Nadelduft liegt in der Luft. Durch die grünen, leuchtenden Baumkronen schaffen ein paar Sonnenstrahlen den Weg auf den weichen, von unzähligen verzweigten Wurzeln durchzogenen Waldboden, auf dem Ameisen fleißig Fichtennadeln sammeln und sich verschiedenste Käfer tummeln. In der ruhigen Atmosphäre des Waldes tanken wir spürbar Energie. Dabei ist der Bergwald nicht nur ein Ort der Entdeckens und des Entspannens.
Der Bergwald ist ein unverzichtbarer Bestandteil des alpinen Lebensraums: er schützt zum Beispiel vor Naturgefahren, speichert Kohlenstoff und bietet unzähligen Tier- und Pflanzenarten einen vielfältigen Lebensraum. Steigende Temperaturen und der menschliche Eingriffe setzen den Bergwälder aber zu - mit drastischen Folgen für die bewohnten Täler und das gesamte Klima.
Vom Fichtenmeer zurück zum klimaresilienten Mischwald
Rund 40 % der Alpen sind bewaldet – im bayerischen Alpenraum sogar 50 %. Damit prägt der Bergwald das Landschaftsbild der Alpen enorm. Allerdings hat sich der Bergwald im Laufe des letzten Jahrhunderts stark verändert.
Im ursprünglichen Bergwald konnte man auf einem Spaziergang viele verschiedene Bäume entdecken, Tannen, Fichten, Buchen, Erlen, Birken oder einen Bergahorn zum Beispiel. Durch den immer höher gestiegenen Bedarf an Brenn- und Bauholz ist von diesem ursprünglichen Bergwald nicht mehr viel übrig. An seiner Stelle wachsen meistens Fichten: sie machen 58 % des heutigen Baumbestands in den bayerischen Alpen aus. Fichten wachsen schnell und ihr Holz kann vielseitig eingesetzt werden, vom Bauholz über Möbel bis hin zur Papierherstellung. Das Problem der Fichte: sie ist anfällig für die Folgen der Klimakrise und so, wie sie aktuell nahezu in Monokulturen gepflanzt wird, kann sich kein widerstandsfähiges Ökosystem ausbilden.
Besonders bedeutsam in der Klimakrise ist die Tanne. Lange Zeit war sie unterrepräsentiert. Mittlerweile macht sie schon wieder knapp 7 % der Bäume im bayerischen Alpenraum aus – bayernweit sind es noch nur 3 %. Dank ihrer tief reichenden Pfahlwurzel ist sie besonders standfest, auch auf schweren Böden, und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Stabilität des Waldes. Wegen ihres tiefgehenden Wurzelwerks gilt sie als klimatolerant und anpassungsfähig gegenüber Trockenheit und Temperaturextremen.
In Bayern gibt es zahlreiche Projekte, den Bergwald wieder zu einem widerstandsfähigen Ökosystem zu machen. Waldbesitzer*innen, Jäger*innen, Naturschützer*innen, Almbäuer*innen und die Tourismusbranche arbeiten zusammen mit eigens eingesetzten Bergwaldmanager*innen an lokal angepassten und zukunftsfähigen Lösungen - zum Beispiel in der Aktion Schutzwald des Deutschen Alpenvereins.
Beschützter und schützender Lebensraum
In einem intakten Bergwald mit Nadel- und Laubbäumen, Alt- und Totholz tummeln sich allerhand Tiere und Pflanzen, die von den unterschiedlichen Nischen im Ökosystem profitieren - je diverser der Lebensraum, desto mehr Bewohner finden ihren speziellen Platz. Er ist außerdem Rückzugsraum für Tiere, die auf freien Flächen leichtere Beute wären oder sich vom touristischen Treiben auf Almen fernhalten wollen.
Auch der Boden profitiert von einem vielfältigen Bergwald: die Erde wird durch das Wurzel- und bodennahe Pflanzennetz stabilisiert und es kann sich nährstoffreicher Humusboden ausbilden. Der kann Wasser besser aufnehmen und langsam wieder abgeben und damit die Folgen von Starkregen und Trockenphasen abpuffern. So bietet der Humus die ideale Grundlage für nachwachsende Bäume, die in den Alpen normalerweise eher schwierige Bedingungen vorfinden. Die unterschiedlichen Bodenschichten filtern das Wasser außerdem und spielen damit auch eine wichtige Rolle für die Trinkwasserversorgung im Tal und im Alpenvorland.
Wusstest du schon?
Die Wurzel einer Tanne reicht bis zu ...
... zwei Meter in den Boden hinein. Die Tanne bildet eine sogenannte Pfahlwurzel, also eine senkrecht in den Boden reichende Wurzel, und ein weit verzweigtes Wurzelnetz mit einem Durchmesser von bis zu 20 Metern aus. Durch die tiefen Wurzeln kann die Tanne so Wasser aus tieferen Schichten nutzen und Trockenphasen besser überstehen. Das tiefe und weit verzweigte Wurzelnetz hilft der Tanne außerdem, Stürmen zu trotzen, und schützt den Boden davor, von starken Regengüssen weggeschwemmt zu werden.
