Als am 12. Juni vom Internationalen Paralympischen Komitee die Sportart Para Klettern für die Spiele 2028 vorgeschlagen wird, steht Sebastian Depke nach einem steilen Aufstieg mit dem Solarbike am Scheitelpunkt des Malojapasses (1815 m). Für ihn erreichen in diesem Moment gleich zwei Herzensprojekte ihren Höhepunkt: seine erste Solo-Tour mit dem selbstgebauten Solarbike von Mallorca bis nach Innsbruck und die erfolgreiche Bewerbung des Para Kletterns bei den Spielen in Los Angeles 2028.
Sebastian Depke ist Mitglied bei der Sektion Koblenz und Teil des Paraclimbing Team Germany. Der 40-Jährige klettert schon seit seiner Teenagerzeit. Auf den Geschmack gekommen ist er 1998 dank eines Freundes, der ihn mit an die Wand genommen hat. „Ich habe alles Mögliche gemacht und in alle möglichen Bereiche des Klettersports mal die Nase rein gesteckt.“ Von der Erschließung von Neutouren in den Basaltsteinbrüchen bei Ettringen über den Platz in der Kommentator*innen-Box bei diversen IFSC Para Klettern Wettkämpfen bis zum Deep Water Soloing, dem Free-Solo-Klettern über tiefem Wasser – Sebastian brennt für den Klettersport.
„Ich habe in alle möglichen Bereiche des Klettersports mal die Nase reingesteckt.“
Heute lebt der gebürtige Kemmenauer auf Mallorca. Das mediterrane Klima mildert die Symptome seiner Erkrankung. Mit 21 erhielt Sebastian die Diagnose Morbus Bechterew, eine Form von entzündlichem Rheuma. Der selbstständige Webmaster und Systemadministrator hat durch die chronische Krankheit starke Einschränkungen in der Beweglichkeit von Wirbelsäule und Hüfte. „Ich gehöre schon eher zu den, sagen wir mal, relativ schwer funktionell Eingeschränkten in meiner Startklasse, der RP1.“
Sebastian nahm 2017 das erste Mal an einem Para Climbing World Cup teil. Erst kurz zuvor war er auf Mallorca mit dem slowenischen Sportkletterer Jernej Kruder ins Gespräch gekommen. „Jernej erzählte mir vom Paraclimbing und daraufhin habe ich mich umgehört und die Dinge nahmen ihren Lauf.“ Und zwar Richtung Briançon in Frankreich, wo er direkt auf dem fünften Platz landete.
Seitdem ist er bei fast zwanzig Wettkämpfen für das Paraclimbing Team Germany an den Start gegangen. „Ich weiß, wie es ausschaut, wenn man auf dem Podium steht. Ich weiß auch, wie es ausschaut, wenn man Letzter wird.“ Egal mit welchem Endergebnis: Die Motivation zieht Sebastian aus seiner Leidenschaft. „Für mich bedeutet Klettern die Auseinandersetzung mit sich selbst und der Wille, die Grenzen immer weiter zu verschieben. Ich nehme die gegebenen Grenzen an und drücke sie weiter. Ich denke, das gilt für viele Paras.“
Mit der wachsenden Beliebtheit des Para Kletterns wird auch die Konkurrenz bei Wettkämpfen für Sebastian immer spürbarer. In seiner Startklasse klettern häufig Menschen, die weniger funktionell eingeschränkt sind als er. Für Sebastian ist das Teil des Wettkampfs. „Wenn ich keine Hüftbeweglichkeit habe und andere haben sie zum Beispiel, dann spielt man einfach grundsätzlich in einer anderen Liga.” Für sich selbst bewertet er seine Leistung unabhängig von den anderen: „Was ich hier erreicht habe, ist das Maximum, das für mich drin ist und damit muss man dann auch leben können und zufrieden und glücklich sein.”
Seine Leidenschaft für den Klettersport bewegt Sebastian auch dazu, Vorsitzender des Para Climbing Komitees der International Federation of Sportsclimbing (IFSC) zu werden. Während der Corona-Pause im Jahr 2020 überarbeitet das Komitee das Klassifizierungsregelwerk. Zwei Jahre später übermitteln sie die Bewerbung an das Internationale Paralympische Komitee. Danach heißt es erstmal warten. Dass die Bewerbung direkt beim ersten Mal angenommen wird, halten viele Mitglieder des Komitees für unwahrscheinlich. Sebastian bleibt optimistisch. „Ich habe immer gesagt, solange es kein Nein gibt, arbeitet noch jemand und glaubt auch jemand daran. Das ist ein gutes Zeichen.“
Zum Ende des Prozesses stößt Sebastian trotz Hingabe für das Thema jedoch an seine Grenzen. „Nach der Abgabe der Bewerbung war definitiv erst mal die Luft raus. Man darf nicht vergessen, dass ich das alles nur nebenher mache.” Zeitgleich trainiert Sebastian für Wettkämpfe, arbeitet und tüftelt an einem Prototyp für sein erstes selbstgebautes Solarfahrrad.
