Ausschnitt der Originalzeichnung für die Alpenvereinskarte Langkofel- und Sellagruppe von Leo Aegerter um 1903. Original im Alpinen Museum auf der Praterinsel. Foto: DAV Archiv
Ausschnitt der Originalzeichnung für die Alpenvereinskarte Langkofel- und Sellagruppe von Leo Aegerter um 1903. Original im Alpinen Museum auf der Praterinsel. Foto: DAV Archiv
Die Geschichte der Alpenvereinskarten

Von der Steinplatte zur KI

Der Stoff, aus dem die Träume sind? Karten weisen uns schon seit Jahrhunderten den Weg, führen uns auf entlegene Gipfel, sind Grundlage für so manche Träumerei. Auch die Alpenvereinskarten blicken auf eine lange und beeindruckende Geschichte zurück – eine Geschichte, die heute noch sichtbar ist. Denn selbst aktuelle, digital verfügbare Karten beruhen letztlich auf den Tuschezeichnungen und Felsdarstellungen aus dem vorigen Jahrhundert.

Karten für höchste bergsteigerische Ansprüche

Schon vor der offiziellen Gründung des DAV nahm die Alpenvereinskartographie ihren Anfang, nämlich zu dem Zeitpunkt – um das Jahr 1865 – als klar wurde, dass die bergsteigerischen Ansprüche die Möglichkeiten amtlicher Karten übersteigen würden. Die erste Alpenvereinskarte überhaupt stellte die Region um den Ankogel im Maßstab 1:72.000 dar – für alpine Zwecke eigentlich noch zu wenig präzise. Daher folgte rund 20 Jahre später die erste Karte im Maßstab 1:25.000. Sie wies dem Bergsteiger aus dem Jahr 1888 den Weg auf den Watzmann. Bis heute ist die Herausgabe von Karten eine der satzungsmäßen Aufgaben des Vereins.

Der Kartograph Leonhard Brandstätter am Messtisch, Foto: Gerhard Brandstätter

Ab 1900 kam die Alpenvereinskartographie dann so richtig in Schwung. Zu dieser Zeit wurden grundlegende Beschlüsse gefasst. Darunter die Entscheidung für den Maßstab 1:25.000, für Höhenlinien im Intervall von 20 Metern und für eine genetische Felszeichnung. Große Kartographen und Vermesser wie Leonhard Brandstätter, Leo Aegerter, Hans Rohn und Richard Finsterwalder prägten diese Zeit, nicht nur mit der Auffassung, ein guter Topograph habe im Gelände von der Morgen- bis zur Abenddämmerung zu arbeiten. Dieser Anspruch resultierte in der Vermessung entlegenster Alpenregionen als Basis für die Erstellung der Karten. Mit Messtisch, später Theodolit und Tachymeter, ging es also ins Gelände.

Vom Mess- an den Leuchttisch

Im 20. Jahrhundert erhält dann auch die Photogrammetrie ihren Einzug in der Kartographie. Und das bedeutet, nicht mehr nur das Gelände selbst, sondern Bilder davon werden ausgemessen und interpretiert. Bei der Arbeit im Büro erleichterte der ab 1909 kommerziell hergestellte Stereoautograph Finsterwalder und Co. die Arbeit, indem er die Höhenschichtlinien durch optisches Abtasten der Fotos zeichnete. Die Ergebnisse aus dem Stereoautographen wurden dann auf Gravursteine kopiert und anschließend in den Stein graviert. Die Dachsteingruppe kam als erstes in den Genuss dieser neuen Vermessungstechnik.

Bestechende Ergebnisse wie die Glocknerkarte von Richard Finsterwalder (1928) schufen den legendären Ruf der Alpenvereinskartographie. Bild: DAV

Später, ungefähr ab dem Jahr 1955, verlagerte sich die Arbeit der Kartographen an den Leuchttisch – eine Errungenschaft der Ära, in der mit kartographischen Folien gearbeitet wurde. Weitere Vorteile bringt ab dieser Zeit auch die Luftbild-Photogrammetrie, also die Vermessung und Bearbeitung von aus der Luft aufgenommenen Bildern. In diesen Aufnahmen nicht sichtbare Objekte wie Tunnel oder Grenzen oder von Bewuchs verdeckte Bereiche müssen wiederum durch die Begehung vor Ort oder Meldungen Dritter identifiziert werden. Heute ist die Luftbild-Photogrammetrie jedoch kaum noch nötig, denn Geländeoberflächen werden sehr genau und mit 100-prozentiger Abdeckung durch Laserscanning abgetastet. Die Luftbilder selbst gibt es schon noch, sie werden nur anders verarbeitet: Die Informationen werden den entzerrten digitalen Orthofotos entnommen, die hochkomplizierten photogrammetrischen Auswertegeräte werden dafür nicht mehr benötigt. Darüber hinaus bestehende Unklarheiten bei der Kartenaktualisierung, wie zum Beispiel der Verlauf von Wanderwegen, werden beim Alpenverein nach wie vor durch die Arbeit im Gelände beseitigt.

