Bahn frei für die nächste Erschließungswelle?
10.10.2018, 09:05 Uhr
Der ÖAV warnt zusammen mit dem DAV in einer Pressekonferenz vor der Neuauflage des Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramms (TSSP). Es zeichnet sich ein klares Bild: Neuerschließungen werden als Erweiterungen getarnt und alte Pläne wieder neu aufgetischt.
Klare Position der Alpenvereine
"Allen politischen Verbündungen zum Trotz erwarten wir uns endlich einen rechtlichen Rahmen, der stabil genug ist, um den selbsternannten Visionären im Tourismusland Tirol klar die Grenzen aufzuzeigen", fordert Dr. Andreas Ermacora, Präsident des ÖAV.
Einen solchen Rahmen hätte das Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramm schaffen sollen, doch das Gegenteil ist der Fall. "In der jetzt vorgelegten Fassung bereitet uns das TSSP große Sorgen. Schon jetzt taumelt Tirol von einem Tourismusrekord zum nächsten, einige Nadelöhre sind verkehrstechnisch bereits völlig überlastet. Jetzt wird ein Seilbahnprogramm diskutiert, das den schwelenden Erschließungsplänen endgültig Tür und Tor öffnen würde", so der Alpenvereinspräsident.
Auch der Tiroler Landesverband des Alpenvereins wendet sich mit seinen 110.000 Mitgliedern und den unmittelbar betroffenen Sektionen von ÖAV und DAV entschieden gegen eine Aufweichung der Tiroler Seilbahngrundsätze 2005, die Ende 2018 auslaufen. Landesverbandsvorsitzender Gerald Aichner dazu: "Die Bestimmungen zum Schutz von Natur, Landschaft und Umwelt sind in ihrer Intention unverändert – also nicht nur in abgeschwächter Form – beizubehalten. Die Ausschlusskriterien müssen erhalten bleiben."
"Erschließungsstopp" ist leeres Versprechen
Das Argument der "Fortschreibung" eines bestehenden Programms lässt der Alpenverein nicht gelten: "Die Befürworter des TSSP brüsten sich aktuell gerne damit, dass sich durch das neue Seilbahnprogramm kaum etwas ändert. Vor allem Neuerschließungen würde man weiterhin nicht zulassen. In Wahrheit wurde der Begriff der 'Neuerschließung' einfach neu definiert. So gaukelt man der Bevölkerung einen 'Erschließungsstopp' vor und fasst unter 'Erweiterungen', was bislang als Neuerschließung verboten war. Alles eine Frage der Definition also. Diese Tricks müssen wir unbedingt enttarnen", sagt Liliana Dagostin, Leiterin der Abteilung für Raumplanung und Naturschutz im Österreichischen Alpenverein und fügt hinzu: "Die letzten Naturräume hat die Seilbahnindustrie ja schon lange im Visier. Schwarz-Grün schafft jetzt die letzten Einschränkungen ab, um in einem Bundesland, das mit insgesamt 93 Skigebieten kaum noch Grenzen hat, für noch mehr skitechnische 'Bewegungsfreiheit' zu sorgen."
Neue Chancen für große Projekte
Der Alpenverein kritisiert den vorliegenden Entwurf des TSSP harsch. Die "SchubladenProjekte" im Regierungsabkommen, die bisher als Neuerschließung raumordnungsrechtlich abgelehnt worden wären, werden als Erweiterung umetikettiert: Etwa der Zusammenschluss Hochfügen-Tux mit Zubringer über Weerberg, HochoetzKühtai oder Sexten-Sillian. Auch der umstrittene Pitztaler Notweg könnte sich damit möglicherweise zu einem offiziellen Skiweg umwidmen lassen. "Die Ausdehnung der Skigebiete Hochoetz und Kühtai über das Gebiet Feldringer Böden und Schafjoch ist ebenso ein 'no go' wie die Offensive für eine Seilbahnverbindung von Weer/Weerberg über Gilfert und Rastkogel nach Hochfügen. Neuerschließungen sowie die acht geplanten Skigebietserweiterungen führen zur Zerstörung von Landschaft und Natur. Damit würde der Erholungswert dieser Gebiete, insbesondere für die heimische Bevölkerung und die steigende Zahl der Tourengeher, erheblich zerstört", so Gerald Aichner vom Landesverband Tirol. "Wenn man bedenkt, wie wenige Projekte VOR dem ersten TSSP 2005 umgesetzt wurden und wie viele Gebiete danach neu erschlossen und unwiederbringlich zerstört wurden, ist es wohl gesünder für unsere Naturräume, das TSSP auslaufen zu lassen. Dann werden wir wieder um jeden einzelnen Flecken unberührter Landschaft kämpfen, der Tirol noch bleibt – egal, ob er innerhalb oder außerhalb der Skigebietsgrenzen liegt", zeigt sich Liliana Dagostin entschlossen.
