Highlights des Alpinismus.Illustration: AdobeStock/zzooby
Highlights des Alpinismus (Teil 4)
Achttausender und die Direttissima-Sackgasse (Zweiter Weltkrieg bis Ende 1960er-Jahre)
Eine mehrteilige Reise in die Alpinismus-Historie lädt ein, herausragende Berg-Ereignisse kennenzulernen – ebenso wie die Menschen, die hinter diesen Geschichten stehen.
Highlights des Alpinismus.Illustration: AdobeStock/zzooby
30. Oktober 2025
Lesedauer: 14 Minuten
Nach den Traumata von Weltkrieg, Atombombe, Holocaust und Stalinismus schaffte es zumindest Westeuropa, einen tragfähigen Frieden zu etablieren. Mit der wirtschaftlichen Erholung wurden auch die Berge der Welt erreichbar: 1950 standen Franzosen auf dem ersten Achttausender, der Annapurna; 1953 waren Everest und Nanga Parbat dran, bis 1964 waren die 14 höchsten bestiegen.
Der dort verwendete Expeditionsstil mit Hochlagern, Fixseilen, Trägern und Hilfssauerstoff färbte auch aufs Alpenklettern ab: Die Direttissima, die "Linie des fallenden Tropfens", wurde in den Dolomiten zum Schlagwort, mit exzessiver Haken- und Bohrhakenhilfe durch überhängende Wände getrieben. Guido Magnone (Erstbesteiger des Fitz Roy) bezeichnete seine technisch erstbegangene Dru-Westwand gar als "Wende im Alpinismus". Doch es gab auch Statements gegen diese Trends: Österreicher bestiegen in kleinen Teams erstmals die Achttausender Cho Oyu (Tichy, 1954) und (sogar ohne Hochträger) Broad Peak (Schmuck, 1957). Dieter Hasse und Lothar Brandler nutzten in ihrer Direttissima durch die Nordwand der Großen Zinne zwar Dutzende Haken, kletterten aber wahrscheinlich Stellen des siebten Grades frei, wie sie es im Elbsandstein gelernt hatten. Walter Bonatti errichtete der menschlichen Stärke Denkmäler am Petit Dru und in der Matterhorn-Nordwand.
Doch die begrenzte Schwierigkeitsskala – der Grad VI+ war definiert als "Grenze des Menschenmöglichen" – behinderte wohl auch freies Denken für einen nächsten dialektischen Sprung; die Wiederaufbaujahre waren für den klassischen Alpinismus Vollendung, Abrundung, Verfeinerung. Kaum bemerkt entwickelte sich allerdings jenseits des großen Teiches die Bigwall- und die Freikletterkunst ungeahnten Höhen entgegen.
Die Annapurna (8091 m) ist der erste Achttausender, der erstiegen wird; Maurice Herzog und Louis Lachenal erreichen den Gipfel. Bis 1964 (Shisha Pangma, 8027 m) werden alle 14 Achttausender erreicht, meist durch nationale Großexpeditionen wie am Everest (1953, Edmund Hillary, Tensing Norgay). Hermanns Buhl Alleingang vom letzten Lager zum Nanga Parbat (8125 m, 1953) ragt daraus genauso hervor wie die Erstbesteigungen von Cho Oyu (8188 m, Herbert Tichy, Sepp Jöchler, Pasang Dawa Lama, 1954), und Broad Peak (8051 m, Marcus Schmuck, Fritz Wintersteller, Kurt Diemberger, Hermann Buhl, 1957) durch kleine Teams, die ihr Gepäck zu großen Teilen selbst tragen.
Der Originalfilm zur Erstbesteigung des Nanga Parbat aus dem Jahr 1953:
1.–5. und 16.–18. Juli 1952 – Linien des fallenden Tropfens
Als „Wende im Alpinismus“ bezeichnet Guido Magnone die Erstbegehung der Dru-Westwand (1000 m, VI, A2) mit Lucien Bérardini, Adrien Dagory und Marcel Lainé; für die kompakte und steile Granitwand übertragen sie die ostalpine Hakentechnik auf Westalpenwände. Die Begehung erfolgt in zwei Etappen: Nach wetterbedingtem Abbruch erreichen sie ihren Umkehrpunkt auf anderer Route.
