Highlights des Alpinismus.Illustration: AdobeStock/zzooby
Highlights des Alpinismus (Teil 2)
Führerloses Bergsteigen und „Felsenturnen“ (1865–Erster Weltkrieg)
Eine mehrteilige Reise in die Alpinismus-Historie lädt ein, herausragende Berg-Ereignisse kennenzulernen – ebenso wie die Menschen, die hinter diesen Geschichten stehen.
Highlights des Alpinismus.Illustration: AdobeStock/zzooby
30. Oktober 2025
Lesedauer: 18 Minuten
Führerloses Bergsteigen und "Felsenturnen"
1865, im Jahr der Matterhorn-Erstbesteigung, durchstiegen vier Engländer mit zwei Schweizer Führern die Brenvaflanke, eine 1300 Meter hohe Wand aus Fels und Eis am Mont Blanc. Ein gewaltiger Schritt in eine neue Richtung: Statt der leichtesten Wege auf die Gipfel kamen nun andere, schwierigere Wände und Grate in den Fokus. Denn das Streben nach Verbesserung, nach Exzellenz, steckt im Menschen, dies zeigte sich auch in der Entwicklung des Alpinismus.
Vor allem in den Nördlichen Kalkalpen und den Dolomiten fanden sich die Ziele in zunehmend steilen Felswänden; in den zehn Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurden Routen erklettert, die heute noch als "Extremklassiker" gelten. Immer häufiger waren die Protagonisten selbstständig unterwegs, ohne Bergführer: "Führerlos" wurde zum umstrittenen Leitmotiv für guten Stil. Mochten die Altvorderen auch wettern gegen den "unverantwortlichen Leichtsinn", ohne gebietskundige Profis aufzubrechen zur sportlichen "Felsenturnerei", das Bessere erwies sich als Feind des Guten.
Nebeneffekt: Weil das Führerhonorar entfiel, konnten nun auch weniger wohlhabende Bergbegeisterte ihr Leidenschaft erfahren und ausleben. Zur Breitentauglichkeit trugen auch fixe Seile und Klettersteigausbauten bei, die manche steilen Stellen erleichterten. Gleichzeitig entbrannte eine Stildiskussion – der sogenannte Mauerhakenstreit – um die Verwendung von Seil und Haken zur Fortbewegung, aber auch schon zur Sicherung. Das Freikletterideal in Wiener und englischer Tradition, vertreten durch Paul Preuss, traf dabei auf die "Münchner Schule" um den Wortführer Hans Dülfer und den kreativen Entwickler Otto Herzog, die auch gerne mal technische Tricks nutzten.
Einen Tag nach dem Matterhorn wird die Brenvaflanke (1300 m, AD/D, 50°, III) am Mont Blanc erstmals durchstiegen, von George S. Matthews, Adolphus W. Moore, Frank und Horace Walker mit Jakob und Melchior Anderegg. Ein neues Kapitel beginnt: Jetzt geht es nicht mehr nur darum, Gipfel zu erreichen, sondern schwierigere Grate und Wände zu durchsteigen – so folgen 1872 die Monte-Rosa-Ostwand (1600 m, D, 55°, IV), 1876 die Pallavicinirinne (600 m, AD, 55°) am Großglockner, 1878 der Biancograt (AD, III+, 50°) am Piz Bernina und 1887 der Bumillerpfeiler (800 m, D+, V, 60°) am Piz Palü.
1870 – Allein durchs Gebirge
Hermann von Barth begeht den nach ihm benannten „Barthgrat“ an der Mittleren Jägerkarspitze im Karwendel – wie gewohnt, allein und ohne Sicherung; brüchig, ausgesetzt und für die offizielle Bewertung III ganz schön knackig. Führerlos erkundete er systematisch die Nördlichen Kalkalpen und setzte damit den Maßstab für eigenverantwortliches Bergsteigen.
1876 – Coole Ladies
Die erste Winterbesteigung des Mont Blanc ist Frauensache. Meta Brevoort, erster Mensch auf Jungfrau und Wetterhorn, scheitert zwar Anfang Januar 1876. Ende des Monats aber startet Mary Isabella Straton durch und steht, nach Start auf der Grands-Mulets-Hütte, um drei Uhr nachmittags auf dem höchsten Alpengipfel. Die Einwohner von Chamonix feiern die Bergsteigerin und ihre zwei Führer (einen davon, Jean Charlet, heiratete sie später) mit Feuerwerk, der Chronist Charles Durier schrieb: "Frauen sind zu allem fähig."
Wie viel Energie nötig war, zeigte sich 140 Jahre später, als ein Filmteam mit Ines Papert die Besteigung wiederholen wollte, mit Wickelrock und Nagelschuhen aus dem Museum, und auf halber Strecke aufgeben musste.
