Historische Bücher in Regal
Nicht alle unserer Buchempfehlungen sind so alt. Foto: pixabay

Bergbuch-Klassiker

Bücher über Berge gibt es mittlerweile wie Steine im Karwendel. Manch Buch gerät da schnell wieder in Vergessenheit. Nicht so bei unserer (unvollständigen) Liste der Bergbuch-Klassiker. Zusammengestellt von unserem langjährigen Redakteur, Bergsteiger und Bücherwurm Andreas Dick.

Chris Bonington, Doug Scott, Kurt Diemberger, Herbert Tichy, Julius Kugy, Henry Hoek und viele andere finden sich nicht in der folgenden Liste – natürlich handelt es sich um eine subjektive Auswahl, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Doch jedes dieser Bücher kann dazu taugen, gelegentliche Bergpausen zu überbrücken – mehr als das: Mit Erleben anzureichern. Und gerne könnt ihr euren ganz persönlichen Favoriten ergänzen.

Übrigens: Die meisten dieser Bücher sind bei der Bibliothek des DAV ausleihbar.

1874 – Hermann v. Barth: Aus den nördlichen Kalkalpen

Als das Fieber unerträglich wurde, griff Hermann von Barth (1845-1876) in Angola zur Pistole. „Wer mit mir geht, der sei bereit zu sterben!“ war sein Kampfruf gewesen, den er seinem Bergstock hinterherrief, als auf der Jägerkarspitze ein Felsbrocken unter ihm wegbrach und mitsamt dem Stock im Abgrund verschwand; er selber konnte noch nach hinten springen. In ähnlich markigen Worten schildert er seine Parforcereisen durch die bayerisch-tirolischen Alpen: 1868 erkundete er die Berchtesgadener, 1869 die Allgäuer, 1870 das Karwendel, 1871 das Wetterstein – meist alleine, und auf vielen Gipfeln war er der Erste. Sein Buch schildert die Erlebnisse in den damals wirklich noch einsamen Alpen und das Denken eines „Übermenschen“, an dem Nietzsche hätte Freude haben können.

Der komplette Text ist online zugänglich: hier oder hier

Hermann von Barth. Foto: DAV/Archiv

1924 – Geoffrey Winthrop Young: Die Schule der Berge

Meist mit dem Bergführer Josef Knubel war Geoffrey Winthrop Young (1876-1958) ein Protagonist des frühen Schwierigkeitsalpinismus: Nachdem alle Viertausender der Alpen bestiegen waren, eröffnete er an ihnen neue, schwierige Routen. Davon erzählt er mit feinsinniger Bescheidenheit und tiefem Empfinden. Titel anderer Bücher wie „Mountains with a difference“ oder „The influence of mountains upon the development of human intelligence“ zeigen, dass er hinter der puren alpinen Tat vor allem die Entwicklung der Persönlichkeit im Sinn hatte. Auch im Leben: Dem jüdischen Reformpädagogen Kurt Hahn half er zur Flucht aus Nazideutschland. Young verlor im Ersten Weltkrieg an der Isonzofront den linken Unterschenkel und schildert auch eindringlich, wie anders (… with a difference) hohe Berge mit Prothese sind.

Eugen Guido Lammer. Foto: DAV/Archiv

1929 – Eugen Guido Lammer: Jungborn

Auch Eugen Guido Lammer (1863-1945) geizte nicht mit markigen Worten bei der Schilderung seiner Bergfahrten, die er als einer der ersten „führerlos“ und oft alleine durchführte. Doch wenn er vom „Kitzel der Todesgefahr“ schwärmte, dann nur unter der Prämisse, „dem Leben entgegenzujodeln“. Die dramatischen Aufsätze aus seiner Sturm- und Drangzeit gab er vierzig Jahre später bewusst unverändert heraus. Der Untertitel „Bergfahrten und Höhengedanken eines einsamen Pfadsuchers“ deutet an, dass es ihm dabei nicht um Heroisierung ging, sondern wie vielen anderen seiner Zeit um menschliches Wachstum. Als Professor für Deutsch und Klassische Philologie schreibt Lammer einen kraftvollen und mitreißenden Stil, der den Zeitgeist lebendig macht.

