Nadine Ormo
Du bist seit mehr als 40 Jahren Bergführer. Wie siehst du deine Aufgabe als Bergführer?
Hanspeter Eisendle
Ich glaube, es geht eigentlich immer darum: macht man sich gemeinsam ins Gebirge auf – ganz gleich, ob das zwei Freunde sind oder ein professioneller Bergführer und ein Gast – dann teilt man das Risiko, das man eingeht und die Verantwortung, die man da trägt, auf. Wenn du als Bergführer unterwegs bist, dann trägst du, je nachdem wie erfahren der Gast ist, einen größeren Prozentsatz an Verantwortung. Allein schon, weil du eine größere Nähe zu der Materie hast.
Man kann aber nie sagen, dass der eine einhundert Prozent trägt und der andere null. Im Wesentlichen ist die Bergführerei ein Aufteilen dieser Verantwortung und das Erkennen, wie viel davon jeder tragen kann.
Auch ich bin in erster Linie Bergsteiger. Bergführer bin ich aus Notwendigkeit, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. In der Tätigkeit des Bergführens bist du eigentlich das Gegenteil von dem, was du als Privatperson, als Bergsteiger bist: In meinem privaten Leben bin ich oft hohe Risiken eingegangen; ich war ein Abenteurer. Als Bergführer bin ich professioneller Abenteuer-Verhinderer. Meine Aufgabe ist es, kein Abenteuer aus einem Naturerlebnis werden zu lassen.
Nadine Ormo
Was suchen Menschen, die deine bzw. generell die Führung durch einen Bergführer in Anspruch nehmen?
Hanspeter Eisendle
Da komme ich ganz schnell wieder auf den Begriff der „Exponiertheit“: Das höchste Maß der Exponiertheit und das höchste Maß der Eigenverantwortung ist, wenn man free solo eine schwierige Tour meistert. Aber kein Mensch auf der Welt ist immer bereit, diese hohe Exponiertheit auch zu leben oder einzugehen. Dann sucht man sich einen Seilpartner. Auch der Gast eines Bergführers sucht sich im Grunde nur einen verlässlichen Seilpartner, den er vielleicht für eine bestimmt Tour sonst so nicht hat.
Nadine Ormo
Keine Rede also von dem Bild, ein Bergführer würde den einen oder anderen „nur auf den Gipfel schleifen“?
Hanspeter Eisendle
Auf einer Tour mit Freunden ist es ja so: Es gibt auf jeder Tour Momente, wo der eine stärker oder besser ist. Dann übernimmt der Partner eine Seillänge mehr Verantwortung, dann kommt wieder Gelände, was vielleicht mir besser liegt, dann nehme ich wieder mehr Verantwortung. Man teilt sich also als Seilschaft die Verantwortung im Laufe einer Tour. Und wenn du jetzt als Bergführer mit einem Gast bist, dann ist das ähnlich. Aber die Verantwortung wird mehr beim Bergführer liegen.
Ich glaube, was das Gehen mit Bergführer angeht, gibt es viele Vorurteile. Meine schwersten Touren hätte ich alle nicht gemacht, wenn ich nicht immer wieder super Seilpartner gehabt hätte, die in gewissen Momenten sagten “das mach ich jetzt“, … und dann wieder kam der Moment, wo ich derjenige war, der die Kartoffel aus dem Feuer holt. Das sind Wechselspiele. Man muss nur ehrlich mit sich sein. Jeder von uns hat schon einmal einen Bergführer gehabt.
Nadine Ormo
Früher warst du als Kunsterzieher im Schuldienst. Wie kamst du von der Kunst an den Berg?
Hanspeter Eisendle
Ich denke nicht, dass ich von der Kunst weg oder zum Berg hin bin. Wir haben ja alle verschiedenen Interessen oder sogar Leidenschaften.
Ich war zwei Jahre im Schuldienst und im zweiten Jahr, das war so Anfang der 1980er Jahre, hat mich Reinhold Messner angerufen: er würde eine Winterexpedition zur Cho Oyu-Südwand machen und bot mir an mitzukommen. Ich könne mir das in Ruhe überlegen und ihn dann irgendwann wieder anrufen. Ich hab ihn nach drei Minuten wieder angerufen und gesagt: „Ich bin dabei“. Und nach zehn Minuten war ich beim Direktor und hab gekündigt.
Nadine Ormo
… ein einschneidender Moment im Leben …
Hanspeter Eisendle
Ja, das war mir aber in diesem Augenblick gar nicht so bewusst. Im Nachhinein sage ich: das tut man, wenn man 25 ist. Mit 35 tust du das nicht mehr. Und beides ist aber richtig. Wenn du diesen großen Spielraum hast, dann nimm ihn dir. Mit 35 hat man soviel mehr Verantwortungen, dass man das eigentlich besser nicht mehr tun sollte.
Ich glaube, wenn man jung ist, hat mein einfach eine große Erwartung an das Leben. Du entscheidest dich für irgendetwas, nichtwissend ob das jetzt richtig oder falsch ist.
Nadine Ormo
Seit jeher ein Dilemma. Und gerade durch die Vielfalt der Möglichkeiten, die wir auch medial immer wieder vor Augen haben, scheinen viele heute umso überforderter.
Hanspeter Eisendle
Wovon ich ganz überzeugt bin: egal, was wir tun – wichtig ist, wie wir es tun. Wenn ich also etwas tue, dann tu ich’s hundertprozentig oder ich lasse es bleiben. Wenn ich zu Hause die Teller wasche, dann ist es sinnlos, mich zu fragen, warum ich jetzt die Teller waschen muss. Aber: Ich wasche den Teller so gut, wie kein anderer das kann. Das ist die Einstellung.