Klettern im Harz
Klettern im Harz. Foto: Axel Hake
JDAV Knotenpunkt – Thema "Bücher und Berge"

So entsteht ein Kletterführer

Eine lange Klettergeschichte, immer neue Routen, gesperrte Gebiete – Kletterführer-Autor Axel Hake hat in jahrelanger Arbeit alle Fragmente der Vergangenheit und Gegenwart recherchiert, fotografiert und zusammengetragen. Herausgekommen sind zwei Kletterführer für den Harz. Ein Einblick in den aufwendigen Entstehungsprozess.

Der Kletterführer Harz Rocks 2. Foto: Axel Hake
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Wie bist du dazu gekommen, eigene Kletterführer über den Harz zu schreiben?

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Wahrscheinlich ist das bei ganz viele Autor*innen so, dass sie Kletterführer in erster Linie über ihre Heimatgebiete machen. Das war auch bei mir der Ausgangspunkt, natürlich, weil ich einfach super viel im Harz geklettert bin.

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Wie war die Kletterbewegung damals im Harz?

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Wir als Harzer sind Ende der 90er, nachdem geklärt war, welche Felsen für den Naturschutz vorgesehen waren und an welchen wir klettern durften, losgezogen, haben ganz viele Erstbegehung gemacht. Dann kam die Idee auf, da müsste man auch mal einen Kletterführer drüber machen. Und das gleiche dachte sich Klaus Paul damals und hat mehrere Führer über den Harz veröffentlicht. Das ist mittlerweile schon lange her und wir dachten, eigentlich muss man den nochmal neu machen und modernisieren.

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Wie lang war der Prozess?

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Anfang der 2000 Jahre habe ich mich entschlossen, einen eigenen Kletterführer zu realisieren. Ein Freund von mir, Heiko Apel hat an einem Boulderführer über den Harz gearbeitet und ihn 2020 herausgebracht. Ich wollte dann den kompletten Kletterführer fürs Routenklettern inkl. Layout erstellen und er ist dann gemeinsam mit dem Geoquest Verlag entstanden. Durch das norddeutsche Klettermagazin Klemmkeil hatte ich bereits Erfahrung im Printlayout, das Hauptproblem war allerdings die fehlende Zeit neben der Arbeit. Erschienen ist der Harz Rocks 1 über das Okertal 2019, Harz Rocks 2 erschien 2022.

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Wie gestaltet man einen Kletterführer visuell ansprechend?

axel.jpg Axel Hake

Bei einem Führer stellt sich immer die Frage: Wie stelle ich etwas dar? Der Anspruch muss natürlich immer sein, dass es für den Nutzer nachvollziehbar ist, lesbar, er muss anhand der visuellen Darstellung eine Verbindung zu dem Felsen bekommen. Die Frage ist auch: Grafiken, Zeichnungen, Fotos? Machst du Fotos, sind diese anders als vielleicht erwartet, unheimlich aufwendig. Gerade hier im Harz stehen die Felsen als dreidimensionale Gebilde mitten im Wald. Teilweise musste ich den Wald rausretuschieren, das war eine ziemliche Arbeit, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, ich möchte den Harz in Fotos zeigen. Der Granit ist in seiner Plastizität einfach toll! Aber auch nicht einfach in der Orientierung: die Felsen haben Verwitterungen, sind gestapelt, haben mal 20 Risse nebeneinander, wenig Haken… Foto-Topos helfen dabei.

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Wie kommst du an die Informationen für den Kletterführer?

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Bei der Recherche gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder das Gebiet ist neu, es wird entdeckt, erschlossen und soll dargestellt werden. Das ist relativ einfach. Aber wir bewegen uns hier in Norddeutschland, hier gibt es nicht übermäßig viele Klettergebiete. Der Harz, das Weserbergland, das sind Gebiete, die schon lange erschlossen sind und eine 120-jährige Tradition haben. Da gibt es also schon einen ganzen Stapel an Literatur.

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Wann gab es die ersten Kletterführer im Norden?

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Der erste Kletterführer in einem norddeutschen Gebiet ist von 1939. Je nach gebiet, gibt es also bereits in einer Reihe von Kletterführern als Grundlage. Alle haben voneinander abgeschrieben und Neues hinzugefügt, haben aber teilweise auch Fehler abgeschrieben oder zusätzlich eingebaut. Da ist es wichtig, nochmal zurückzuschauen und die vorhandenen Infos zu überprüfen. Viele alte Routen mussten auch erst wieder freigelegt werden. Mich interessiert dabei auch: Was haben denn die Alten hier vorher so getrieben in dem Gebiet, wo und wie sind sie geklettert? Sind sie von unten gestartet? Welches Risiko sind sie eingegangen?

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Braucht es immer die Erfassung des ganzen Gebiets? Es gibt ja auch immer Felsen, die weniger attraktiv zum Klettern sind.

axel.jpg Axel Hake

Es ist wichtig in einem Kletterführer einmal den gesamten Bestand der Felsen zu dokumentieren. Das hilft auch bei der Verhandlung mit den Behörden, wo überhaupt geklettert werden darf, auch wenn nicht jeder Fels ein Highlight ist. Wenn man viel Verhandlungsmasse hat, kann man besser argumentieren, zum Beispiel dass man nur an 20 Prozent der gesamten Felsen klettern möchte. Es ist auch eine Verantwortung und ich bin durch meine Arbeit als Referent für Naturschutz auch daran interessiert, dass der Kletterführer den aktuellen Stand vollständig abdeckt.