Schon 1951 hatten Walter Bonatti und Luciano Ghigo in der Grand-Capucin-Ostwand (400 m, VI, A2) ähnlich gearbeitet; Bonattis sechstägige Solo-Erstbegehung des Westpfeilers am Dru (600 m, V+, A2) war 1955 eine Legendentat. Gleichzeitig entspinnen sich Diskussionen um den Stil solcher „Materialschlachten“, die teils als Direttissimas auf der „Linie des fallenden Tropfens“ mit vielen Bohrhaken und Versorgungsseil zum Wandfuß durchgeführt werden.
Extreme Wände mit wenig Hakenhilfe zu durchsteigen, bleiben ambitionierte Ausnahmen, wie von Joe Brown und Don Whillans an der Blaitière-Westwand (1954), von Walter Philipp und Dieter Flamm an der Civetta (1957) oder von Dieter Hasse, Lothar Brandler, Jörg Lehne und Siegi Löw an der Großen Zinne (1958, zwar mit vielen Haken, aber dazwischen extrem schwerer Kletterei).
Die Dru-Westwand.Foto: chisloup, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
Don Whillans im Film-Porträt:
1958 – Big (!) Walls
Die „Nose“ (900 m, VI, A2) am El Capitan (2307 m) ist nicht der allererste Bigwall im Yosemite Valley; das war die Half-Dome-Nordwestwand ein Jahr zuvor. Aber Warren Harding, Wayne Merry und George Whitemore eröffnen damit eine der schönsten und berühmtesten Kletterrouten der Welt, die immer eine Benchmark für neue Spitzenleistungen bleibt. Die Erstbegehung erfolgt im Expeditionsstil der Zeit: mit sechs Camps in der Wand und Fixseilen, an 47 Tagen während 17 Monaten, mit 700 Haken und 125 Bohrhaken. Die erste Begehung in einem Tag schaffen 1975 Jim Bridwell, John Long und Billy Westbay, die erste Rotpunkt-Begehung (X+) Lynn Hill 1993.
Noch berühmter als die „Nose“ ist wohl nur die benachbarte „Salathé Wall“, erstbegangen 1961 von Royal Robbins, Tom Frost und Chuck Pratt in zwei jeweils fünftägigen Etappen.
Die "Nose" am El Capitan.Foto: Fernando Guachiak, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
6.–12. März 1961 – Wände im Winter
Die erste Winterbegehung der Eiger-Nordwand(Heckmairführe) durch Toni Hiebeler, Walter Almberger, Anderl Mannhardt und Toni Kinshofer ist ein Paukenschlag in einer Zeit, wo es angesagt ist, schwierigste Wände in der kalten Jahreszeit zu bewältigen. Im gleichen Jahr erhält der Bonattipfeiler am Dru seine Winterbegehung, im nächsten die Matterhorn-Nordwand und der Walkerpfeiler. Noch einmal setzt Walter Bonatti ein Fanal: Seinen Abschied vom extremen Bergsteigen nimmt er mit einer Solo-Erstbegehung in der winterlichen Matterhorn-Nordwand (18.-22. Februar 1965), die bis heute nur wenige Wiederholer gefunden hat.
Die Eiger-Nordwand.Foto: qwesy qwesy, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
13. Februar 1962 – Der sechste Summit
Heinrich Harrer, Philipp Temple, Russel Kippax und Albert Huizenga erreichen, unterstützt von mehr als 100 Trägern, die Carstensz-Pyramide (Puncak Jaya, 4884 m) in Indonesien, den technisch schwierigsten der „Seven Summits“ (höchste Gipfel der Sieben Kontinente) in der verschärften Variante; die Felswand über dichtem Urwald fordert Kletterei im fünften Grad.
18. Dezember 1966 – Der letzte "Summit"
Der Mount Vinson (4897 m) gehört als höchster Berg der Antarktis zu den „Seven Summits“ und wurde als letzter von ihnen erstbestiegen: durch Pete Schoening, John Evans, Barry Corbet und Bill Long, später standen auch die sechs weiteren Expeditionsmitglieder auf dem Gipfel. Heute wird der Berg regelmäßig von professionellen Veranstaltern angeboten; die aufwändige Logistik macht die Reise extrem teuer.