1936 – Leo Maduschka: Junger Mensch im Gebirg

Mit nur 24 Jahren starb Leo Maduschka (1908-1932) in der Nordwestwand der Civetta im Wettersturz. Sie galt damals als eine der schwersten Kletterrouten der Alpen – dass Maduschka in einem Aufsatz das „Bergsteigen als romantische Lebensform“ bezeichnete und analysierte, stand dazu nicht in Widerspruch. In den „wilden Zwanzigern“ und mit den Schriften Nietzsches aufgewachsen, sprach Maduschka stellvertretend für seine Generation und kann heute noch faszinieren: „Wir müssen wandern, um unsere Sehnsucht zu töten – sonst würde sie uns töten.“ Nach dem Tod des promovierten Germanisten gab Walter Schmidkunz seine gesammelten Schriften heraus – sie prägten seine Generation wie vielleicht nur noch später Reinhard Karl die seinige.

Leo Maduschka – Junger Mensch im Gebirg. Foto: DAV/Archiv

1955 – Gaston Rébuffat: Sterne und Stürme

Die ganz großen Erstbesteigungen blieben Gaston Rébuffat (1921-1985) versagt; am Walkerpfeiler war er Zweiter, an Croz- und Bonattipfeiler Vierter, bei der Erstbesteigung des ersten Achttausenders, der Annapurna, half er dem Gipfelteam aus dem Hochlager zurück ins Leben. Dennoch ist er einer der prägenden Alpinisten seiner Generation, denn er konnte wie wenige die Erlebnisse in packende Worte fassen. Seine „100 Idealtouren im Montblanc-Massiv“ waren in den 1970er Jahren die verpflichtende Bucket List. In „Sterne und Stürme“ erzählt er von den „sechs großen Nordwänden der Alpen“, die er als erster Alpinist sammeln konnte, meist als Bergführer mit Gast: Eiger, Grandes Jorasses, Matterhorn, Piz Badile, Petit Dru, Große Zinne. Doch natürlich kommt dabei viel mehr rüber als nur wilde Action im Steilen: romantisches Gefühl, durchtrainierte Exzellenz, tiefes Empfinden.

1955 – Hermann Buhl: Achttausend drüber und drunter

Hermann Buhl (1924-1957) machte sich „unsterblich“ mit seinem Alleingang zum Gipfel des Nanga Parbat (8125 m); nach seiner zweiten Achttausender-Erstbesteigung kam er 1957 an der Chogolisa im Karakorum durch Wächtenbruch ums Leben. In diesem Buch, eigenhändig anhand von Tagebuchnotizen geschrieben, schildert er seinen alpinen Lebenslauf – die Geschichte einer hochtalentierten Berg-Besessenheit. Eine heute erhältliche Neuauflage enthält zudem Auszüge aus seinen Tagebüchern. Spannend zu lesen ist parallal „Papa Lalalaya“, das seine Tochter Kriemhild Buhl 2019 veröffentlichte – sie schildert darin die Perspektive seiner Familie, vor allem der Witwe, die in der Nachkriegszeit mit drei Töchtern weiterleben musste.

