Wanderweg-Schild „Gamshütte über Grasbergalm“ auf einer blühenden Bergwiese mit grünen Wäldern und Bergen unter klarem blauem Himmel.
Neue Schilder weisen den Weg zur Gamshütte. Foto: Thomas Hüttl
Erinnerungsarbeit auf Alpenvereinswegen

Auf (un)vergessenen Wegen

Wer in den Bergen unterwegs ist, folgt meist gut markierten Pfaden – und auf über 30.000 Kilometern sind es Wege, die von den DAV-Sektionen gepflegt und erhalten werden. Wir setzen einen Fuß vor den anderen, spüren Fels, Wurzelwerk und Steine unter den Sohlen, bestaunen Flora und Fauna, lassen den Alltag hinter uns und genießen am Ziel die Aussicht von Gipfeln oder Hütten. Doch selten denken wir an die Wege selbst: an ihre Herkunft, ihre Namen, an die Personen, die sie angelegt, benannt, beschrieben oder geprägt haben.

All diese Wege haben eine Geschichte. Sich diesen – oft unsichtbaren – Spuren bewusst zu werden, macht unser Unterwegssein reicher und verantwortungsvoller. Wie gelebte Erinnerungsarbeit aussehen kann, zeigen exemplarisch drei Initiativen von DAV-Sektionen.

Neue Namen für Wege zur Gamshütte

Die Sektion Otterfing hat die Zustiege zur Gamshütte im Jahr 2025 umbenannt. Auslöser war die Recherche zu den beiden Namensgebern der Wege: Hermann Hecht und Georg Herholtz von der Sektion Kurmark, die 1912/13 als antisemitische Sektion gegründet wurde. Hermann Hecht und Georg Herholtz waren entscheidende Gründungsmitglieder und als erster Vorsitzender bzw. als erster Kassierer in zentralen Positionen. Die antisemitische Ausrichtung der Sektion geht auch auf ihr Betreiben zurück.

Die Gamshütte über Finkenberg in den Zillertaler Alpen. Foto: Thomas Rychly

Um mit der Vergangenheit zu brechen und sich bewusst von der politischen Gesinnung der Namensgeber zu distanzieren, entschied die Sektion, dass die Namen nicht länger verwendet werden sollten. Die Sektion Otterfing hat sich für eine neutrale, langfristige Umbenennung der Wege eingesetzt: „Gamshütte über Grasbergalm“ (Nr. 533a) beziehungsweise „Gamshüttenweg“ (Nr. 533).

Neue Wegweiser für die Zustiege zur Gamshütte. Foto: Julia Baldauf

Auf den Spuren der Sektion Donauland

Spurensuche – so heißt ein Projekt der Sektion Frankfurt, das sich mit der NS-Geschichte der Sektion befasst und vor allem die Schicksale ehemaliger Mitglieder recherchiert, die während der NS-Zeit als Jüd*innen verfolgt und ermordet wurden. Im Jahr 2024 jährte sich der antisemitische Ausschluss der als jüdisch erachteten Sektion Donauland aus dem Alpenverein zum hundertsten Mal. Zu diesem Anlass brach ein Teil des Teams auf, um auf dem Berliner Höhenweg zu wandern und sich dabei mit der Geschichte der Alpenvereine Berlin und Donauland auseinanderzusetzen. Ein Halt auf der Tour: das geschichtsträchtige Friesenberghaus in den Zillertaler Alpen.

Das Friesenberghaus gehörte einst der Sektion Donauland und erinnert an diese mit einer Ausstellung. Foto: Dieter Engel

Die Schutzhütte der Sektion Berlin auf knapp 2500 Meter Höhe spielt eine wichtige Rolle in der Geschichte des Antisemitismus im Alpenverein und der Selbstbehauptung jüdischer Alpinist*innen dagegen. Die ausgeschlossene Sektion gab damals nicht auf – sie machte sich als Alpenverein Donauland selbstständig, stellte ein umfangreiches Tourenprogramm auf die Beine und führte einige Hütten, so ab Anfang der 30er Jahre auch das Friesenberghaus. In der Schutzhütte gibt es eine kleine Ausstellung und viel Wissenswertes und Bewegendes zu erfahren. Hüttenwirt Florian Schranz berichtet: „Viele Gäste nehmen die Geschichte interessiert wahr, viele kommen bewusst nur deswegen auf die Hütte. Es gibt aber auch einige, die sich der Geschichte nicht bewusst und dann erstaunt sind.“

Historische Beschilderung des Aufstiegs zur Glorer Hütte. Foto: Wolfgang Pulver/Archiv des DAV

Erinnerungen lebendig halten

Ebenfalls rund um das 100-jährige Gedenken der Ausgrenzung jüdischer Bergsteiger*innen der Sektion Donauland setzte die Sektion Eichstätt-Neuburg ein prägnantes Zeichen auf den Wegen zur Glorer Hütte: Ehrenamtliche stellten im Jahr 2024 Replika der Original-Wegeschilder der Sektion Donauland zur Glorer Hütte auf und machten damit Teile der Hüttengeschichte wieder sichtbar. Ergänzende Tafeln unter den auffallend weißen Wegweisern erklären die historische Bedeutung der Schilder und greifen die Geschichte der Sektion Donauland auf. So werden Wander*innen zur historischen Reflexion eingeladen und das Andenken an die Opfer des Antisemitismus lebendig gehalten. Diese Zeichen gegen Intoleranz und Hass stehen im Sinne des Selbstverständnisses des DAV „für Akzeptanz, Offenheit und Vielfalt. Heute, morgen, hier und überall.“

Eröffnung der Glorer Hütte nach der Erweiterung durch die Sektion Donauland im Jahr 1924. Foto: Archiv des ÖAV

Wege sind mehr als Linien auf der Karte. Wer ihre Geschichte kennt, bewegt sich bewusster – und respektvoller – im Gebirge. Auch dank der genannten Erinnerungsprojekte von DAV-Sektionen wird ermöglicht, dass aus einer klassischen Hüttentour ganz niedrigschwellig und erlebbar ein Bildungsweg wird.

Auf der nächsten Tour können wir genauer hinschauen: alte Wegweiser, Hüttenbücher, Karten und Inschriften erzählen oft schon eine eigene Geschichte. Zudem bieten viele Sektionen Ausstellungen/Führungen, Materialien und digitale Infos an. Ein Blick auf die Sektions- oder Hüttenseiten vor der Tour lohnt sich. Wer auf belastete Bezeichnungen stößt oder Quellen kennt, kann Sektionen Hinweise geben – Erinnerungsarbeit lebt vom Mitmachen. Und wir können gemeinsam Haltung zeigen: Bergsteigen und Bergsport stehen für Fairness, Vielfalt und Chancengleichheit und wir achten darauf, dass die Berge ein Platz für die Begegnung aller Menschen sind.

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