Wanderin auf dem Kaiserstein (2061 m) nahe der Fischerhütte in der Abenddämmerung
Abendstimmung auf dem Kaiserstein (2061 m) nahe der Fischerhütte. Foto: Ingo Röger
Klettersteige vor Wien

Hüttentour über Rax und Schneeberg

Weit im Osten: Kurz vor den Toren Wiens ragen die Gebirgsstöcke von Rax und Schneeberg in den Himmel. Die spannende Durchschreitung über Wege und leichte Klettersteige ist hierzulande noch ein Geheimtipp.

Rax und Schneeberg, mit ihren Höhen von knapp über 2000 Metern, stehen als ein letztes alpines Bollwerk wenige Kilometer vor der Österreichischen Hauptstadt, bevor das Gebirge sanft im Wienerwald ausläuft.

Die Rax hat zwei Gesichter: Die höchsten Punkte des Karststockes sind wenig markante Schrofen- und Wiesenhügel. Auch der höchste Punkt, die Heukuppe (2007 m), macht da keine Ausnahme. Zugleich bricht das Bergmassiv nach fast allen Seiten mit wilden Felsflanken steil zum Tal hin ab: an der Preinerwand (1783 m) im Süden, am Gamseck (1857 m) im Westen und besonders eindrucksvoll am schluchtartigen Einschnitt des Großen Höllentals im Nordosten. Das Raxplateau ist mit mehreren Berghütten gut erschlossen, von denen das betagte Ottoschutzhaus (1644 m) dank naher Seilbahn wohl das am häufigsten aufgesuchte sein dürfte. Auch Sigmund Freud war hier regelmäßig zu Gast. Durch die Fels- und Schrofenflanken der Rax führen zahllose, oft schon über hundert Jahre alte Steiganlagen, die meisten davon in Klettersteigschwierigkeit A/B. Diese Mischung aus dem sanft gewellten Bergplateau und den felsigen Anstiegen dort hinauf machen den Reiz des Bergstockes aus. Und natürlich die exponierte Lage mit Fernsichten, teilweise weit hinaus ins Flachland, bis Tschechien und zum Neusiedler See an der ungarischen Grenze.

Morgendlicher Start am Habsburghaus: Das Wetter ist noch unentschlossen. Foto: Ingo Röger

Auch für ihre vielfältige Alpenflora ist die Rax bekannt. Auf der Nordostseite hat sich die Salza etwa 1500 Meter tief ins Gebirge gefressen. Als Höllental (in das verwirrenderweise das eingangs erwähnte Große Höllental mündet) trennt sie das Raxplateau vom etwas höheren Schneeberg. Diese wilde Schlucht ist eine Augenweide und ein Paradies fürs Felsklettern.

Der Hohe Schneeberg erreicht am Klosterwappen 2076 Meter Höhe. Auf dem höchsten Gipfel Niederösterreichs sind die Ausblicke sogar noch beeindruckender als gegenüber auf der Rax. Wenige Gehminuten entfernt liegt unterhalb des Kaisersteins (2061 m) die Fischerhütte, mit 2049 Metern die höchstgelegene Berghütte des Bundeslands.

In den Wiener Bergen sind selten deutsche Bergsteigende zu Gast, zu weit scheint vielen die Anreise.

Neben den landschaftlichen Reizen hat diese Region noch mehr zu bieten: In Reichenau an der Rax war zu kaiserlich-königlichen Zeiten zu Gast, wer in Wien Rang und Namen hatte, was sich in der mondänen Architektur des Ortes widerspiegelt. Die Millionenmetropole wird noch heute von der über 150 Jahre alten Wiener Hochquellenleitung mit Trinkwasser von Hochschwab, Rax und Schneeberg versorgt und war seinerzeit eine technische Meisterleistung. Eine solche ist auch die noch etwas ältere Semmeringbahn südlich der Rax. Die erste Bahnstrecke Europas, die als Normalspur über einen Alpenpass führte, lässt Technikfans staunen und ist seit 25 Jahren UNESCO-Welterbe.

