Zwei Menschen auf Hängebrücke im Wald
Den Baumwipfeln ganz nah auf der Hängebrücke bei Kühhude. Foto: Rothaarsteigverein e.V./Björn Hänssler
Schön und eindrucksvoll per se

Rauschende Baumwipfel auf dem Rothaarsteig

Der Rothaarsteig lädt auf rund 160 Kilometern zur Erkundung eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete ein. Unser Autor Joachim Chwaszcza hat auf seiner Tour erfahren, welche Herausforderungen die Pflege einer solchen Waldgebiets mit sich bringt und dass es gut ist, wenn Dinge mal vom Erwarteten abweichen.

Am Rothaarsteig ist man nie sicher vor Überraschungen

Es ist still im Wald, es ist später Nachmittag. Aber heute hat alles länger gedauert. Es waren einige Umwege zu gehen. Mein Fehler. Denn hier und dort bin ich kurzzeitig zu früh oder zu spät abgebogen – das kommt davon, wenn man auf die letzten Steinpilze schaut. Auch an der einzigen Einkehr des Tages blieb die Zeit stehen. Weil es so nett war und der Kuchen so gut, da ist schnell mehr als eine Stunde vertrödelt. Nicht ahnend, dass der schönste Teil der Wegstrecke noch vor mir liegt – das Hochheide-Naturschutzgebiet Neuer Hagen – bin ich einfach länger sitzen geblieben. Im Kopf sind es nur sieben, acht Kilometer, den letzten Bus zum Quartier müsste ich also locker erreichen. Aber wie das so ist am Rothaarsteig, man ist nie sicher vor Überraschungen. Und dass ich am Neuen Hagen fast den ganzen Akku leerfotografieren würde, konnte ich definitiv nicht ahnen. Also bin ich die letzten Kilometer im Waldlauftempo nach Küstelberg gejoggt. Den Bus zum heutigen Quartier in Medebach habe ich erreicht.

Dem Kuchen in der Hochheide Hütte ist schwer zu widerstehen. Foto: Joachim Chwaszcza

Auf dem Qualitätsweg zu berühmten Gipfeln

Der Rothaarsteig verläuft als Qualitätsweg Wanderbares Deutschland und TopTrail in seiner Hauptroute über knapp 160 Kilometer und 3931 Höhenmeter mit einigen optionalen Varianten weitgehend Nord-Süd im einstmals dichtesten Waldgürtel. Er verbindet drei Bundesländer: Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz. Durch das Hochsauerland von Brilon nach Dillenburg zu den Ausläufern des Hohen Westerwalds. Die zentralen Etappen führen am Höhenzug des Rothaargebirges entlang, in dem auch die höchsten Gipfel Nordrhein-Westfalens liegen. Der Langenberg ist mit 843,5 Meter über Null zwei Meter höher als der weitaus berühmtere Kahle Asten in Winterberg. Entgegen aller spontanen Vermutungen stammt der malerisch klingende Name des Gebirgszugs, der es auf Platz 11 des deutschen Mittelgebirgs-Höhenrankings geschafft hat, keineswegs von rothaarigen Kobolden oder einer erhöhten Anzahl rothaariger Menschen, die hier leben. Er stammt vom Begriff "Rod-Hardt" oder neudeutsch ausgedrückt "gerodetes Waldgebirge", was auf eine früher intensivere Waldweidewirtschaft hindeutet.

Beim Fotografieren in der Hochheide kann man schon mal die Zeit vergessen. Foto: Joachim Chwaszcza

"Rauschende Baumwipfel über dem Kopf...grüne Wiesen soweit das Auge reicht und weich federndes Moos unter den Wanderschuhen". So verspricht es das Marketing des Rothaarsteigs und weitgehend stimmt es auch. Die sanft geschwungene Hügellandschaft, die vor allem in den blauen Stunden besonders reizvoll ist, müsste man aber ebenso erwähnen wie die Hochheide. Eine Landschaftsform, die man im Süden so wohl nicht kennt. Aber jeglichen Vergleich mit alpinen Bergregionen und felsigen Wegen sollte man grundsätzlich unterlassen. Wer Neues entdecken will, muss den Kopf frei machen von Ideen und Klischees. Es läuft sich leichter, und man sieht mehr. Dass das, was man dann sieht und erlebt, von den Erwartungen abweicht, ist gut. Sonst hätte man nicht kommen müssen. Und genau deswegen, weil er anders ist, ist der Weitwanderweg auf dem Rothaarsteig nicht "auch schön", sondern wirklich schön und eindrucksvoll per se.