Ursprünglich hatte Sebastian die Idee für ein eigenes Solarbike auf einer Fährüberfahrt. Die Bootsflagge schlug im Fahrtwind wild hin und her. Neben ihm lag zugeschlagen das Buch „Aufrecht mit Bechterew“ von Muna Strobl, in dem sie auch auf Sebastian verweist. „Das Buch war zu Ende, es war noch ziemlich viel Zeit übrig und es gab kein Internet“, erklärt er platt. Sebastian erträumt sich gegen die Langeweile ein Fahrzeug, mit dem man aus eigener Kraft möglichst weit kommt. Er basiert seine Idee auf Solarautos. „Das fand ich extrem spannend, weil ich mit der ganzen Technologie sowieso schon zu tun habe und damit auch rumspiele. Diese Idee musste ich aufs nächste Level bringen, einfach für mich persönlich.“
Dass alle Wege für Sebastian zum Klettern führen, merkt man auch an seinem gewählten Ziel für seine erste Solo-Biketour mit dem selbstgebauten Solarfahrrad. „Ich brauchte ein sinnvolles Ziel und habe gedacht: Okay, warum nicht einfach zum Weltcup nach Innsbruck fahren?“ So vereint er zwei seiner großen Leidenschaften und startet Anfang Juni 2024, fast zwei Jahre nachdem die Bewerbung für LA28 von der IFSC abgeschickt wurde, die über tausend Kilometer lange Tour nach Innsbruck. „Ich habe mich auf den Weg gemacht, unwissend ob das klappen wird.“ Seine Reise dokumentiert er in Videos und Fotos auf seinem Instagram-Account.
Unterwegs legt Sebastian bei der Durchfahrt in Turin spontan einen Zwischenstopp im IFSC- Büro ein. Für ihn ist sein Besuch dort „eigentlich nur ein Gag“, um sein Solarfahrrad seinem langjährigen Bekannten, dem IFSC-Präsidenten Marco Scolaris, zu zeigen. Bevor der eine Probefahrt mit dem Fahrrad unternimmt, sitzt Sebastian kurz nach seiner Ankunft in einem Besprechungsraum – unwissend, dass sich in wenigen Momenten seine Anstrengungen der letzten fünf Jahre auszahlen werden: Para Klettern wird 2028 erstmals olympisch!
Obwohl er andere motiviert hat, die Hoffnung nicht zu verlieren, gibt er zu: „So ganz habe ich selbst nicht dran geglaubt. Das war wie im falschen Film.“ In diesem Moment ist die Nachricht noch vertraulich. Sebastian erfährt als einer der ersten davon. Bevor er Turin verlässt, probiert Marco Scolaris sein Solarfahrrad aus. „Auf dem Bürgersteig in Turin ist er zwanzig Meter gerollt und hat dann beschlossen, dass er nichts kaputt machen will.“
Kurz vor dem Ende seiner Tour wird die Nachricht von der erfolgreichen Bewerbung für die Spiele LA28 veröffentlicht. Einen Tag später rollt Sebastian nach sieben Etappen und über 12.000 Höhenmetern auf die Weltcup-Kletterwand in Innsbruck zu. Eine befreundete Kletterin aus dem österreichischen Paraclimbing Kader fährt die letzten Meter mit ihm. Seine Ankunft bleibt mehr oder weniger unbemerkt. Für Sebastian geht eine spektakuläre Reise ins Ungewisse zu Ende. „Wenn man dann am Gipfel angekommen ist, dann fragt man sich schon: Was kommt jetzt?“
„Wenn man dann am Gipfel angekommen ist, dann fragt man sich schon: Was kommt jetzt?“
Dass noch etwas kommt, weiß Sebastian gewiss. Von möglichen Grenzen lässt er sich nicht aufhalten. „Bei allem, was das Leben mir gibt, versuche ich einfach, das Beste draus zu machen. Das Leben gibt mir wie auch immer geartete Beschränkungen und mein Job ist es, das Maximum innerhalb der Grenzen für mich möglich zu machen – oder sie noch weiter zu verschieben.“
Was für konkrete Pläne er zukünftig mit dem Rad und in der Kletterwelt hat, verrät Sebastian noch nicht. „Wie heißt das, ungelegte Eier sollte man nicht vor die Kamera halten oder so?“ Sicher ist: Egal was es wird, er wird es leidenschaftlich tun. Ganz nach seinem Motto „Mit Liebe zur Sache und Schritt für Schritt.”
Highlights
Sowohl an der Wand und auf dem Fahrrad als auch hinter den Kulissen hat Sebastian Depke einiges erreicht:
2017: Weltcup-Premiere in Briançon
2019: Wahl zum IFSC Athletensprecher und Vorsitzender des Para Climbing Kommittees
2022: Veröffentlichung des Buches „Paraclimbing – Nach dem Absturz kommt der Aufstieg“ in Zusammen arbeit mit vier anderen Kletter*innen
2023: 3. Platz IFSC Paraclimbing World Cup Innsbruck, 4. Platz bei der WM in Bern
2025: Teilnahme am Fahrradrennen SunTrip Marokko
Über bisherige und zukünftige Highlights schreibt Sebastian auf seiner Website sebastian-depke.de
Korrektur einer früheren Version des Artikels
In einer früheren Version dieses Artikels stand fälschlicherweise anstatt der Sektion Koblenz, in der Sebastian Depke Mitglied ist, die Sektion Konstanz im zweiten Absatz. Dies haben wir geändert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.