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Wie ist der Weg von der Erstbegehung in den Kletterführer?

axel.jpg Axel Hake

Wenn du anfängst, einen Kletterführer zu schreiben, wissen die meisten Menschen noch nichts von deinem Projekt. Ich spreche die Menschen in den Gebieten gezielt an: Wer hat Informationen für mich? Datenbanken im Internet helfen, wie z.B. climbing.de, bei denen Menschen ihre Projekte eintragen können. Manche Kletter*innen wollen ihre Projekte auch bewusst im Kletterführer sehen und melden sich bei mir. Es ist aber auch viel herumfragen und den Informationen hinterherlaufen.

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Auf der einen Seite mühsam, auf der anderen Seite sehr verbindend…

axel.jpg Axel Hake

Ich habe unglaublich viele Menschen über den Kletterführer kennengelernt. Habe Menschen besucht, die in den 80ern Routen erst begangen haben, unter DDR Bedingungen. Es ist auch eine Wertschätzung, nochmal nachzufragen. Wie war das damals? Wie seid ihr vorgegangen? Klettern ist ein soziokulturelles Spiel und ich habe auch versucht, die Klettergeschichte zu dokumentieren und auch beim Harz Kletterführer die Perspektive des Ostens zu zeigen. Nach der Wende musste sich auch die Klettergemeinschaft neu verbinden.

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Wie wird aus all den Routeninformationen ein Buch?

axel.jpg Axel Hake

Am Ende der Recherche hatte ich unfassbar viel Material, mehrere Ordner voll. Ich habe dann immer Sachen ausgedruckt, rein gezeichnet, überprüft, bin nochmal hingefahren und irgendwann muss es ja auch zu einem Führer werden. Da hat mir der Geoquest-Verlag sehr geholfen, eine Art Gerüst zu erstellen. Insgesamt ist ein Kletterführer aber ein großes Gemeinschaftsprojekt.

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Wie konnte der Kletterführer finanziert werden?

axel.jpg Axel Hake

Der Kletterführer war ein absolutes Non-Profit-Projekt. Es ging mir einfach darum, den bestmöglichen Kletterführer für den Harz zu machen. Für uns hier in Norddeutschland beim Geoquest-Verlag sind es fast alles Liebhaberprojekte, da steckt wahnsinnig viel Arbeit drin. Finanziell lohnt es sich nicht.

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Was denkst du von digitalen Kletterführer-Angeboten, wie z.B. die Vertical Life App?

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Eine ganz pauschale Antwort kann ich da eigentlich gar nicht geben, weil es immer davon abhängt, wozu der Kletterführer benutzt wird. Ist der Autor derjenige, der davon profitiert und ist die Gebietsentwicklung davon unabhängig? Oder werden vom Gewinn z.B. auch Haken finanziert? Dann macht das total Sinn zu sagen, ich will auf jeden Fall vor Ort den Kletterführer kaufen. Und dann gibt es natürlich auch viele Verlage, die inzwischen mit Vertical Life zusammenarbeiten und die Autor*in profitiert auch davon. Schwieriger wird es natürlich, wenn Menschen den Führer einfach abschreiben, so im Sinne von “Ich richte da mal eine App ein”, dann gibt es dann natürlich Urheberrechtsprobleme. Insgesamt mag ich aber auch einfach Bücher in denen man blättern kann.

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Wie ist dein Umgang beim Schreiben eines Kletterführers mit rassistischen oder sexistischen Routennamen aus der Vergangenheit?

axel.jpg Axel Hake

Beim Erstellen des Harzkletterführers hatten wir die Problematik nicht, aber wir haben es in Norddeutschland auch diskutiert. Im Grunde ist es bei Kletterführern die gleiche Frage, wie bei Büchern wie bei Pippi Langstrumpf. Also ist das jetzt ein “Kulturgut” und macht es Sinn es neu zu kontextualisieren? Oder ist es besser, es einfach zu ändern? Beides ist für mich okay, aber es ist nicht okay, es unkommentiert zu lassen. Es ist ja auch immer ein Zeichen dafür, an welchem Punkt eine Gesellschaft war. Früher war Diskriminierung gesellschaftlich noch nicht so ein präsentes Thema heute und es ist gut, dass wir mittlerweile vorsichtiger sind.

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Siehst du im Bezug auf Kletterführer auch Probleme einer entstehenden Überbevölkerung von Gebieten?

axel.jpg Axel Hake

Mit der Art und Weise, wie ich ein Gebiet darstelle, kann ich Menschen lenken. Das ist ein Konfliktthema: Locke ich die Menschen an, die ich eigentlich nicht haben möchte aus der Perspektive des Naturschutzes? Auf der einen Seite ist da die Freude über eine Neuentdeckung, z.B. ein neuer Sektor. Auf der anderen Seite ist die Sorge, dass zu viele Menschen kommen. Es ist auch ein Appell an die Community: Wir müssen nicht alle auf einmal sofort in das neue Gebiet rennen.

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Wie kann man Kletter*innen schon im Kletterführer zu einer nachhaltigen Anreise motivieren?

axel.jpg Axel Hake

Ich bin bei der letzten Generation aktiv und engagiere mich sehr für den Klimaschutz. Auf der anderen Seite aber schreibe ich einen Führer und viele Gebiete erreicht man nur mit dem Auto, die Lenkung, wie die Menschen zu den Gebieten kommen ist also immer auch ein Thema. Wir müssen von der aktuellen Selbstverständlichkeit runterkommen. Bergsport ist zu häufig noch Motorsport. Ich denke, hier gibt es noch viel, was man weiterentwickeln kann, auch z.B. auch innerhalb der JDAV: sich verbinden, in Gruppen absprechen, gemeinsam fahren, Lastenrädern nutzen und vieles mehr.

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Lieber Axel, vielen Dank für das Gespräch.

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