Der höchste Gipfel Nordrhein-Westfalens: der Langenberg. Foto: Joachim Chwaszcza

Weite ist die neue Höhe

Mit "Steig" assoziieren wir gerne Jäger, Wilderer, Schmuggler, steile Berge und nur wenig bekannte Gebirgswege. Diese Erwartungen erfüllt der Rothaarsteig zunächst nicht, denn er ist einfach ein gut ausgebauter Forst- und Weitwanderweg, den man in sechs (25-30 Kilometer), acht (20 Kilometer) oder gemütlich in zwölf Etappen (15 Kilometer) meistern kann. Meist abseits der kleinen Weiler und Dörfer mit Fachwerkhäusern, oft den Höhenzügen folgend, gut ausgeschildert und bestens beschrieben. Felsig und steil ist er nicht. Wer vielleicht die Stirn runzelt, weil die so wichtigen Höhenmeter fehlen, kann entspannen. Weite ist die neue Höhe. Wer einmal ein paar Tage hier gewandert ist, wird zustimmen.

Rund 80 Prozent des Weges verlaufen durch privaten Wald. Auf 160 Kilometern kommt es hier zu einer beachtlichen Anzahl von Waldbesitzern mit ihren Interessen, die sich nicht immer mit den Wünschen und Vorstellungen der Wandernden decken. Da gibt es viel Gesprächs- und Klärungsbedarf. Dabei geht es nicht nur um etwaigen Müll, Lärm und Störung der Waldruhe, sondern auch um rechtliche Fragen wie die Wegesicherung und Haftung, Sperrung bei Holzschlag oder um Jagdrechte. Insgesamt ein gehöriges Organisationspaket, das es für den Rothaarsteig e.V. zu bewältigen gilt.

Orkane...

Auf dem "Kyrill-Pfad" kann man die natürliche Entwicklung des Waldes beobachten. Foto: Joachim Chwaszcza

Der hohe Anteil an privaten Waldbesitzern ist auch ein Umweltthema. Private Waldunternehmer rechnen anders als Nationalparks. Stefan Knippertz – "der Wald ist für mich ein Lebensbegleiter" – ist Ranger und Landschaftspfleger am Rothaarsteig und hat dort alle Hände voll zu tun. Wir treffen uns am Kyrilltor kurz hinter Brilon, das an den schweren Orkan Kyrill erinnert, der am 17. und 18. Januar 2007 riesige Schneisen nicht nur durch das Waldgebiet am Rothaarsteig gefräst hatte.

Stefan Knippertz ist Ranger und Landschaftspfleger am Rothaarsteig. Foto: Joachim Chwaszcza

Knippertz markierte nach dieser Katastrophe den "Kyrill-Pfad". Auf etwa 1000 Meter Strecke nahe dem zu Schmallenberg gehörenden Ortsteil Schanze kann man dort das Chaos und die unregulierte Entwicklung des Waldes nach Kyrill betrachten. Die landeseigene Fläche wurde nach dem Sturm sich selbst überlassen und zeigt heute, wie sich der Wald entwickeln würde, wenn er sich auf natürliche Weise regenerieren könnte. Natur und Klimawandel zum Anfassen.

... und andere Katastrophen

Seit Kyrill, spätestens seit vier, fünf Jahren, ist der Borkenkäfer ein großes Thema. Denn der einstmals so stolze Wald leidet sehr deutlich unter Hitze, Klimawandel und den direkten Folgen. Wenn es nach Knippertz ginge, der mehr mit der Spraydose zur Markierung der befallenen Bäume unterwegs ist als jemals zuvor, sollte es mindestens ein halbes Jahr ununterbrochen regnen. Angesichts der Jahrhundertflut im Ahrtal, nur gute 120 Kilometer Luftlinie entfernt, ein seltsamer Wunsch. Aber so vernetzt sind Klimaprobleme. Denn durch den Regen würden die Larven des Borkenkäfers durch Pilzbefall absterben – ansonsten fliegen sie bis zu vier Mal im Jahr aus. Vier Generationen Borkenkäfer pro Jahr. Knippertz hat auch beobachtet, dass die Larven nicht erst wie angenommen bei 16,4 Grad schlüpfen, sondern schon bei 12 Grad. Da es aber sowieso eher schon viertel nach statt fünf vor zwölf ist, markiert er mit der Spraydose Tag für Tag befallene Bäume.

Monitoring aus dem Auto – auch im Rothaargebirge schlägt der Borkenkäfer zu. Foto: Joachim Chwaszcza

"Halm ab" für die Holzindustrie

Bis zu 600 Festmeter am Tag schlägt und konfektioniert ein Harvester. Entastet und geschnitten im Standardmaß für Container nach Kanada oder China, in kleineren Segmenten und Portionen wegen des niedrigeren Preises für die hiesige Holzverarbeitung. Im Moment kommen die Harvester nicht mehr mit der Arbeit hinterher. Inzwischen spricht man vom Waldsterben 2.0, die geschlagenen und gestapelten Waldflächen nennt man Kalamitätsflächen (vom Altgriechischen "kalame" – "Halm ab"). Ranger wie Stefan Knippertz oder ehrenamtliche Wegewarte wie Manni Wagner und Ewald Noelle, der alle Klettersteige in den Dolomiten hinter sich hat und dessen Herz trotzdem so heftig für den Steig schlägt, haben immer wieder alle Hände voll zu tun, um wegen Holzschlag oder Windbruch Teilstrecken zu sperren und Wege umzuleiten. So ärgerlich dies manchmal für die Wandernden sein mag, es ist es auch eine bittere Realität. Vielleicht ein mahnendes Signal, der Natur noch eine Chance zu lassen. Wer es hier beim Wandern nicht versteht, hat ein Problem. Aber Gehen reinigt bekanntermaßen den Geist.

