Volle Fahrt voraus
Mobilitätskonzepte des DAV
Im aktuellen Bergsteiger-Special „Alpentouren mit Bus & Bahn“ berichtet Franziska Haack über Konzepte des DAV für eine klimaschonende Anreise zum Bergsport. Mit freundlicher Genehmigung der Bergsteiger-Redaktion veröffentlichen wir den Text auch hier.
Es wird immer heißer auf der Erde und die Zeit knapp. Im November 2019 ruft das EU-Parlament den Klimanotstand für Europa aus. Etwa einen Monat zuvor ist die Klimakrise auch Thema der Hauptversammlung des DAV. Er verabschiedet eine Resolution, die die Politik zu einer konsequenteren Klimapolitik aufruft. Und legt sich eine Selbstverpflichtung auf: Auf Bundes-, Landes- und Sektionenebene sollen Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden, insbesondere in den Bereichen Infrastruktur und Mobilität. In seinem »Klimaschutzkonzept« legt der DAV auch Parameter für die CO2-Bilanzierung und Ansätze für Klimaschutzprojekte fest. Das Grundprinzip: Vermeiden vor Reduzieren vor Kompensieren. Das ehrgeizige Ziel: bis 2030 klimaneutral sein. Eine der größten Baustellen: Mobilität.
"Innerhalb des Klimaschutzkonzeptes spielt Mobilität eine wichtige Rolle, hier sehen wir das größte Einsparungs- und Handlungspotenzial", sagt Nicolas Gareis, Ressort Naturschutz und Kartografie. Zu den im Klimaschutzkonzept festgelegten Maßnahmen gehört neben Aufklärungskampagnen daher die Überarbeitung des Ausbildungs- und Tourenprogramms. Sind die Kursorte gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen? Neue Richtlinien legen den Kursleitungen nahe, die Öffis auch zu nutzen.
Doch mit Richtlinien allein ist es nicht getan. Damit möglichst viele Bergsporttreibende umsteigen, muss das Angebot attraktiver werden. Immer noch sind die Ausgangsorte vieler Touren mit Bahn und Bus nicht oder nur schwer zu erreichen. Der DAV betreibt hier Lobbyarbeit, spricht mit Gemeinden und Verkehrsbetrieben. Und tritt zunehmend selbst als Betreiber auf. Seit Jahren fährt der rote Bergbus, eine Kooperation von Alpenverein und RVO, von Bad Tölz und Lenggries zu den Engalmen im Karwendel. 2020 wurde der Takt an Wochenenden erhöht und die Zeitspanne ausgedehnt. Im Frühsommer 2021 startete zudem der Bergbus der Sektion Oberland.
Breite Zustimmung und einige Hürden
Das Projekt wurde 2019 in die Wege geleitet, nachdem eine für die Sektion erstellte Klimabilanz u. a. ergeben hatte, dass der Großteil der Mitglieder mit dem Auto in die Berge fährt und meistens nur 1,8 Personen in einem Fahrzeug sitzen. "Wir hatten also die Idee, ein ÖPNV-ähnliches Verkehrsmittel aufzusetzen, das einen ähnlich schnell und bequem wie ein Pkw in die Berge bringt", erzählt Christian Stolz, Leitung Umwelt und Naturschutz. Ins Graswangtal etwa braucht der Bus ab München eine gute Stunde. Die "normale" öffentliche Anreise dauert dreimal so lang. Weitere Linien fahren ins Chiemgau und über den Tegernsee nach Steinberg am Rofan. Zwar bekam die Sektion viel Zuspruch und Unterstützung aus den Regionen und von der Stadt München, es gab aber auch einige Hürden. "Ein Riesenhindernis waren die ganzen Formalia, die es für eine Konzession braucht", sagt Christian Stolz. In welchem Rhythmus darf der Bus fahren? Wo darf er halten? Und wo überhaupt fahren? Im Graswangtal beispielsweise nur bis Schloss Linderhof, ab dort sind auf der Straße nur Fahrzeuge bis 16 Tonnen zugelassen. Immerhin können im Bergbus (mit Voranmeldung) Fahrräder mitgenommen werden, um das letzte Stück zu entfernteren Ausgangspunkten zurückzulegen. Das Problem der letzten Meile ist auch beim Bergbus noch nicht wirklich gelöst.
