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Klimawandel: Der Preis des Nichtstuns

Können wir uns das leisten? Den Klimawandel zu bremsen, fordere „enorme Anstrengungen“, sagt die Wissenschaft – und die spontane Reaktion heißt oft: „Das können wir uns nicht leisten.“ Das Gegenteil ist richtig: Wirklich teuer wäre ein „weiter so“; wirksame Maßnahmen dagegen rentieren sich sogar.

Erwärmung und kein Ende

Überschwemmungen, Dürre, Brände … die Schäden durch den Klimawandel sind schon heute überall auf der Welt spürbar. Und sie werden sich verschärfen – samt der Kosten für Reparaturen und Anpassungen. Im Pariser Klimaabkommen haben die Industrieländer 2015 vereinbart, die Erwärmung möglichst auf 1,5°C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit begrenzen zu wollen. Dafür sollen jährlich 100 Milliarden Dollar (ca. 85 Mrd. Euro) investiert werden. Ob das reicht, ist mehr als fraglich; sein Klimaziel für 2020 hat Deutschland nur dank der Corona-Einschränkungen knapp erreicht.

 

Derzeit liegt die Welt bei etwa 1,2°C Erwärmung und laut Bundes-Entwicklungsministerium bei jährlichen Umweltschäden von 210 Milliarden Dollar. Bei 2°C Erwärmung könnten die Schäden laut einer anderen Studie bis 2070 auf 1,8 Billionen Dollar jährlich anwachsen – bei einem „weiter so wie bisher“ sogar auf 5,4 Billionen. Und das sind nur Reparaturkosten für direkte Katastrophenwirkungen; allgemeine Umweltschäden sind nicht erfasst. Woran das liegt, drückt Tobias Hipp vom DAV Naturschutz so aus: „Der Natur einen monetären Wert zu geben, ist sehr schwer“ – die komplexen Zusammenhänge der Ökosysteme lassen sich eher qualitativ erfassen.

 

Es ist zu heiß

2020 war das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Deutschland; in den Alpen wirkt die Klimaerwärmung annähernd doppelt so stark. Zwar sind die Berge noch kühl genug für hitzeflüchtende Touristen in „Sommerfrische“, aber sie werden zu heiß für manche Pflanzen und Tiere.

 

Solange die Berge hoch genug sind, können zumindest Tiere in kühlere Lagen ausweichen. Allerdings ist es oben enger und sie finden vielleicht nichts mehr zu fressen, denn Pflanzen „wandern“ langsamer – und sie brauchen Zeit, um im bisherigen Ödland Humus zu bilden und Fuß zu fassen.

 

Noch langsamer sind Bäume. Das ist schon im Flachland ein Dilemma der klimaresilienten Forstplanung: Für Bäume, die künftige Wärme vertragen, etwa Libanonzedern, ist es heute noch zu kalt für eine Aufforstung. Am Berg ist es noch schwieriger: Geplante Forstwirtschaft ist dort nur bedingt möglich, zudem fehlt es an Raum und Bodensubstrat. Geschwächte Bäume sind dann auch anfälliger gegenüber Stürmen, die mit der Klimaerwärmung häufiger und stärker werden dürften.

 

Die Berge bröseln

Wenn Pflanzen und vor allem Bäume leiden, geht nicht nur Biodiversität verloren: Bäume puffern Niederschläge, stabilisieren Hänge, schützen vor Lawinen. Entfallen diese Schutzfunktionen, kann die Erosion stärker ansetzen – zumal wenn auch Starkniederschläge zunehmen.

 

Lawinen, Gewittergüsse und Muren können Hänge und Wege wegreißen; ein Problem, das sich verschärfen dürfte. Eine Million Euro und tausende ehrenamtliche Arbeitsstunden kostet den DAV schon heute jährlich die Sanierung seiner rund 30.000 Kilometer Wanderwege. Diese Summe muss nach oben korrigiert werden, wenn der Klimawandel nicht gebremst wird – auch wenn man keine klare Grenze ziehen kann zwischen explizit klimabedingten und „normalen“ Umwelteinflüssen, wie Gabriela Scheierl aus dem DAV-Ressort Wege anmerkt.