Kalamitätsfläche im Rothaargebirge. Foto: Joachim Chwaszcza

Genuss am Wegesrand

Der Rothaarsteig ist nicht nur ein aussichtsreicher, sondern auch ein genussvoller Weitwanderweg. Gabi und Michael Pfannes betreiben hier mit dem Schinkenwirt in Olsberg ein Vorzeigehotel und Restaurant. Man erreicht, wie so oft, das Quartier über einen Zubringersteig. Regionale und vor allem lokale Produkte, so nah und verschwendungsarm wie nur irgend möglich, kombiniert und arrangiert auf hohem und vor allem wohlfeinem Niveau sorgen für absoluten Genuss. Michael Pfannes hat Sterneerfahrung in München und Köln. Also alles bestens, zumal das Gepäck per Transport schon an der Rezeption steht. So lässt es sich vor dem Abendessen in der Sauna nach langer Wanderung ausgezeichnet entspannen.

Allein wegen der Küche lohnt sich ein längerer Aufenthalt im DAV Haus. Foto: Joachim Chwaszcza

Eine Top-Unterkunft entlang des Steigs ist das Haus Astenberg am Kahlen Asten. Auch hier schneit es Lobeshymnen vom Bewertungshimmel. Chapeau, denn das ist ein DAV Haus! Charlotte Höhne und ihre Familie stammen aus Winterberg und haben sich spontan für das ehemalige Traditionshotel am "König der Sauerländer Berge" beworben, als im Juli 2020 die Sektion Wuppertal das zum Verkauf anstehende Hotel übernommen hat. Es liegt nicht nur direkt am Steig, sondern im Winter auch an der Piste. Im immerhin größten deutschen Skigebiet nördlich des Mains mit rund 80 Saisontagen im Winter. Eine entspannte und herzliche Atmosphäre, klasse Zimmer und eine ausgezeichnete Küche: Hier lohnt sich, eine zweite Nacht zu bleiben und ausgiebiger die Hochheide am Kahlen Asten zu erkunden. Da es Sommer wie Winter eine breite Auswahl an Sportmöglichkeiten gibt, ist das Haus nicht nur für Sektionsgruppen ein heißer Tipp.

Ein richtig runder Fernwanderweg

Ist man auf dem Steig unterwegs, trifft man inzwischen immer wieder auch auf Leute auf zwei Rädern. Auch das geht fein, sofern man auf beiden Seiten aufpasst und Rücksicht nimmt. Also eine runde Sache, für die es sich auch einmal lohnt, den weiten Weg vom fernsten Süden in Kauf zu nehmen. Ganz im Sinne eines echten Heimattrekkings.

Weitere Infos zum Rothaarsteig

Zu Fuß sind die rund 160 Kilometer des Rothaarsteig ein entspanntes und doch forderndes Erlebnis, vor allem wenn man sich für die Sechs-Tage-Etappen entscheidet.

Die Unterkünfte liegen meist etwas abseits des direkten Trails. Manchmal muss man auch ein, zwei Stationen mit Hilfe der Gästekarte mit dem Bus fahren. Das Haus Astenberg des DAV Wuppertal ist unter www.haus-astenberg.de oder über die DAV Hüttensuche zu finden. Das Waldhotel Schinkenwirt in Olsberg findet man inklusive Speise- und Weinkarte unter www.schinkenwirt.com.

Wer nicht alles selbst organisieren will, kann auf der Webseite des Rothaarsteigs verschiedene Pakete buchen. Mit festem Standort oder als Etappenwanderung mit und ohne Gepäcktransport. Zertifizierte Gastgeber und Campingmöglichkeiten finden sich ebenso wie aktuelle Streckensperrungen, Wegebeschreibungen und ÖPNV Touren. Außerdem gibt es alle notwendigen Infos zu den einzelnen Etappen, Unterkünften, Rundwanderwegen und es gibt auch Tipps zur Tourenplanung. Gleiches gilt für die Sauerland & Siegen-Wittgenstein-App. Hier kann man sich auf der Wanderung über den Rothaarsteig und die Rothaarsteig-Spuren leiten lassen. Kostenlos erhältlich ist die neue App in den gängigen Stores für Apple und Android.

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