Blumen an Gebirgsbach mit Ausblick auf Gletscher
In den Zillertaler Alpen. Foto: DAV/Manuel Daum
Was die Klimaerwärmung in den Alpen bewirkt

Gletscher schmelzen, Permafrost taut

Der vom Menschen verursachte Klimawandel wirkt sich bereits auf viele Wetter- und Klimaextreme in allen Regionen der Welt aus – so lautet ein Ergebnis des kürzlich erschienenen ersten Teils des sechsten IPCC-Sachstandsberichts. Die Alpen sind besonders betroffen. Der DAV-Naturschutzexperte Tobias Hipp stellt anschaulich dar, was die Klimaerwärmung in den Alpen anrichtet, und erläutert, welche Folgen das hat: Vegetationszonen verschieben sich, Gletscher schmelzen, Permafrost taut. Die Konsequenzen: Steinschlag, Bergstürze oder auch Überschwemmungen und langfristig Wassermangel wegen ausbleibenden Schmelzwassers.

2 Grad plus – Wohlfühltemperaturen für Mensch, Tier und Baum?

Die Alpen sind vom Klimawandel besonders betroffen: In Österreich ist die Temperatur seit 1880 um fast 2 °C angestiegen, im globalen Mittel waren es im gleichen Zeitraum 0,9 °C. Dieser Trend wird sich in Zukunft fortsetzen: Im Vergleich zur Referenzperiode 1961 bis 1990 ist von einem weiteren Anstieg um mindestens +1,8 – 2 °C bis Mitte des Jahrhunderts und mindestens +3,5 °C bis Ende des Jahrhunderts auszugehen.


Diese Erwärmung kann für Tiere wie das Murmeltier oder den Schneehasen schon mal brenzlig werden. Hohe Temperaturen treiben sie in höhere Lagen, wo die Nahrung zusehends knapp wird. Raufußhühner, wie Birk- oder Schneehuhn, sind noch stärker betroffen, denn sie bewohnen einen viel spezifischeren Lebensraum und haben äußerst spezielle Ansprüche. 
Pflanzen wie der Bayerische Enzian werden von invasiven größeren Arten verdrängt. Und für den Menschen entstehen in den Bergen neue Gefahren durch Extremwetterlagen (Starkregen, Trockenheit), mehr Schutt- und Geröllfelder, Murenabgänge und Steinschläge (z. B. durch das Auftauen des Permafrosts).

Das ewige Eis?

Die Alpengletscher haben seit 1850 mehr als die Hälfte ihrer Fläche und ein Drittel des Eisvolumens verloren. 1970 bedeckten Alpengletscher noch eine Fläche von rund 2.900 Quadratkilometern, heute sind es nur mehr knapp 2.000. Die Klimamodelle prognostizieren bis Mitte des Jahrhunderts einen weiteren Verlust des Eisvolumens von 50 Prozent im Vergleich zu heute. Gegen Ende des Jahrhunderts werden die Alpen so gut wie eisfrei sein.


Besonders drastisch und augenscheinlich ist der Klimawandel an der Länge der Gletscherzungen zu beobachten. Diese schieben sich in tiefe Lagen herunter, und sind somit besonders sensibel für Erwärmung und abhängig vom Eisnachschub von oben. In den Alpen sind alle Gletscherzungen auf dem Rückzug, die in den Zillertalern im vergangenen Jahrzehnt im Schnitt um 30 bis 50 Meter pro Jahr. In Summe haben sich die Zungen von Waxegg Kees und Hornkees (die transparenten Flächen im Panoramabild oben zeigen den Stand um das Jahr 1930) in diesem Zeitraum um 323 beziehungsweise 455 Meter zurückgezogen. Werte von über 100 Metern Rückzug in einem einzigen Jahr sind dabei keine Seltenheit (siehe Tabelle).

Die Tabelle zeigt den Rückgang der beiden Gletscher pro Jahr in Metern:

Waxegg Kees

Hornkees

2010/11

29 m

19 m

2011/12

52 m

43 m

2012/13

35 m

26 m

2013/14

8 m

15 m

2014/15

20 m

136 m

2015/16

32 m

65 m

2016/17

120 m

21 m

2017/18

11 m

21 m

2018/19

7 m

5 m

2019/20

9 m

104 m

Gesamt 2010-2020

323 m

455 m

Die drastischen Unterschiede im Rückgang der beiden recht nahe beieinanderliegenden Gletscher bieten die Möglichkeit, ein weiteres Phänomen zu erklären, das Einfluss darauf hat, wie schnell sich ein Gletscher zurückzieht: die Topografie, also das Gelände unter dem Gletscher und somit die individuelle Beschaffenheit des Gletschers. Eine Felsstufe oder ein steiler Aufschwung unter dem Waxegg Kees kann zum Beispiel eine Erklärung für das extrem weite Zurückweichen 2016/17 sein. Der Hornkees hatte in dem Jahr vermutlich nur flaches Gelände unter sich und daher keinen großen „Sprung“ gemacht. Andersrum gilt es vermutlich für die Jahre 2014/15 und 2019/20.