Das zweite Problem ist die Trägheit der Menschen. "Wir Bergsteiger wurden über Jahrzehnte zu Motorsportlern erzogen", stellt Christian fest. Um das zu ändern und den Umstieg zu erleichtern, hat sich die Sektion Augsburg, die im Herbst mit zwei Bergbuslinien (ins Graswang- und Tannheimer Tal) startet, etwas überlegt. "Wir verlinken nicht nur Tourenvorschläge auf der Webseite unseres Busses, sondern es wird auch zu jeder Busfahrt eine geführte Tour geben", erzählt Thomas John, Vorstand der Sektion Augsburg. Der Augsburger Bus sollte eigentlich im Herbst 2020 Fahrt aufnehmen. Wie bei so vielem kam die Coronapandemie dazwischen, die nochmal deutlich die Probleme des Individualverkehrs aufzeigte. Die Monate vor dem Start ihres Busses nutzen die Augsburger nun, um kräftig Werbung zu machen. Parallel dazu hat die Sektion ihr Tourenprogramm überarbeitet und zeichnet umweltfreundliche Unternehmungen aus. "Jeder kleine Schritt zählt, jede kleine Maßnahme", sagt Katarina Holzer, im Vorstand der Sektion Augsburg für Umweltschutz zuständig. "Als Naturschutzverein ist der DAV klar in der Pflicht, auch Umweltbildung zu betreiben."
Etwa 50 Autos kann ein vollbesetzter Bergbus ersetzen. Für die angesteuerten Regionen ist das viel. Verglichen mit den 180 000 Mitgliedern der Sektion Oberland aber doch recht wenig. "Es ist definitiv nur ein Tropfen auf den heißen Stein", gibt Christian Stolz zu. "Es wäre auch vermessen zu denken, wir als Alpenverein schaffen die Verkehrswende im Alpenvorland. Aber wir wollen zeigen, dass es Veränderung geben kann, wenn der Wille da ist."
Nun gilt es, die Bergsteiger*innen zum Umdenken anzuregen. Nach den ersten Wochen der Pilotphase des Oberland-Busses ist Projektleiter Stolz mit der Auslastung von über 50 Prozent sehr zufrieden. Nicht zuletzt dank der Aufklärungsarbeit des DAV wächst das Bewusstsein – und mit ihm Nachfrage und Angebot.
Nico Gareis, Mitarbeiter im DAV Ressort Naturschutz & Kartografie über weitere Idee des DAV
BERGSTEIGER: Löst der Bergbus das Verkehrsproblem im Voralpenland?
Der Bergbus ist eine tolle, innovative Sache, muss aber Baustein eines umfassenden Konzeptes sein. Toll wären noch Kletterbusse mit anderen Abfahrtszeiten und Zielen sowie Busse in die Mittelgebirge. Man sollte auch über ungewöhnlichere Lösungen nachdenken. Außerdem: Den Bergbus nutzen ja eher Leute, die bereits ÖV-affin sind. Daher ist es wichtig, Leute zu erreichen, die sich noch gar nicht mit dem Thema beschäftigt haben.
Wie könnte das gelingen?
Etwa über Lobby- und Aufklärungsarbeit. Wir als DAV werben über unsere Medien dafür (viele Infos auf alpenverein.de/mobilitaet), aber wir müssen auch die Politik in die Verantwortung nehmen. Man könnte auch eine spielerische Note reinbringen. CO2-Sparen als Wettbewerb. Etwa, indem man CO2-Rechner aufstellt oder eine App aufsetzt. Auch Preisnachlässe für DAV Kurse bei ÖPNV-Anreise oder Ermäßigungen auf Hütten sind denkbar. Im DAV wollen wir in den nächsten Jahren verschiedene Ideen ausprobieren.
Gibt es auch Konzepte für das Problem der letzten Meile?
Eine Idee sind Mobilitätsstationen mit einer AV-Sektion als Partner vor Ort, die (E-)Bikes verleihen. Gern in Kooperation mit lokalen Sportgeschäften, die auch Ausrüstung z. B. zum Klettern oder für Klettersteige verleihen. Hier sollten wir Orte mit Potenzial raussuchen und vor Ort gute Ansprechpersonen finden, um in zwei, drei Jahren ein Pilotprojekt zu starten.
Welche Baustellen gibt es sonst noch bei der öffentlichen Anreise?
Der ÖPNV ist nicht auf den Bergsport ausgelegt. Das sieht man schon an den Fahrtzeiten. Wir brauchen mehr frühe und auch späte Verbindungen am Wochenende sowie mehr Platz für Equipment. Auch ein einfacheres Ticketsystem ist wünschenswert. Toll wäre zudem eine App, die verschiedene Funktionen vereint: eine Übersicht über alle Möglichkeiten, an einen Ort
zu kommen, und die Option, gleich alles zu buchen. Am besten inklusive Mitfahrgelegenheiten. Denn bei einem vollbesetzten Auto ist die CO2-Bilanz pro Kopf besser als bei einem halb leeren.
Diese und viele weitere Geschichten findet ihr im Bergsteiger Special Alpentouren mit Bus & Bahn! Erhältlich an jedem gut sortierten Kiosk.