräser und Kräuter oberirdisch ab, was wiederum bei den Pflanzen das Wurzelwachstum anregt. Grasen die Tiere dann den oberirdischen Teil der Pflanze ab, bleiben die Wurzeln und der darin gebundene Kohlenstoff im Boden. Dort zersetzen Mikroorganismen das organische Material: ein Teil des darin enthaltenen Kohlenstoffs entweicht dann wieder in die Atmosphäre, ein anderer verbleibt im Boden und bindet sich zum Beispiel langfristig an Mineralien im Boden.

Diese Mikroorganismen helfen auch Schadstoffe abzubauen, die durch die Luft, Regenwasser oder den Kot von Tieren in die Erde gelangen. Ein humusreicher Boden kann dabei nicht nur mehr Wasser speichern, sondern es dabei auch filtern, bevor es weiter Richtung Tal fließt.

Welche Tiere die Almen also wie intensiv beweiden, bestimmt, welchen Beitrag Almen zu einem gesunden Ökosystem beitragen können.

Auf der Alm, da gibt's auch Klimakrise

Wie überall wird es auch auf den Almen wärmer. Auch dort verdrängen also wärmeliebende Generalisten die speziell an die bisherigen Bedingungen angepassten Pflanzen. Gleichzeitig können Trockenphasen den Almwiesen zu schaffen machen, besonders dann, wenn das Schmelzwasser aus den Schneereserven des vergangenen Winters fehlt. Dadurch verschlechtern sich die Bedingungen auf Almen für Pflanzen, Tiere und Menschen: ist es warm und trocken, brauchen wir mehr zu trinken, gleichzeitig fehlt vor Ort das Wasser. Regnet es danach in kurzer Zeit sehr stark, hat der Boden nicht genug Zeit, das Wasser aufzunehmen. Die Folge ist ein oberflächlicher Abfluss, der zu Überschwemmungen im Tal führen kann - und trotz viel Wasser erneuter Trockenstress für die Pflanzen.

Manche Pflanzen und Tiere können noch nach oben oder kleinflächig die Hangausrichtung wechselnd in kühlere Temperaturen ausweichen, besonders die, die in vielen Bedingungen klarkommen. Speziellere Arten haben auch hier wenig Chancen, sich in dem Tempo der Klimakrise an neue Bedingungen anzupassen. So verlieren wir einen großen Teil der Biodiversität vor Ort.

Zusätzlich ändern sich die Vegetationsperioden, also die Zeiten im Jahr, in denen Pflanzen keimen, blühen und Samen produzieren können. Das gefährdet zum Beispiel die Insekten, die die Blüten bestäuben. Denn sie schlüpfen unter Umständen erst zur gewohnten Zeit und kommen dann zu spät zur Pflanze, weil die wegen der höheren Temperaturen schon früher im Jahr geblüht hat - eine Lose-Lose-Situation, denn dem Insekt fehlt die Nahrung und der Pflanze der Bestäuber, um sich vermehren zu können. In der Vogelwelt hat der Kuckuck das Problem, dass er zu spät aus dem "Winterurlaub" zurück kommt und seine hinterhältige Taktik, sein Ei in andere Nester zu legen und großziehen zu lassen, nicht mehr funktioniert, weil die anderen Küken bereits geschlüpft sind und so die Taktik auffliegt.

Gezielte Beweidung für mehr Biodiversität

Extensive Beweidung ist gut für Mensch und Natur - vor allem in Zeiten der Klimakrise. Foto: DAV/Tina Gauss

Auch in Zukunft können Almen eine wichtige Rolle für die Speicherung von CO2 und den Erhalt der Biodiversität spielen - wenn sie bestimmte Faktoren berücksichtigen.

  • extensive Bewirtschaftung: Das richtige Verhältnis zwischen Weidefläche und Tieren entscheidet, wie gut die Weidetiere ihre Ökosystemaufgaben erfüllen können. Die genaue Zahl an Tieren hängt stark von den Standortbedingungen ab.

  • an die Vegetation angepasste Weidezeiten: Wird es früher im Jahr so warm, dass die Pflanzen auch schon früher in die Höhe schießen, müssen auch die Weidetiere früher auf die Alm, damit sie ihren Job, die Fläche frei von Bäumen zu halten, weiterhin machen können. Gleichzeitig brauchen bestimmte Arten auch Schutz vorm gefressen Werden. Auch die Weidezeiten müssen also anhand vom Standort individuell bestimmt werden.

  • passende und effiziente Wasserversorgung: Damit Mensch, Tier und Pflanzen in Zeiten von Trockenheit und fehlenden Wasserreserven weiter oben im Gebirge auch genug Wasser haben, hilft am besten: abdrehen. Oder besser ausgedrückt, Wasser sparen, wo es geht, und nur ganz gezielt und möglichst effizient verbrauchen.

So können wir den Lebensraum Almwiese erhalten, seine Vorteile für unsere pflanzlichen und tierischen Mitbewohner bewahren und trotzdem die Idylle der Kuhglocken oder die Buttermilch auf der Bank vor der Alm genießen.

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