Vor Sonnenaufgang: Blick vom Kaiserstein Richtung Ungarn. Foto: Ingo Röger

In den Wiener Bergen sind selten deutsche Bergsteigende zu Gast, zu weit scheint vielen die Anreise. Man wählt lieber Bergziele im Westen der Alpenrepublik. Bergfans aus Wien und St. Pölten sind meist nur am Wochenende in ihren Heimatbergen unterwegs. So kommt es, dass man auch im Hochsommer noch freie Plätze auf den Hütten findet und oft mit ungarischen und slowakischen Gästen unterwegs ist.

Freie Betten auch im Sommer

Als wir im verregneten Sommer 2023 spontan umplanen müssen, sind wir froh, dass wir – anders als in vielen inneralpinen Regionen – kurzfristig auf unseren Wunschhütten Platz finden. Nach einer regenreichen Fahrt durch Tschechien erreichen wir das Weichtalhaus (548 m) der Naturfreunde im Höllental. Ein langer Hüttenzustieg bleibt uns erspart, nur 100 Meter Fußweg sind es vom Parkplatz zur Hütte. Wir starten mit tollem Essen (Ziegenkäse im Speckmantel!) in unsere Bergwoche und finden beim Rauschen der Salza bald die wohlverdiente Ruhe.

Anderntags ist schon wieder ab Vormittag mit Sturm und einigem Regen zu rechnen. Das Ottoschutzhaus liegt nur sechs Streckenkilometer entfernt, es sind jedoch 1100 Höhenmeter zu überwinden. Wollen wir es riskieren und bei diesem Wetter einen der klassischen Eisensteige zwischen den himmelhohen Wänden des Großen Höllentals in Angriff nehmen? Oder auf Nummer sicher gehen und den einfacheren (und damit schnelleren) Wachthüttlsteig oben auf der Schluchtkante wählen? Als es beim Abmarsch zwar grau am Himmel ausschaut, aber noch trocken ist, entscheiden wir uns spontan für den Alpenvereinssteig (A/B) im Talschluss des Großen Höllentals.

Eine betagte Leiter bildet den Auftakt zum Alpenvereinssteig im Höllental. Foto: Ingo Röger

Wir haben Glück: Auch wenn die Wolken über unseren Köpfen dahinjagen, bleiben wir weitestgehend trocken und dank der geschützten Lage in der engen Schlucht vom Sturm verschont. Nach einer guten Stunde stehen wir am Beginn des versicherten Steigs (1100 m). Alte verbeulte Stahlleitern bilden den Auftakt. Wir scheinen die Einzigen im ganzen Tal zu sein und genießen die Abgeschiedenheit. Drahtseile gibt es nur an den exponierteren Stellen, rasch geht es voran. Immer wieder blicken wir zurück in den imposanten Felsenkessel. Auf den letzten Metern des Anstiegs wird der Wind spürbar ruppiger, Regen setzt ein. Zügig gehen wir von der sogenannten Höllentalaussicht die letzten anderthalb Kilometer bei kräftigen Windstößen zur Schutzhütte.

An der Preinerwand beeindrucken die scheinbar strukturlosen Südwände, in denen Wiener Bergsteigende Klettergeschichte geschrieben haben.

Es dauert ein wenig, bis uns in der lauwarmen Gaststube warm wird. Kaffee und Kuchen helfen, die verlorene Energie aufzufüllen. Als abends zumindest der Regen aufhört, wagen wir uns nochmal hinaus. Wir besuchen den Alpengarten unter der Hütte und klinken die Klettersteigsets am kurzen, aber nicht zu unterschätzenden Kronich-Eisenweg (C) ins Drahtseil. Der Törlkopf (1607 m) ist schnell erreicht und belohnt mit einem weiten Blick bis in die Puszta.

