Die Natur an deutschen Mittelgebirgsfelsen ist artenreich – und besonders schützenswert. Auf den zwischen den Baumkronen herausragenden Felsköpfen hat sich in vielen Gebieten eine seltene Flora entwickelt, Pflanzen, die teilweise nur dort zu finden sind – wie auf einer abgelegenen Insel im Ozean. Diese Spezialisten trotzen dort oben der Hitze, Kälte und Trockenheit. Viele sind Überbleibsel der arktischen Vegetation der letzten Eiszeit, so genannte „Eiszeitrelikte oder Reliktarten“. Die festen Silikatgesteine, wie es sie im Harz, Erzgebirge oder Taunus gibt, sind bedeckt mit Flechten und von Moosen überzogen. An den Kalkfelsen wie auf der Schwäbischen Alb oder am niedersächsischen Ith finden sich Pfingstnelke, Mauerpfeffer oder Thymian, im Frankenjura das endemische Fränkische Habichtskraut und die Fränkische Mehlbeere. Aus den Rissen der Felswände sprießt das immergrüne Felsenblümchen, auf Simsen und Bändern haben sich der Blasse Schwingel, die Mauerraute oder das Felsensteinkraut angesiedelt. Und am Wandfuß grünt hier und dort der Zerbrechliche Blasenfarn.
Refugium für Falken und Uhus
Neben Fledermäusen und Siebenschläfern fühlen sich in dem extremen Lebensraum besonders felsbewohnende Vögel wohl, allen voran Wanderfalken und Uhus. Beide Arten glänzen mit Superlativen: Der Wanderfalke gilt als schnellstes Tier der Welt, im Sturzflug bringt er es auf 300 km/h. Und mit einer Spannweite von bis zu 170 Zentimetern und lautlosem Flug ist der Uhu die größte heimische Eule. In den 1950er und 1960er Jahren waren beide Arten durch Jagd und den übermäßigen Einsatz von Pestiziden fast ausgestorben, heute haben sich die Populationen erfreulicherweise weitgehend erholt.
Kletterkonzeptionen als Lösung
Viele zieht es zum Klettern aus der Halle nach draußen an die vielen freigegebenen Kletterfelsen in Deutschland – was für die Natur zur Belastungsprobe werden kann. Dass heutzutage wieder mehr Uhus und Wanderfalken an den Mittelgebirgsfelsen heimisch sind, ist ein Verdienst von Organisationen wie der IG Klettern, Naturschutzverbänden wie dem Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) und der Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz (AGW), dem DAV und anderen. In vielen Klettergebieten, darunter auch Steinbrüche, sind in den letzten Jahrzehnten „Kletterkonzeptionen“ entstanden – freiwillige Vereinbarungen mit räumlichen Zonierungen (wo darf man was?) und zeitlichen Sperrungen (je nach Art von Januar/Februar bis Juni/Juli), die es den Vögeln ermöglichen, in Ruhe Nistplätze zu finden und zu brüten. An die Stelle von pauschalen Verboten traten gemeinsam ausgehandelte Regeln, die auf Freiwilligkeit setzen. Denn am Fels gilt, von Ausnahmen abgesehen, das freie Betretungsrecht der Natur.
Besonders dem unermüdlichen Einsatz der lokalen Interessensgemeinschaften der Kletter*innen ist es zu verdanken, dass an vielen Felsen (noch) geklettert werden darf. In unzählbaren ehrenamtlichen Arbeitsstunden erfasste und zonierte beispielsweise die IG Klettern Frankenjura, Fichtelgebirge und Bayerischer Wald die Kletterfelsen der Fränkischen Schweiz. Weitere NGOs, Vereine wie Pfälzer Kletterer und Sächsischer Bergsteigerbund (SBB), Umweltverbände und Behörden setzten sich schließlich an einen Tisch, um Kompromisse auszuhandeln. Der Weg ist manchmal weit – im Frankenjura dauerte es gar zwanzig Jahre, bis man für die tausend Felsen Regelungen gefunden hatte – aber er lohnt sich.
Natur schützen durch flexible Regeln
„Man muss immer den Einzelfall abwägen“, erklärt Steffen Reich, Leiter des Ressorts Naturschutz beim DAV. Denn die Felsbereiche sind sehr unterschiedlich. Der Bewuchs gestaltet sich wie ein buntes Mosaik: Grüppchen bedrohter Pflanzen liegen oft unmittelbar neben Bereichen, wo problemlos geklettert werden kann. „Eine hochspezialisierte Pflanze braucht viele Jahre, um sich am steilen Fels mit nur dünner Humusauflage anzusiedeln. Reißt man diese heraus, ist viel zerstört“, so Marc Stannartz, verantwortlich für das naturverträgliche Klettern beim DAV. Auch im Falle von Wanderfalke und Uhu heißt es, flexibel zu reagieren und Sperrungen an die Brutzeiten anzupassen. Sind die Jungvögel ausgeflogen, darf wieder geklettert werden. Dabei helfen besonders die ehrenamtlichen Felsbetreuer*innen, die im Auftrag der jeweiligen DAV-Sektion die Lage vor Ort genaustens im Blick haben. Und wie alle Beteiligten das Ziel verfolgen: so viel Sperrung wie nötig, so wenig wie möglich.