Hermann Buhl. Foto: DAV Archiv

1957 – Karl Lukan: Gelbe Wand am grünen See

Karl Lukan (1923-2014) konnte wie kaum ein anderer seine Berg-Eskapaden mit original Wiener Schmäh schildern. Die „Gelbe Wand“ ist eines seiner ersten Bücher; die Rahmenhandlung ist die Durchsteigung dieser Wand, der extremen Nordwestwand der Sorella di Mezzo über dem Sorapis-See in den Dolomiten. Eingestreut sind diverse Gusto-Stückerl, kleine Anekdoten vom Wienerwald bis in die ganzen Alpen. Sie zeigen, dass das Bergsteigen in der Nachkriegszeit nicht einfach war – die gute Laune haben sich die Wiener dadurch trotzdem nie verderben lassen. Deutlich später in seinem Leben schrieb Lukan als eines seiner rund 50 Bücher „Wenn die Wände steiler werden. Bergsteigen in der zweiten Lebenshälfte“ (1990) – in gereifter, nicht weniger humorvoller Altersweisheit.

Lionel Terray. Foto: DAV/Archiv

1965 – Lionel Terray: Vor den Toren des Himmels

Lionel Terray (1921-1965) stand als erster auf Makalu (8485 m), Jannu (7710 m), Fitz Roy (3406 m), Mount Huntington (3731 m) und vielen weiteren extrem schwierigen Bergen der Welt. Dabei war er sich stets im Klaren darüber, dass Bergsteigen eigentlich keinen echten Sinn hat: Der französische Originaltitel seines Buches heißt „Les conquerants de l’inutile“ (Die Eroberer des Unnützen). Beziehungsweise: Dass es uns den Sinn stiftet, den wir in ihm suchen. Im Nachkriegsgeist des Existenzialismus sah er sich als Menschen, der sich im Leiden am Berg in seiner Kreatürlichkeit erkennt. Die Härten der Kriegsjahre und des Extrembergsteigens in dieser Zeit schildert er eindringlich und zutiefst human.

1965/1994 – Walter Bonatti: Berge meines Lebens

Walter Bonatti (1930-2011) ist sicher einer der bekanntesten, wahrscheinlich auch einer der talentiertesten und erfolgreichsten Bergsteiger aller Zeiten. Am Grand Capucin etablierte er 1951 das technische Klettern in den Westalpen, am Grand Pilier d’Angle stieß er in neue Steileis-Dimensionen vor, den Walkerpfeiler beging er erstmals im Winter – und seinen Abschied vom extremen Alpinismus zelebrierter er mit einer Neutour in der Matterhorn-Nordwand, die er allein und im Winter durchführte. Doch hinter diesem harten Knochen steckte eine zartfühlende Seele. Seine legendäre Solo-Erstbegehung am Petit Dru konnte ihm nicht wirklich helfen, über Betrug und Verleumdung durch seine Expeditionskollegen bei der Erstbegehung des K2 hinwegzukommen. Und in den Aufsätzen über seine Berg-Erlebnisse (und einigen Reportagen aus seinem späteren Leben als Journalist), die der AS Verlag 2000 neu übersetzt herausbrachte, ist er immer auf der Suche nach der seelischen Weiterentwicklung als Mensch.

Walter Bonatti am Mont Blanc. Foto: DAV/Archiv

1972 – Martin Schließler: Beruf Abenteurer

Abenteurer: das klingt ähnlich martialisch, wie sich Martin Schließler (1929-2008) auf dem Titelfoto präsentiert: mit Mehrtagebart, die Gletscherbrille ins zerzauste Haar hochgeschoben. Hinter dieser ruppigen Schale verbirgt sich ein Mensch, der intensiv (er)leben wollte und dabei die Nähe zum Seilpartner als bereicherndes Element schätzte. So ist das Buch gegliedert in Abschnitte, die Begegnungen mit außergewöhnlichen Menschen schildern, in „elementare Erfahrungen“ wie Kälte, Durst und Mut und in „abenteuerliche Fahrten“. Als Dokumentarfilmer brachte er die Schönheit und Wildheit der Natur den Fernsehzuschauern mit über 200 Filmen nahe – so eindringlich wie ein guter Film sind oft auch seine Texte.