Nachts rüttelt der Sturm am Schutzhaus und pfeift durch sämtliche Türspalten. Später beruhigt sich das Wetter. Unser Tagesziel ist das Naturfreunde-Waxriegelhaus (1361 m) in den Südflanken der Rax. Wir spazieren über den Jakobskogel (1736 m) und am Plateaurand weiter. An der Preinerwand (1770 m) beeindrucken die scheinbar strukturlosen Südwände zu unseren Füßen, in denen Wiener Bergsteigende Klettergeschichte geschrieben haben. Es wird nun immer sonniger und beim Abstieg fast schon sommerlich warm.

Das namensgebende Felsentor unterm Törlkopf unweit des Otto-Schutzhauses. Foto: Ingo Röger

Bereits mittags ist die gut besuchte Hütte erreicht. Nach einer Stärkung starten wir mit leichtem Gepäck zu einer wunderbaren Nachmittagsrunde in der Augustsonne. Über den Karl-Kantner-Steig (A/B) geht es hinauf zum aktuell wegen Pächtermangels geschlossenen Karl-Ludwig-Haus (1804 m). Hier bietet sich bereits ein schöner Blick in die felsig-schrofige Südwand des Predigtstuhls (1899 m). Drahtseile leiten auf dem Bismarcksteig (A/B) einmal quer durch dieses Gemäuer. Anschließend steigen wir noch kurz hinauf zum höchsten Punkt, der – typisch für die Rax – rückseitig wieder „nur“ eine gemütliche Wiesenkuppe ist. Über den Waxriegelsteig geht es geradewegs hinunter zur Hütte, wo uns eine gemütlich warme Gaststube erwartet.

Drahtseilversicherung und alte Tritteisen auf dem Bismarcksteig am Predigtstuhl. Foto: Ingo Röger

Auf dem höchsten Punkt

Leider ist tags darauf schon morgens eine neue Regenfront gemeldet. Unsere ursprüngliche Route mit einigen Klettersteigen können wir bei dieser Prognose vergessen. Werden wir es wenigstens auf die Heukuppe schaffen? Oder müssen wir den direkten, fast schon unanständig kurzen Übergang zum Habsburghaus (1786 m) wählen? Wir haben gerade noch Glück. Gegen 8 Uhr starten wir und erreichen schnell über den bequemen Schlangenweg das Karl-Ludwig-Haus. Im Flachland scheint die Sonne noch, hier oben wird es zusehends grauer. Doch die Heukuppe steckt noch nicht in den Wolken und wir erreichen trockenen Fußes den höchsten Punkt der Rax.

Als ich vor zehn Jahren letztmalig hier stand, tobte ein infernalischer Schneesturm. So dramatisch ist es heute nicht. Im Westen allerdings – irgendwo zwischen den Zacken von Hochschwab und Gesäuse – verschlucken bereits dicke Regenwolken die Berge.

Morgendlicher Blick vom Kaiserstein Richtung Wienerwald. Foto: Ingo Röger

Bis zur Grasbodenalm (1647 m) hält das Wetter. Die letzte Stunde zur Hütte stapfen wird dann durch monotonen Landregen. Ein gut geheizter Ofen Marke „Bullerjan“ lässt die Stube glühen und die Kleider trocknen. Eine üppige Auswahl an Bildbänden hilft, den verregneten Nachmittag zu überstehen. Am Abend soll sich das Wetter beruhigen. Doch bevor es aufklaren kann, hüllt sich die Hütte in dicken Nebel. Statt des hier viel gepriesenen Sonnenuntergangs bleibt uns nur, die Gämsen vorm Hüttenfenster zu beobachten – auch nicht schlecht.

Eine üppige Auswahl an Bildbänden hilft, den verregneten Nachmittag zu überstehen.