Weil das Wurzelwerk der Tanne so üppig wächst, speichert die Tanne außerdem mehr CO2 als zum Beispiel die Fichte, die eher flach und weniger ausgeprägt wurzelt. So hilft die Tanne nicht nur Folgen der Klimakrise abzuschwächen, sondern die Klimakrise selbst zu verlangsamen. Eine echte Klimaheldin, die Tanne!
Durchforstung ist ...
... eine Form der Waldpflege. Der Fachbegriff beschreibt Maßnahmen, die dazu beitragen, die Anzahl der Bäume auf einem bestimmten Niveau zu halten und die Anteile der verschiedenen Arten je nach Ziel anzupassen. Ganz konkret heißt das zum Beispiel, bestimmte Bäume zu fällen, weil sie sehr alt oder abgestorben sind, um Platz für jüngere Bäume oder andere Arten zu machen. Wenn ein Wald also für die Klimakrise gewappnet werden soll, kann das bedeuten, Fichten gezielt zu Fällen, um Platz für Tannen oder Bergahorn zu schaffen - je nach lokalen Bedingungen.
Säbelwuchs kennen wir alle ...
... , wenn wir uns im Bergwald schon einmal umgeschaut haben. Der Begriff bezeichnet eine typische Wuchsform von Baumstämmen an Südhängen zwischen 35° und 40° Neigung: sie wachsen scheinbar erst beinahe horizontal aus dem Boden heraus und ändern dann die Richtung in die Vertikale. Das liegt vor allem am Schnee, der gerade bei starker Sonneneinstrahlung schwerer wird und ins Tal drückt. Er schiebt die jungen Bäume mit seinem Gewicht mit und krümmt so die bodennahen Stämme dauerhaft.
Auch wenn Hänge rutschen oder der Wind über Kämme pfeift, beeinflusst das den Wuchs der Bäume - und auch die Holzdicke innerhalb des Stammes. Mehr Infos dazu und Bilder zu den einzelnen Wuchsformen gibt es auf waldwissen.net, einem Informationsportal der Forschungsanstalten für Wald und Forstwirtschaft in Bayern, Baden-Württemberg, der Schweiz und Österreich.
Bis sich ein Bergwald von Schädigungen erholt, vergehen oft ...
... Jahrzehnte – in Extremfällen braucht ein Baum 20 Jahre, bis er überhaupt Kniehöhe erreicht. Es gar nicht so weit kommen zu lassen, spart uns viel Geld für aufwendige Pflegemaßnahmen und kann die wichtigen Funktionen der Bergwälder für uns erhalten.
Vor Steinschlag schützen Buchen und ...
Lärchen, sowie Bergahorn besonders gut: mit ihren Herz- oder Senkerwurzeln stehen sie fest am Hang. Die Buche hält dabei am meisten aus, nämlich fast doppelt so starke Einschläge von Steinen als eine Lärche oder Fichte, und ihr bricht dabei auch weniger oft der Wipfel. Weit oben im alpinen Schutt hat der Bergahorn standortbedingt aber wieder die Nase vorn - sofern es nicht zu hoch für ihn ist und die Lärche dann die stabilisierende Wirkung übernimmt.
Tief- und breitwurzelnde Arten stabilisieren nicht nur den Waldboden, sondern bleiben auch bei Lawinen, Muren oder Steinschlägen standhafter. Auch Stürme können diesen Arten weniger anhaben. Ohne diese Schutzwälder wären viele alpine Orte langfristig nicht bewohnbar. Allein im bayerischen Alpenraum gelten etwa 60 % der Gebirgswälder aufgrund dieser Funktion als Schutzwald – geregelt durch das Bayerische Waldschutzgesetz.
Die Bäume selbst binden wie humusreicher Boden auch CO2 aus der Luft und speichern es vom Blatt bis in die Wurzeln. Wälder bieten damit nicht nur einzigartige Lebensräume, sondern schützen uns alle vor immer weiter steigenden Temperaturen - im Wald selbst durch seine kühlende Funktion und weltweit durch die langfristige Bindung von Emissionen aus der Atmosphäre.
Wenn der Bergwald leidet
Mit den aktuellen Temperaturen hat aber auch der Bergwald zu kämpfen. Gerade jene Waldlebensräume, die sich über Jahrhunderte an extreme Bedingungen wie steile Hänge, kurze Vegetationszeiten und nährstoffarme Böden angepasst haben, reagieren besonders empfindlich auf Veränderungen. Selbst geringe Verschiebungen bei Temperatur oder Niederschlag können tiefgreifende Folgen haben.