Pitztal: Schwarzbau und trickreiche Methoden
Eine dieser derzeit heiß umkämpften Flächen ist das Pitztaler Gletscherskigebiet am Brunnenkogel- und Mittelbergferner, in dem die trickreichen Methoden, um weiteren Raum zu erschließen, beinahe so alt sind wie das Skigebiet selbst. Was dort mit dem Pitztaler "Notweg" begonnen hat, scheint inzwischen gängige Praxis zu sein: Auch 2018 wurden nicht genehmigte Bautätigkeiten im Gletscherskigebiet beobachtet. Zur unerlaubten Verbreiterung eines Skiwegs am Hinteren Brunnenkogel und den massiven Erdbewegungen am Grat liegen inzwischen zwei Anzeigen bei der Behörde. "Zu befürchten ist, dass auch hier rückwirkend eine Genehmigung erteilt wird – analog zur Geschichte am Notweg, bei der man damals eifrig nachgeholfen hat, die Bauherren reinzuwaschen", erinnert Liliana Dagostin vom ÖAV.
Schulterschluss mit dem Deutschen Alpenverein
Unterstützung im Konflikt um die Skigebietserweiterungen kommt auch vom Deutschen Alpenverein. Der DAV ist ebenso wie der ÖAV in Österreich als Umweltorganisation anerkannt, viele der Alpenvereinshütten und Arbeitsgebiete in Tirol werden von DAVSektionen betreut. "Wenn bisher unberührte Geländekammern in Österreich technisch erschlossen werden und die Natur dabei unter die Räder kommt, betrifft das auch den DAV – und zwar in gleichem Maße, wie es ihn in den bayerischen Alpen betrifft", sagt Rudolf Erlacher, Vizepräsident des Deutschen Alpenvereins. Der Skigebietszusammenschluss von Pitz- und Ötztal sei "ein weiteres Puzzlestück im hochalpinen Flächenfraß". Die Braunschweiger Hütte des DAV steht mitten in diesem Erschließungsprojekt am Rande des Mittelbergferners. Im Schulterschluss fordern die beiden Alpenvereine, dass der Skigebietszusammenschluss von Pitz- und Ötztal nicht realisiert wird. "Wir appellieren an die Einhaltung von Ruhezonen, Raumordnungsprotokollen und Skigebiets- und Seilbahnprogrammen in Tirol. Wir fordern einen Stopp von Skigebietserweiterungen und -zusammenschlüssen in noch unerschlossene Geländekammern, um naturnahe Regionen für sanften Tourismus und Bergsport langfristig zu erhalten", so die Alpenvereine unisono.
Riedberger Horn: Wert des Naturraums erkannt
Dass die Alpenvereine mit solchen Forderungen auf eine breite gesellschaftliche Basis setzen können, hat sich in der Auseinandersetzung um das Riedberger Horn im Allgäu eindrucksvoll gezeigt. Im April dieses Jahres hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder den Rückzug vom dort geplanten Skigebietszusammenschluss bekannt gegeben. Der Entscheidung waren massive Proteste der Naturschutzverbände und des DAV vorausgegangen. Letztlich war es der gesellschaftliche Druck, der die bayerische Staatregierung zum Richtungswechsel gebracht hat. Es ist breiter gesellschaftlicher Konsens in Bayern, dass die Alpen ein einzigartiger, unverzichtbarer, bedrohter und daher unbedingt schützenswerter Naturraum sind.
"Ausbaupläne werden von der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert."
Rudi Erlacher, Vize-Präsident des Deutschen Alpenvereins
"Wir haben ausgezeichnete Skigebiete in Tirol, irgenwann ist es genug"
Andreas Ermacora, Präsident des Österreichischen Alpenvereins
"Gut gelungenes Kabarettstück oder Marketing-Gag?"
Liliana Dagostin, Leiterin der Abteilung Raumordnung & Naturschutz beim Österreichischen Alpenverein
"Was würden wir unseren Enkeln einmal antworten..."
Gerald Aichner, 1. Vorsitzender des Tiroler Landesverbandes des Österreichischen Alpenvereins