Für den Kartendruck werden die einzelnen Folien auf Druckplatten kopiert. Foto: DAV/Franz Güntner

Künstlerisches Talent und Präzision

All diese Infos müssen dann natürlich in die Karte. Dabei war höchste Präzision wohl die wichtigste Eigenschaft, die ein Kartograph mitbringen sollte – jedenfalls bis zum Beginn der Computer-Kartographie. Auch ein gewisses künstlerisches Talent war von Vorteil, denn die damals gängigen Astralonfolien wurden per Hand bezeichnet und bemalt. Im Fall des Falles konnten die Zeichnungen mit speziellem Werkzeug korrigiert (“beschabt”) werden. Die unterschiedlichen Geländeformen wie Wald, Fels, Gewässer wurden dabei auf einzelne Folien gezeichnet, die für die weitere Bearbeitung am Leuchttisch übereinandergelegt wurden, sodass die oberste Folie bezeichnet werden konnte, die darunterliegenden Folien aber gleichzeitig sichtbar waren. Diese Folienzeichnungen wurden später für die erste Generation der digitalen Kartenbearbeitung (ab 1995) gescannt. Sie dienen daher häufig heute noch als Grundlage für Kartenüberarbeitungen.

Die digitale Arbeitsweise verzeiht nun zwar eher mal einen Fehler, Präzision ist jedoch nach wie vor gefragt. Zusätzlich erfordert die Arbeit am Computer ein gewisses Verständnis für technische Vorgänge von der modernen Kartographin. Neben gutem räumlichem Vorstellungsvermögen und graphischer Gestaltungskraft natürlich.

Doch was macht eine Kartographin eigentlich? 

Die offizielle Arbeit beginnt erst dann, wenn die Vermessungen und Informationsgewinnung der Topographen abgeschlossen sind. Dann entstehen aus den Inhalten, also Zahlen, Texten, einfachen Zeichnungen, im Bestfall anschauliche und gut lesbare Karten. Dieser Anspruch ist über all die Jahre gleichgeblieben, der Arbeitsplatz des Kartographen hat sich jedoch drastisch verändert: Noch bis vor wenigen Jahrzehnten waren Leuchttisch mit Zeichenfeder, Gravurring und diverse Schablonen die Arbeitsmittel, die Zeichnungen beziehungsweise Gravuren erfolgten auf Glas oder Folien. Und noch um das Jahr 2000 herum wurden zum Beispiel Details auf der alten Karte per Tuschezeichnungen entworfen, wenn eine Aktualisierung anstand. Die Reinzeichnung erfolgte jedoch schon am Rechner.

Schichtgravur auf Glas mit einem Gravurring, Foto: DAV

Und heute?

Digital am Computer, wie sonst? Kartographische Software sorgt dafür, dass Signaturen, Farben und Schriftzüge per Mausklick in die digitale Zeichnung eingefügt werden können. Klingt eintönig? Mal sehen, was unser Kartograph Johannes sagt. Der macht das schließlich schon seit ein paar Jahren, um genau zu sein seit 1981, und kann uns einiges über die Entwicklung dieses Tätigkeitsfelds erzählen.

„Eintönig ist unsere Arbeit definitiv nicht. Und doch hat sich in den letzten Jahren vieles geändert, das bringt viele Vorteile, aber auch den ein oder anderen Nachteil mit sich. Gerade die 'erste Generation der Digitalisierung', also die Arbeit mit MicroStation, hat noch künstlerische Elemente, man kann zum Beispiel noch zeichnen und schaben – wenn auch mit digitalen Werkzeugen. Ein Aspekt der Kartographie, der mir persönlich viel Spaß macht. Jetzt mit der Einführung der 'zweiten Generation', Programmen wie ArcGIS, wird es doch sehr analytisch.“

Wie in so vielen Bereichen ist es auch in der Kartographie so, dass der Fortschritt nicht nur positive Auswirkungen hat. Teilweise werden bewährte und etablierte Arbeitsweisen auch verdrängt. Johannes vermisst ein traditionelles Arbeitsgerät besonders:

„Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich den heutigen Kartographinnen und Kartographen die Arbeit am Stereoskop wieder näherbringen. Dadurch können die auszuwertenden Luftbilder als räumliches Modell, also viel plastischer als in einem Orthofoto, gesehen werden. Wer weiß, vielleicht findet diese Arbeitsweise in einer weiterentwickelten Form ja doch wieder Einzug in die moderne Kartographie.“

Johannes Fischer am Stereoskop, Foto: DAV

Ein langer, steiniger Weg

Der Übergang zur digitalen Kartographie begann Mitte der 90er mit dem Scannen der analogen Kartenfolien, bevor mit der vektoriellen Neuzeichnung sehr viel eleganter daran weitergearbeitet werden konnte. Für die Umwandlung der alten Karten in digitale Rasterbilder muss(te) der Scan sehr hochauflösend (1000 bis 1200 dpi) erfolgen, da zum Beispiel die Schwarzfolien sehr feine Fels-Strichzeichnungen und Schuttpunkte enthielten. In diese Scans wurden neue Kartenelemente als Vektoren am Computer eingefügt und nicht mehr korrekte Elemente im Rasterbild gelöscht. Für diese Arbeit kam das Programm MicroStation zum Einsatz, das teilweise auch heute noch verwendet wird. Viele der digitalen Werkzeuge zur Erzeugung dieser Kartenelemente für die Alpenvereinskarten wurden von den Kartographen im Haus generiert.

Der Vergleich der beiden Softwares (MicroStation unten, ArcGIS oben) zeigt die Entwicklung in der digitalen Kartographie. Foto: DAV

Problem der damaligen Rasterbilder: Sie enthielten keinerlei objektspezifische Informationen, wussten also nicht, dass eine schwarze Doppellinie zum Beispiel eine Straße oder eine blaue ein Fluss ist. Eine derartige Information findet sich erst bei einem Geo-Informationssystem (GIS), sozusagen “hinter” den am Bildschirm sichtbaren Daten in einer Datenbank. Die Einführung solcher Systeme erfolgte gegen Ende des 20. Jahrhunderts und wird in der Alpenvereinskartographie in Form des Programms ArcGIS seit circa 2013 parallel zum Betrieb mit der ersten Software-Generation umgesetzt. ArcGIS ist eine Desktop-Anwendung, die Datenvisualisierung, erweiterte Analysen und die Verwaltung verlässlicher Daten in 2D und 3D unterstützt. 

Eine zusätzliche Herausforderung bei der Digitalisierung der Karten war deren Diversität. Dadurch, dass im frühen 20. Jahrhundert vor allem Einzelpersonen im Auftrag der Alpenvereine für die Kartenzeichnungen verantwortlich waren, existieren innerhalb der 50 Alpenvereinskarten bis zu neun verschiedene Darstellungsstile der Felszeichnungen. Im Rahmen der Arbeit mit ArcGIS sollen alle bestehenden Felszeichnungen vereinheitlicht werden. 

Oben: Künstlerische Felsdarstellung von Aegerter/Rohn, Unten links: Haarstrich-Felszeichnung von Ebster, Unten rechts: Künstlerische Felsdarstellung von Nelles (geprägt von Imhof). Bild: DAV

Im Rausch der Digitalisierung

Die Umstellung der Alpenvereinskarten von der konventionellen Technik (z.B. Zeichnung auf Folie) auf die digitale Kartographie ist schon seit Längerem vollzogen, das heißt, alle 50 alpinen Karten wurden schon einmal am Computer bearbeitet. Inzwischen ist auch Künstliche Intelligenz (KI) ein wichtiger Bestandteil der kartographischen Arbeit. KI kommt insbesondere im Bereich der Bildinterpretationen zum Einsatz, die früher noch zeitaufwendig von den Kartographinnen und Kartographen selbst durchgeführt werden mussten. Dadurch, dass Bodenbedeckungen wie Gletscher, Felsen oder Wald in Luft- und Satellitenbildern mittels KI heute automatisch erkannt und voneinander abgegrenzt werden, soll der Prozess wesentlich beschleunigt werden. So schnell wie die Digitalisierung fortschreitet, heißt das aber natürlich nicht, dass die in der "ersten Generation der Digitalisierung" erarbeiteten Datengrundlagen der Karten dem neuesten Stand der Technik entsprechen. Daher werden alle Daten und Karten nach und nach in das Programm ArcGIS überführt.

Momentan ist die AV-Karte Zillertaler Alpen – West dran. Ein Prozess, an dem wir euch in den nächsten Monaten immer wieder teilhaben lassen, denn: Nur aktuelle Karten sind der Stoff, aus dem die Träume sind!

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