Die nächste Etappe wird streckenmäßig die längste und führt zurück zum Weichtalhaus. Beim Abschied erstrahlt das Habsburghaus kurz - von der Sonne durch ein Wolkenloch gekonnt in Szene gesetzt. Doch dann lässt die versprochene Besserung auf sich warten. Auf dem Dreimarkstein (1949 m) und auf der Scheibwaldhöhe (1943 m) stehen wir einmal mehr im kühlen Nebel. Wir wählen für den Abstieg den stillen Weg via Klobentörl (1648 m) und Gloggnitzer Hütte (1548 m) durch den Kesselgraben: eine besonders im unteren Teil enge Felsschlucht, aber weit weniger bekannt als die Höllentäler. Erst kurz vorm Weichtalhaus wendet sich das Wetter endgültig zum Guten.

Die Rax - ein Blumengebirge. Foto: Ingo Röger

Am Morgen geht es die beeindruckende und enge Weichtalklamm (A/B) hinauf. Ein paar Leitern und Ketten entschärfen vereinzelte rutschige Steilaufschwünge. Wir erreichen die Kienthaler Hütte (1380 m) unter dem felsigen Turmstein (1416 m). Den kurzen Klettersteig (B/C) dort hinauf lassen wir uns nicht nehmen. Vis-a-vis grüßt unter einem wolkenlosen Himmel die Rax. Der Weiterweg zum Klosterwappen führt am Ende über einen monotonen Wiesenhang. Der höchste Punkt ist mit militärischen Antennen verbaut. Zügig gehen wir weiter zur nahen Fischerhütte. Viele Menschen, die mit der Zahnradbahn von Puchberg heraufkommen, Gleitschirmflieger*innen und ein paar Segelflugzeuge über unseren Köpfen tummeln sich am östlichsten Zweitausender der Alpen.

Abendliches Gipfelmeer an der Fischerhütte. Foto: Ingo Röger

Am Abend schlendern wir bei Kaiserwetter die wenigen Meter hinauf zum Kaiserstein. Wer für einen Tagesausflug oben war, ist längst wieder im Tal. Auch dieser Berg hat zwei Gesichter: eine harmlose Kuppe von Westen und eine fast 1000 Meter hohe Steilflanke gen Osten. Mit einigen anderen Hüttengästen genießen wir die herrliche Abendstimmung. Im Westen reihen sich endlose Bergkämme in unglaublich klarer Luft hintereinander: Rax, Ötscher, Schneealpe, Veitschalpe. Dahinter sichtbar steiler der Hochschwab, das Gesäuse und das Tote Gebirge. Als die Sonne niedersinkt, reicht unser Bergschatten weit nach Ungarn hinein.

Lichtermeer bis Bratislava

Später gehe ich nochmal allein zum Gipfel. Über mir grüßt der makellose Sternenhimmel, wo die Perseiden wie Pfeile kurz aufblitzen. Unter mir leuchten in Form einer Spinne die Straßenlaternen von Puchberg. Und als Krönung flimmert am Horizont das riesige Lichtermeer zwischen Wien und Bratislava.

Nächtliches Lichtermeer unterm Kaiserstein (Puchberg vorn, Wien links am Horizont). Foto: Ingo Röger

Die Schneebergüberschreitung kann bei bestem Wetter fortgesetzt werden. Wir wählen den anspruchsvollen Steig des Nandlgrats für den Abstieg. Heute, Samstag, kommt uns das Bergvolk in Scharen entgegen. Im oberen Teil ausgesetzt und stellenweise in rutschigem Kies müssen wir konzentriert bleiben. Dennoch wandert der Blick immer wieder zur mächtigen Ostflanke des Schneebergs, die beim Abstieg neben uns in den Himmel zu wachsen scheint.

An der Edelweißhütte (1235 m) nehmen wir mit einem gescheiten Topfenstrudel Abschied vom Schneeberg. Per Anhalter und schließlich mit Bus und Bahn erreichen wir wieder den Ausgangspunkt. An diesem milden Sommerabend lassen wir unseren Ausflug in die Wiener Berge bei Freunden im Weinviertel bei einem Heurigen stilvoll ausklingen.

Rückblick vom Nandlgrat zum Schneeberg. Foto: Ingo Röger