In den Bergen ticken die Uhren langsamer - und schneller
Wegen der extremen klimatischen Bedingungen im Hochgebirge wachsen die Bäume in den Alpen deutlich langsamer als im Flachland. Die Bergwälder sind mit einem Durchschnittsalter von 101 Jahren deutlich älter als die Flachlandwälder mit 83 Jahren. Über viele Jahrzehnte wurden in erster Linie Fichten nachgepflanzt, die zwar schneller wachsen, aber als Monokultur den Wald zusätzlich schwächen. Außerdem gibt es im bayerischen Alpenraum viel Wild, für die Jungbäume eine leckere Mahlzeit sind. Gleichzeitig steigen die Temperaturen in den Alpen deutlichen schneller als im globalen Mittel. Die österreichischen Alpen haben die 3°C-Grenze bereits 2024 überschritten - und es wird noch wärmer werden. Langsameres Wachstum in widrigen Bedingungen bei rasant steigenden Temperaturen: der Bergwald steht noch mehr unter Druck, sich den neuen Gegebenheiten der Klimakrise anzupassen.
Vom Trockenstress in den Starkregen
Die Hitze setzt insbesondere trockenheitsempfindlichen Baumarten wie der Fichte zu, die infolge von Hitzestress anfälliger für Schädlinge wie den Borkenkäfer wird. Fehlendes Wasser im Gebirge spitzt die Situation zusätzlich zu. Geschwächte Bäumen können auch den Naturereignissen wie Starkregen oder Muren nicht mehr so gut trotzen. Zusätzlich verliert der Boden durch die starken Wechsel zwischen Hitze und Starkregen an Stabilität - der Wald verliert mehr und mehr seine Stabilisierungsfunktion.
Generalisten und Wärmeliebende als Gewinner
Mit der Temperatur steigt auch die natürliche Waldgrenze: Prognosen gehen von bis zu 400 Höhenmetern bis zum Jahr 2100 aus. Wärmeliebende Arten verdrängen zunehmend kälteangepasste Arten, die unter Umständen nicht schnell genug nach oben ausweichen können und so ihren Lebensraum verlieren. Besonders gefährdet sind seltene Spezialstandorte wie Moorwälder oder felsige Lebensräume – sie könnten durch den Klimawandel dauerhaft verschwinden und mit ihnen die entsprechenden Arten.
Ideales Klima für den Borkenkäfer
Sind die Bäume erst einmal durch zum Beispiel Hitze gestresst, haben Insekten wie der Borkenkäfer ein leichtes Spiel, da die natürlichen Schutzmechanismen der Bäume versagen. Zudem begünstigt die Erwärmung des Klimas die Vermehrung der Schädlinge: Statt der üblichen zwei bis drei Generationen pro Jahr können inzwischen sogar vier Generationen beobachtet werden. Die Massenvermehrung kann ganze Waldbestände zum Absterben bringen und die Schutzfunktion des Waldes erheblich schwächen. Simulationen zeigen, dass Störungen durch Borkenkäfer im deutschen Alpenraum in den kommenden Jahrzehnten um das Drei- bis Vierfache zunehmen könnten.
KlimaAlpenLabor: Ein einfaches Experiment zum Nachmachen
KlimaAlpenLabor
Schutzfunktion im Mini-Bergwald
Bergwälder übernehmen wichtige Funktionen in den Alpen. Welche Schutzfunktion sie haben können, siehst du mit diesem einfachen Experiment zuhause.
Weniger Biomasse, mehr CO2
Bäume und Boden leiden unter den Temperaturen. Laut einer Studie der Technischen Universität München ist der Humusgehalt der Waldböden in den bayerischen Alpen in den letzten drei Jahrzehnten um rund 14 % zurückgegangen - und damit die Grundlage für nachwachsende Bäume. Steigende Temperaturen führen außerdem dazu, dass Mikroorganismen verstärkt den im Humus gespeicherten Kohlenstoff freisetzen. Das schwächt nicht nur heizt damit die Klimakrise zusätzlich an.
Zukunft pflanzen - unsere Vision für den Bergwald
Durch die Klimakrise wird das Management und die Sanierung des Bergwaldes wichtiger denn je. Denn während extreme Wetterereignisse, Trockenheit und Schädlingsbefall ihm stark zusetzen, ist der Wald selbst ein entscheidender Verbündeter im Kampf gegen die Krise: er speichert CO₂, reguliert das Mikroklima, schützt vor Naturgefahren und trägt damit zu unserem Schutz vor den Folgen des Klimawandels bei.
Der Deutsche Alpenverein setzt sich deshalb für einen zukunftsfähigen Bergwald ein. Ziel ist ein stabiler, naturnaher Mischwald mit robusten, standortgerechten und klimaresilienten Baumarten. Die vielen Beteiligten aus Naturschutz, Jagd und Forstwirtschaft sowie dem Tourismus an einen Tisch zu bringen, ist entscheidend, um langfristig klimafitte Wälder aufbauen zu können. Denn neben dem Pflanzen der entsprechenden Arten ist gerade auch das Verjüngen der Bergwälder und stetige Pflege der Schlüssel dafür, langfristig ein stabiles Ökosystem im Bergwald aufbauen zu können.
Der DAV engagiert sich mit der Aktion Schutzwald, bei der jährlich über hundert Freiwillige Pflanzungen, Jungwaldpflege und Wiederaufforstung unterstützen. So stärken sie gemeinsam die Schutzfunktion des Waldes und sichern die Alpen für kommende Generationen.