 

Erosion verschärft sich auch dort, wo durch die Erwärmung der Permafrost schmilzt, dauergefrorene Bodenschichten oberhalb rund 2500 Metern. Der berühmte Bonattipfeiler am Dru über Chamonix ist ein prominentes Opfer. Aber auch hochgelegene Hütten kommen ins Wanken, wenn ihr Permafrost-Fundament aufweicht. Das Hochwildehaus des DAV in den Ötztaler Alpen musste schon wegen Destabilisierung geschlossen werden; dort schwächte zusätzlich Schmelzwasser das Fundament, indem es Partikel ausschwemmte. Auch für die Landshuter Europahütte wird ein Ersatzbau an anderer Stelle nötig, weil der aktuelle Standort wegen Permafrostschmelze nicht zu erhalten ist.

Studien zur Entwicklung des Permafrosts sind aufwendig und teuer, sagt Xaver Wankerl vom Ressort Hütten. Deshalb lerne man aus der Erfahrung, um in ähnlichen Situationen präventiv zu handeln. So wird an der Stüdlhütte im Glocknergebiet eine Regenrinne verlegt, so dass das relativ warme Regenwasser nicht mehr direkt neben der Hütte in den Boden fließt.

Erosion – ob durch Entwaldung, Niederschlag oder Permafrostschmelze – trifft aber nicht nur Bergsportler*innen und alpine Hütten und Wege. Auch Pässe und Bergstraßen, teils sogar Siedlungen, müssen durch Fangzäune vor Steinschlag, durch Verbauungen und Galerien vor Muren und Überschwemmungen geschützt werden. Auch hier gilt: Anpassungen (Schutzbauten) sparen Reparaturkosten – könnten aber gespart werden, wenn Klimaziele erreicht würden.

 

Die Gletscher schmelzen

Die wohl deutlichsten Botschafter der Erderwärmung sind die Gletscher. Der beobachtbare Schwund ergibt sich aus der Verschiebung der Nullgradgrenze (etwa 150 Höhenmeter pro Grad Celsius) und veränderter Niederschlagsverteilung: Fällt im Winter Regen statt Schnee, bleibt er nicht liegen, sondern läuft weg – und taut dabei auch noch das Eis ab. Die Hälfte der Alpengletscher wird bis 2050 abschmelzen; unser heutiges Verhalten entscheidet, ob bis 2100 der Rest auch verloren geht oder weitgehend erhalten bleibt.

 

Dass Bergsteiger*innen dann einige Wege und Eistouren nicht mehr begehen können, ist das kleinste Problem. Wobei der DAV ohnehin eine klare Position hat: „In erschlossenen Gebieten sollen neue touristische Baumaßnahmen vorrangig der Qualitätssteigerung und der Reduzierung der Belastungen von Boden, Wasser und Luft dienen. Gletschergebiete mit ihren Vorfeldern sind einzigartige ökologische Räume, die für weitere Erschließungen generell tabu bleiben müssen.“ Brücken- oder Treppenanlagen über ausgeaperte Schluchten und Moränen soll es also nicht geben, einige Wege werden wohl verloren gehen oder wilder werden.

 

Gletscher als Wasserspeicher

Viel wichtiger ist die Rolle der Gletscher als Wasserspeicher. Schon heute haben einige Berghütten Probleme mit der Wasserversorgung oder ihrem Wasserkraftwerk, wenn die Schüttung nicht mehr ausreicht. Das Gletscherwasser ist aber auch wichtig für die Trinkwasserversorgung Mitteleuropas, besonders auf der regenärmeren Alpensüdseite. Und man braucht es als Puffer für die Flüsse; in den Hitzesommern 2015 und 2018 reichte es allerdings nicht aus: Die Rheinschiffahrt musste zeitweise wegen Niedrigwasser eingestellt werden, Kraftwerke wurden abgeschaltet, weil das benötigte Kühlwasser zu warm war. Entfällt die Wasserlieferung aus den Gletschern, schlagen trockene Sommer noch härter zu Buche.

 

Noch größer ist das Trinkwasser-Problem beispielsweise auf dem indischen Subkontinent, wenn die Himalayagletscher abtauen. Dort erreichen überdies Gletscherseen aus Schmelzwasser gewaltige Ausmaße – wenn dann der natürliche Damm bricht, drohen tödliche Überflutungen.

 

Wir können die Auswirkungen unserer aktuellen Lebensweise also von der Hüttentür bis zur anderen Seite der Erde nachvollziehen. Und auch wenn Zahlen und vor allem Prognosen wegen unterschiedlicher Rechenmodelle voneinander abweichen können, so zeigen sie doch einen klaren Trend: Vorbeugen ist besser als heilen.

