Rücklaufgesperrte Rollen zum Nachsichern?
Bereits 1909 wurde in den USA eine Rolle mit einem Klemmhebel als Rücklaufsperre patentiert. Etwa 90 Jahre später brachte die Firma Petzl dann die erste Version der MiniTraxion auf den Markt. Eine rücklaufgesperrte Rolle – zunächst zum Haulen von Material, für Rettungsszenarien oder den Aufstieg am Seil konzipiert. Seitdem kamen neuere Versionen, sowohl von Petzl, als auch von anderen Firmen, auf den Markt. Insbesondere in den letzten Jahren haben findige Alpinist*innen festgestellt, dass sich diese Geräte ganz wunderbar zum Nachsichern von Personen einsetzen lassen. Dadurch, dass das Seil über eine Rolle gezogen wird, entsteht nahezu keine Reibung beim Einziehen, die Klemme fühlt sich extrem sicher an, so dass gerne auch die Hände vom Bremsseil genommen werden.
Allerdings ist klar: Eine Klemme ist kein Sicherungsgerät und diese Anwendung somit, aus der Ferne betrachtet, nicht zulässig. Warum diskutieren wir diese Anwendung dann überhaupt?
Die beschriebenen Geräte sind zumeist nach der europäischen Norm für Seilrollen und der Norm für Seilklemmen geprüft und zertifiziert. Bei der Prüfung nach der Klemmen-Norm wird ein Seil mit dem dicksten und mit dem dünnsten zugelassenen Durchmesser in die Klemme gelegt und mit 4kN statisch belastet. Dabei darf das Seil nicht rutschen und weder die Klemme noch das Seil dürfen beschädigt werden. Klemmen und Rollen gelten gemäß europäischer Rechtsprechung als Persönliche Schutzausrüstung (PSA). Tubes hingegen, die wir gemäß den Regeln der Technik, also gemäß den Lehrmeinungen, im Platten-Modus zum Nachsichern verwenden, sind keine PSA – die Prüfung ist nur freiwillig und wir wissen nicht, welche Klemmwirkung sie im angegebenen Seildurchmesserbereich aufweisen. Es bleibt nur davon auszugehen, dass die Hersteller bei der Entwicklung alles richtig gemacht haben. Argumente genug, die rücklaufgesperrten Rollen als Sicherungsgeräte zumindest für das Gedankenexperiment einmal zuzulassen.
Wir wissen also: Im angegebenen Seildurchmesserbereich können wir von einer statischen Festigkeit von 4kN ausgehen. Das sollte reichen, welche*r Nachsteigende wiegt schon gerne mehr als 400 Kilo? So einfach ist das nicht – problematisch kann die Sache im genau gleichen Szenario wie schon bei den Alpintubes (Artikel verlinken) werden. Ist wenig Seil im System, genügen oft schon kleine Stürze, um auch bei einer 80 Kilo schweren Person die Kraft auf deutlich über 4kN ansteigen zu lassen. (Petzl Abbildung) Und dann? Die Klemmmechanismen der meisten dieser Geräte setzen auf scharfe Zähne oder Riffelungen um die Klemmsegmente zuverlässig zu aktiveren. Die tatsächliche Haltefunktion entsteht dann durch den Anpressdruck der exzentrischen Klemmnocken. Bei einer Überlast krallen sich diese Zähne oder Rillen jedoch so in die Fasern der Seile, dass jeglicher Durchlauf verhindert wird und es zu massiven Seilschäden, bis zur vollständigen Durchtrennung kommen kann. (Video) Dynamische Lasteinträge bzw. Kräfte über 4kN müssen also in jedem Fall verhindert werden – umso mehr, je weniger Seil sich im System befindet.
Diese rücklaufgesperrten Rollen werden auch gerne beim Simultanklettern eigesetzt. Hier beobachten wir immer wieder diesen Effekt: Sieht die nachsteigende Person, dass an der nächsten Zwischensicherung die Rücklaufsperre eingehängt ist, wird ein bisschen Gas gegeben. Dadurch entsteht Schlappseil und man gewinnt Zeit, um die Klemme auszubauen, ohne die vorsteigende Person im Kletterfluss zu stören. Eine Kombination der beiden kritischen Faktoren: Schlappseil mit wenig Distanz zur Klemme.
Sind Klemmen mit Rücklaufsperre zum Nachsichern von Personen zugelassen?
Grundsätzlich ist erlaubt, was der Hersteller in der Gebrauchsanleitung zulässt. Alles, was in der Gebrauchsanleitung nicht explizit als Anwendung erlaubt wird, ist automatisch ausgeschlossen. Hersteller haben allerdings eine Pflicht zur Marktbeobachtung und müssen reagieren, wenn ihnen Fehlanwendungen bekannt werden – und so reagieren zum Beispiel Hersteller bisher:
Rücklaufgesperrte Rollen sind jedenfalls Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz und dürfen damit zur Sicherung von Personen verwendet werden.
Aber: Sind Klemmen mit Rücklaufsperre beim Nachsichern von Personen sicher?
So lange die im Sturzfall auftretende Kraft unter 4kN bleibt – Ja.
Die Menge an Schlappseil bzw. die Nähe zur Umlaufsperre (=ausgegebenes Seil) entscheidet darüber, ob im Fall eines Sturzes das Seil reißt, nur beschädigt wird oder keinen Schaden davonträgt. Deshalb: Das Seil immer straff halten und Pendelstürze bei Quergängen im Vorhinein ausschließen!
Eine Untersuchung dazu wurde bei Bergundsteigen veröffentlicht (Abbildung).
Je näher die nachsteigende Person sich also an der Klemme befindet, desto straffer muss das Seil gehalten werden. Beim Simultanklettern (nur etwas für Leute, die wissen, was sie tun!) sollte in der Nähe der Klemme Schlappseil vermieden werden. Idealerweise wird die Rücklaufsperre im leichteren Gelände nach oder vor einer schwierigen Passage eingehängt. Das reduziert nicht die Problematik der auftretenden Kräfte, aber die Wahrscheinlichkeit des Sturzes.
Bei langen Quergangspassagen mit weiten Abständen der Zwischensicherung ist das Sturzpotenzial von Nachsteigenden erhöht und damit die HMS (Halbmastwurfsicherung) Mittel der Wahl für die Nachsicherung.
Bandfalldämpfer als Lösung?
Auch mit technischen Lösungen versuchen Hersteller, die Problematik anzugehen: Edelrid bringt im Laufe des Jahres 2025 einen kompakten Bandfalldämpfer auf den Markt, der zwischen Fixpunkt und Klemme geschaltet wird und bei einer Kraft von maximal 3 kN aufreißen soll (Restbruchkraft 22 kN).
Aber auch mit solchen zusätzlichen Hilfsmitteln muss ein dynamischer Lasteintrag möglichst vermieden werden. Im sprichwörtlichen Fall des Falles soll der Dämpfer aber einen Sicherheitspuffer von einem Kilonewton zwischen dem Aufreißwert des Dämpfers und der statischen Festigkeit des Seils in der Klemme schaffen.