Der Waxegg-Kees, wie er noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts aussah. Foto: Friedrich

Trockenzeit in Aussicht?

Gletscher sind die wichtigsten Wasserspeicher der Alpen und speisen in trockenen Sommermonaten zuverlässig die Gebirgsbäche. Aktuell stammen in den Sommermonaten rund 60 bis 70 Prozent des Wassers in Hochgebirgsbächen aus der Gletscherschmelze. Bis Mitte des Jahrhunderts wird der Abfluss in solchen Bächen nur mehr 25 Prozent der heutigen Wassermenge betragen. Dadurch verändert sich auch der Zeitpunkt des maximalen Abflusses: heute noch im Juli/August, wird er Mitte des Jahrhunderts durch die Schneeschmelze schon im Mai erreicht sein. In bestimmten trockenen Alpenregionen kann diese Veränderung zu Wasserknappheit und Nutzungskonflikten führen.

Grafik: Bayerischen Akademie der Wissenschaften/Kommission für Glaziologie; überarbeitet Grafik: Bayerischen Akademie der Wissenschaften/Kommission für Glaziologie; überarbeitet

Zeugen der Zeit

Die Alpengletscher hatten ihren letzten Maximalstand um circa 1850 („Kleine Eiszeit“), viele sind damals noch in Tallagen vorgestoßen. Heute stehen die Seitenmoränen dieser Gletscher als markante Geländerücken oder Grate in der Landschaft und geben einen Eindruck von den damaligen Eisdimensionen. Auch wurden viele alpine Hütten zur damaligen Zeit auf Höhe der Gletscheroberfläche beziehungsweise am Rand der Gletscher errichtet; heute befinden sich diese oft mehrere Kilometer vom Eis entfernt oder mehrere hundert Höhenmeter über der heutigen Eisfläche. So auch die Berliner Hütte in den Zillertaler Alpen. Sie ist aktuell mindestens zwei Kilometer (Luftlinie) von der Gletscherzunge des Hornkees entfernt; 1879 lag sie quasi auf Höhe der Gletscherzunge, nur knapp 150 Meter entfernt.

Der Vergleich zeigt den Gletscherrückgang eindrücklich: Im Aquarell steht die Berliner Hütte im Jahr 1879 direkt neben dem Hornkees, im aktuellen Bild ist die Gletscherzunge (links oben im Bild) schon weit entfernt. Foto: ÖAV-Gletschermessdienst/Friedrich

Neue Landschaft, neue Gefahren

Der Gletscherrückgang stellt aber auch Alpinist*innen vor neue Herausforderungen. Dort wo das Eis verschwindet, kommen meist große Schuttfelder zu Tage: Gebiete mit erhöhter Steinschlaggefahr. Im Gletschervorfeld und am Gletscherrand bleiben meistens steile Moränenhänge und Schutthänge stehen, die nun auf neuen Routen zu überwinden sind. So müssen bestimmte Anstiege, zum Beispiel der Normalweg auf den Großglockner von der Großglockner Hochalpenstraße aus, neu angelegt und gelegentlich sogar während der Saison wegen Felsstürzen umverlegt werden. Innerhalb der Moränen dagegen ist oft noch großflächig Eis eingelagert. Schmilzt dieses verborgene Eis, kann es zu größeren Steinschlagereignissen, Murgängen und auch Felsstürzen kommen, welche die neuen Routen gefährden.

Das Video macht deutlich, wie alpine Gletscher und Permafrostböden auf den Klimawandel reagieren und wie jede*r Einzelne zum Klimaschutz beitragen kann.

Die historische Alpenvereinskarte

Die Klimaerwärmung und den damit verbundenen Rückzug der Gletscher zeigt auch die neu aufgelegte historische Alpenvereinskarte des Zillertals. Dafür haben die DAV-Kartographinnen den aktuellen Gletscherstand auf die über 90 Jahre alte Karte projiziert – und führen so drastisch vor Augen, was einige Menschen immer noch nicht glauben wollen.

Erhältlich ist die Karte einzeln oder als Beilage des Alpenvereinsjahrbuchs BERG 2022 im DAV-Shop.

Historische Karte der Zillertaler Alpen. Karte: DAV

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