 

Schäden eindämmen, Kosten sparen

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat die Kosten durch die Klimakatastrophe allein für Deutschland bis 2050 auf insgesamt knapp 800 Milliarden Euro beziffert: 330 Milliarden durch direkte Schäden, 300 durch erhöhte Energiepreise, 170 Milliarden für Anpassungsmaßnahmen, wie etwa Lawinenverbauungen oder höhere Deiche. Für Europa oder gar weltweit sind die Schadensummen entsprechend höher, besonders wenn die Klimaziele nicht erreicht werden. Das muss, das sollte kein Schicksal sein.

 

Die grüner Tendenzen unverdächtige Unternehmensberatung McKinsey hat in der Studie „Net-Zero Europe“ berechnet, dass die EU bis 2050 klimaneutral werden könnte, wenn sie jährlich dafür auf die bisherigen 800 Milliarden Euro nochmal 180 Milliarden drauflegt. Dieser Mehraufwand werde aber durch Einsparungen, etwa bei Rohölimporten, mehr als wieder aufgewogen. Auch der Arbeitsmarkt profitiere: Zwar entfielen sechs Millionen Arbeitsplätze in Dinosaurier-Industrien, dafür entstünden elf Millionen neue in Zukunftsbranchen. „Haushalte mit geringerem und mittlerem Einkommen würden sogar etwas entlastet.“ Und europäisch gemeinsam sei das Ziel leichter zu erreichen.

 

Es lohnt sich also sogar finanziell, jetzt alle Energie für die Transformation hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft einzusetzen. Zumal da manche Auswirkungen einer ungebremsten Klimaerhitzung gar nicht absehbar und quantifizierbar sind – die Zerstörung von Ökosystemen, der Verlust an Biodiversität, die gesundheitliche Anfälligkeit der Menschen, die Gefahr gewaltsamer Konflikte. Die Weltbank schätzt, dass aus den derzeit schon 20 Millionen „Klimaflüchtlingen“ in wenigen Jahren 140 Millionen werden könnten.

 

Das DIW resümiert: „Die Bekämpfung des Klimawandels wird zwar teuer – Nichtstun aber deutlich teurer!“ Zaudern und trödeln wird neben Lebensqualität auch Leben kosten. Wir haben also allen Grund für „massive Anstrengungen“: es ist unterm Strich billiger und es rettet unbezahlbare Werte: Natur, Artenvielfalt und großartige Momente am Berg.

 

Die Kampagne #machseinfach ist Teil des Projekts „Bergsport mit Zukunft“, das durch das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV) und Globetrotter gefördert wird.

 

Unterstützt wird die Kampagne von VAUDE, dem offiziellen Ausrüster des DAV.

 

Der Preis des Nichtstuns – Quellen

Mehr erfahren
Woher kommen die hohen Zahlen rund um die Kosten der Klimaerhitzung? Hier sind einige interessante Quellen zum Nachlesen. Kosten des Klimawandels (Bundeszentrale für politische Bildung, 2013) Diese schon etwas ältere (2013) Information der Bundeszentrale für politische Bildung bezieht sich auf eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Ein Fazit: Ohne stärkere Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels könnten sich die Kosten seiner Auswirkungen in Deutschland bis 2050 auf ges. knapp 800 Mrd. Euro belaufen. Davon 330 Mrd. direkte Kosten durch Klimaschäden, 300 Mrd. erhöhte Energiepreise, 170 Mrd. für Anpassungsmaßnahmen. Dass Zahlen bei unterschiedlichen Studien und Szenarien differieren können, liege in der Komplexität der Zusammenhänge – die Tendenzen seien jedoch klar: „Die Aufgabe von ökonomischen Klimamodellen liegt aber auch nicht darin, punktgenaue Kosten vorherzusagen, sondern Erkenntnisse über Zusammenhänge und mögliche finanzielle Dimensionen zu erlangen. Aus den grundlegenden Tendenzen (Nettokosten oder Nettonutzen) und den Größenordnungen sind die richtigen politischen Schlüsse zu ziehen. Viele Studien machen deutlich, dass der Klimawandel zu volkswirtschaftlichen Schäden in nahezu allen Sektoren in allen Ländern der Welt führen wird. Die Mehrzahl der Studien und Modellergebnisse geht davon aus, dass die Kosten des Klimawandels ohne ausreichende klimapolitische Maßnahmen immens hoch sein werden. Sie zeigen auch, dass es wichtig ist, frühzeitig in den Klimaschutz einzusteigen, da die Nettokosten höher werden, je später begonnen wird. Das Fazit lautet daher: Die Bekämpfung des Klimawandels wird zwar teuer – Nichtstun aber deutlich teurer!“