6. Juni 1881 – Durch "die Ostwand"
Der „Kederbacherweg“ (1800m, IV-) ist nicht einmal die leichteste Route durch die Watzmann-Ostwand, aber Johann Grill „Kederbacher“ führt seinen Gast Otto Schück sicher über Firnfelder und Felsaufschwünge; zehn Tage später wird das Totenkirchl (2190m) im Wilden Kaiser erstmals bestiegen, ein damals für „unmöglich“ gehaltener Kletterberg.
Die Halbwertszeit des Begriffs „unmöglich“ wird ab jetzt zunehmend kürzer. 1887 setzt Georg Winkler mit der Erstbesteigung des nach ihm benannten Turms (120 m, IV+) in den Dolomiten im Alleingang einen neuen Markstein.
Die Watzmann-Ostwand.Foto: AdobeStock/Hermann
6. Oktober 1889 – Der Höchste Afrikas
Die ersten Menschen auf dem Kibo-Gipfel des Kilimandscharo (5895 m), dem höchsten Gipfel Afrikas, sind Hans Meyer und Ludwig Purtscheller; ob der einheimische Führer Yohani Kinyala Lauwo mit am Gipfel war, ist unklar; Meyers Helfer Muini Amani soll an der Schneegrenze zurückgeblieben sein.
Blick auf den Kilimandscharo.Foto: AdobeStock/Willy Brüchle
14. Januar 1897 – Der Höchste Amerikas
Der Aconcagua (6959 m), höchster Berg Amerikas, wird erstbestiegen von einer internationalen Expedition; der Schweizer Führer Matthias Zurbriggen erreicht allein den Gipfel, nachdem der Leiter Edward A. Fitzgerald auf 6700 Metern zurückbleibt.
20. Juli 1900 – "by fair means"
Heinrich Pfannl, Thomas Maischberger und Franz Zimmer, drei Vertreter der „Wiener Schule“, die ein strenges Freikletterideal propagiert, erreichen den Dent du Géant (4013m) erstmals ohne die künstlichen Hilfsmittel, die bei der Erstbesteigung 1882 installiert worden waren. Damit widerlegen sie Mummerys Diktum „absolutely inaccessible by fair means“ von dessen Versuch 1880 und setzen ein starkes Zeichen für guten Stil am Berg. Maischberger hatte mit den „Maischberger Fassln“ in der Hochtor-Nordwand (850 m, IV+, Gesäuse) 1896 eine der damals schwersten alpinen Kletterstellen bewältigt.
1. Juli 1901 – Durch hohe Wände
Beatrice Tomasson begeht die erste Route durch die Südwand (650 m, IV+) der Marmolada (3343 m), geführt von Michele Bettega und Bortolo Zagonel, damals eine der schwierigsten Dolomitenrouten. Vergleichbar schwer und bedeutsam sind die Dachstein-Südwand (700 m, IV, Pichl/Gams/Zimmer, 1901) und die Triglav-Nordwand (1500 m, III, König/Reinl/Domenigg, 1906).
22. Juli 1911 – Mit Seil und Haken oder ohne?
Paul Preuss steigt solo auf neuer Linie durch die Ostwand auf die Guglia di Brenta und über den Normalweg wieder ab – ein weiteres Statement für den Stil freier Kletterei. Auch am „Preussriss“ (200 m, V) an der Kleinsten Zinne steigt er zuerst die Einstiegswand rauf und runter und setzt dann in der ganzen Tour keinen Haken.
Die anderen großen Highlights vor dem Ersten Weltkrieg in den Nördlichen Kalkalpen dagegen werden mit mehr oder weniger großzügigem Einsatz von Seil und Haken eröffnet: Laliderer-Nordwand (800 m, V, A0, Guido und Max Mayer, geführt von Angelo Dibona und Luigi Rizzi, 1911), Fleischbank-Ostwand (300 m, V, A0; Hans Dülfer, Werner Schaarschmidt, 1912, erste Benutzung von Karabinern und Seilquergang), Fleischbank-Dülferriss (150 m, V+, A0; Hans Dülfer solo, 1913), Totenkirchl Direkte Westwand (600 m, V+, A0; Hans Dülfer, Willi von Redwitz, 1913), Schüsselkarspitze-Südwand (400 m, V+, A0; Hans Fiechtl, Otto Herzog, 1913). Der „Knubelriss“ in der Ostwand (800 m, D, V/V+) der Aiguille du Grépon (3482 m) ist auch nicht leichter.
Die Südwandflucht der Schüsselkarspitze im Wettersteingebirge.Foto: Andi Dick
7. Juni 1913 – Der Kältepol Amerikas
Die ersten Menschen auf dem Denali (6190 m), damals Mt. McKinley genannt, sind Hudson Stuck, Walter Harper, Harry Karstens und Robert Tatum. Der höchste Gipfel Nordamerikas wird auch als „kältester Berg der Erde“ bezeichnet. Wenn man die Antarktis ausblendet, ist da was dran.
Der schneebedeckte Denali spiegelt sich im Wonder Lake.Foto: AdobeStock/David W Shaw