Kletterwettkampf
Im Spotlight: DAV Und Wettkampfsport Foto: DAV Archiv
Interview im JDAV Magazin Knotenpunkt

Der Mensch steht vor der Medaille

Wie lassen sich die Werte der JDAV mit dem leistungsorientierten System des Wettkampfkletterns vereinbaren? Ein Gespräch mit Raoul Taschinski aus der Bundesjugendleitung über Sponsoring-Listen, die Gefahr von Essstörungen und warum gerade die JDAV Verantwortung übernehmen muss.

Schon vor den Olympischen Spielen 2021 in Tokio war Wettkampfklettern in der JDAV präsent – welche Fragen standen damals wie heute im Mittelpunkt? 

Für die JDAV waren und sind über all die Jahre die Grundsätze und Bildungsziele die leitenden Werte. Dabei kam die Frage auf - passt das zum Leistungs- und Wettkampfsport? Beim Bundesjugendleitertag 2013 in Köln wurde ein Positionspapier dazu beschlossen. Wir haben das Leistungsstreben als eine Form der Betätigung in der JDAV anerkannt und gleichzeitig mögliche Interessenkonflikte zur Jugendarbeit adressiert. Wenn ich den Geist der JDAV beschreibe, schlagen in unserer Brust zwei Herzen: Das eine sagt: Werte gehen vor Leistung. Das andere: Junge Menschen sollen den Leistungsgedanken ausleben können. Trotzdem wollten wir die Entwicklung des Klettersports bei Olympia und im Wettkampfbereich generell kritisch begleiten.  

Was sind die größten Kritikpunkte am Leistungssport innerhalb der JDAV?  

Wenn man sich mal eine Liste macht, was alles problematisch ist: hoher CO₂-Ausstoß durch internationale Flüge, psychische Belastung, gesundheitliche Risiken – Stichwort Essstörungen –, und ein guter Umgang mit den jungen Menschen, die keine Medaillen gewinnen… Das sind Punkte, bei denen wir als Jugendverband sagen müssen: Wenn es darum geht, dass es Menschen gut geht – und auch dem Planeten –, dann dürfen wir da nicht einfach wegsehen, nur des Erfolgs wegen. 

Wie wird die Zukunft des Leistungssports innerhalb der JDAV diskutiert?  

Wir stehen gerade vor der Bundesjugendversammlung, wo wir genau diese Linie miteinander ausloten wollen. Wir haben eine Projektgruppe gegründet, in der wir mit Vertreter*innen der verschiedenen Anspruchsgruppen diskutiert haben. Es geht um einen konstruktiven Austausch und gegenseitiges Verständnis für Positionen, Methoden und Haltungen. Es ist uns ein großes Anliegen, Verantwortung für junge Menschen zu übernehmen. Aber auch Leistungssportler*innen in der JDAV müssen sich bewusst sein, dass es ein Spannungsfeld ist. Unser Fokus richtet sich eben auf alle jungen Menschen in der JDAV.  

Welche aktuellen Themen besprecht ihr in der Projektgruppe? 

Besonders das Sponsoring kommt immer wieder auf: Es gab etwa die Diskussion, ob wir unsere Sponsoring-Richtlinien aufweichen, um mehr Geld für den Leistungssport zu bekommen – also z. B. mit Fluglinien zu kooperieren. Da war unsere Antwort ganz klar: Nein, das wollen wir nicht. Wir sind eben nicht nur ein Sportverband, sondern auch ein Jugend- und Naturschutzverband. Deshalb sagen wir: Selbst wenn es weh tut, selbst wenn es hart ist, und selbst wenn es für die Athlet*innen und die Sektionen bedeutet, dass sie mehr zahlen müssen – wir halten an unseren Werten fest und suchen nach Kompromissen. Wir wollen eine Umgebung schaffen, in der junge Menschen Leistung bringen können, aber nicht auf Kosten von Klima, Gesundheit oder Gerechtigkeit. Bei den Ausschlusslisten des DAV und der JDAV im Sponsoring bleiben wir hart und verzichten lieber, auch wenn es um hohe Summen geht.  

Welche Ressourcenkonflikte könnte es geben, wenn der Wettkampfsport stattdessen in den Sektionen finanziell mehr gefördert wird? 

Eine angemessene Förderung des Leistungssports halten wir aber für sinnvoll. Wir brauchen gleiche Handlungsspielräume für die Jugendgruppenarbeit, bei der Entschädigung von Jugendleiter*innen oder Trainer*innen. Wettkampfklettern ist nur ein Teil unserer Arbeit und darf nicht alle Ressourcen aufbrauchen. Rein zahlenmäßig steht das sonst in einem Missverhältnis zur Anzahl junger Menschen in den Jugendgruppen der JDAV.  

"Die Menschen, die im DAV Leistungssport machen, sollen reflektiert reingehen und gesund wieder rauskommen – dafür fühlen wir uns verantwortlich." Raoul Taschinski Foto: DAV/Marco Kost

Wettkampfklettern hat Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit von AthletInnen. Welche Relevanz hat das Thema Essstörung im Klettersport in der Diskussion? 

Wir sprechen in der Projektgruppe über Essstörungen, psychischen Druck, die Vereinbarkeit von Leistungssport mit einem „normalen“ Leben mit Ausbildung oder Studium. Ich glaube, da gibt’s zwischen Jugendverband und Leistungssport große Einigkeit – alle wissen, dass das Problem von Essstörungen real ist. Der Unterschied liegt vielleicht in der Klarheit und Prioritätensetzung. Wir wollen, dass die Gesundheit des Menschen vor der Medaille steht. 

Welche Rolle könnte die JDAV einnehmen, um den Leistungssport gesünder zu gestalten? 

Der Leistungssport des DAV hat das Thema Essstörung definitiv auf dem Schirm. Ich war zum Beispiel bei einem Lehrgang des Bundesjugendkaders, da haben sie einen ganzen Tag zum Thema Ernährung und Wettkampfklettern gestaltet. Aber klar ist auch: Junge Menschen stehen oft extrem unter Druck. Die suchen sich Vorbilder, die achten auf jedes Gramm, priorisieren das Klettern und wollen richtig krass werden. Da müssen wir ganz klar sagen: Mach das nicht auf Kosten deiner Gesundheit! Wir als JDAV müssen helfen, Mechanismen zu finden, die schützen – und nicht noch zusätzlich Druck erzeugen.  

Inwieweit unterscheidet sich der DAV von anderen Sportverbänden? 

Der DAV hat in der Hinsicht einen Vorteil: Wir bekommen keine Mittel vom Bundesinnenministerium - bei einer staatlichen Förderung würde man diese erfolgsorientiert nach Medaillen und Platzierungen bekommen. Das macht zwar anderer Stelle Probleme, aber einen Vorteil hat es: Es kann uns somit im Kern gleich sein, ob wir eine Medaille bekommen oder nicht - wir können andere Werte in den Mittelpunkt stellen - den gesunden Menschen. Die Menschen, die im DAV Leistungssport machen, sollen reflektiert reingehen und gesund wieder rauskommen – dafür fühlen wir uns verantwortlich. 

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