Reinhold Messner. Foto: Claude Langlois

1973 – Reinhold Messner: Der siebte Grad

Den apodiktischen, kompromisslosen Schreibstil von Reinhold Messner (* 1944) kann man mögen oder nicht. Fakt ist, dass er das Bergsteigen beeinflusst hat wie wohl kein anderer Alpinist. Durch Taten (schwierigste Erst-, Solo- und Winterbegehungen, Everest ohne Flaschensauerstoff, alle 14 Achttausender, teils auf neuen Routen), aber auch mit seinen provokanten Gedanken, die er in Aufsätzen und Büchern klar und engagiert formulierte. So machte er einer breiten Öffentlichkeit eine Triebkraft des Bergsteigens durch das Schlagwort vom „Grenzgang“ nachvollziehbar und als Wert verständlich. Im „Siebten Grad“ argumentierte er früh und entschieden für die Öffnung der damals noch auf sechs Stufen begrenzten Schwierigkeitsskala – der Grad VI war definiert als „äußerst schwierig“, woraus sich ein logisches Dilemma ergab, das die Weiterentwicklung des Freikletterns lange gebremst hatte: Wenn man nicht schwerer klettern kann, warum sollte man’s dann versuchen? Vier Jahre später machte Helmut Kiene mit den „Pumprissen“ den siebten Grad zur Realität; wenn heute der zwölfte geklettert wird (9c, Silence, Adam Ondra), dann hat dieses Buch zumindest dafür an die Tür geklopft.

1982 – Reinhard Karl: Erlebnis Berg – Zeit zum Atmen

Die späten 1970er Jahre waren eine der lebendigsten Epochen (nicht nur) des Alpinismus: Parallel mit Punk und Friedensbewegung entwickelten sich Rotpunkt und Sportklettern. Eine junge Generation, die sich gegen das Establishment ihren eigenen Weg suchte und das mit langen Haaren, Drogen und Malerhosen zum Ausdruck brachte, fand in Reinhard Karl (1946-1982) ihre Stimme und in seinen Fotos ihre Ikonen. Er hatte die klassischen Alpenwände durchstiegen; Helmut Kiene bei der Erstbegehung der „Pumprisse“ begleitet, die den siebten Grad etablierten; stand als erster Deutscher auf dem Mount Everest und belagerte in Patagonien Cerro Torre und Fitz Roy, die bergsteigerischen Symbole für geduldiges Anrennen gegen das „Unmögliche“. Seine prägnante, unverblümte Sprache und die neuartigen Perspektiven seiner Fotos können heute noch bewegen; die in der DAV-Reihe „Alpine Klassiker“ erschienene Neuauflage enthält zusätzlich den legendären Aufsatz „Unterwegs nach Hause“.

Reinhard Karl. Foto: DAV/Archiv

1983 – Anne Sauvy: Steinerne Flammen

Ein Bergsteiger verkauft seine Seele dem Satan, um der weltberühmteste Profi zu werden. Ein Bergführer plant, seine unausstehliche Kundin zu ermorden. Ein Alpinist hadert mit seiner überängstlichen Frau, sie solle sich keine Sorgen um ihn machen – bis er wirklich einmal verletzt im Gelände liegt. Die französische Autorin Anne Sauvy hat ihrer Fantasie rund ums Bergsteigen freien Auslauf gelassen und wunderbare kleine Seelenskizzen oder pfiffige Zukunftsfantasien geschrieben – kleine Schmankerl für zwischendurch, fast zu schade, um eine nach der anderen zu verschlingen, auch wenn man’s gern möchte. Eine Art weiblicher Roald Dahl der Berge. Und spätestens wenn man zu der Geschichte kommt, wo alle Bergsteiger mit Funk-Headsets ferngesteuert durchs Gebirge rennen, merkt man, dass gute Fiktion sich oft gar nicht weit von der Realität entfernen muss…

1988 – Nicho Mailänder (Hrsg.): Poeten des Abgrunds

Nicho Mailänder (* 1949) war viel mit Reinhard Karl klettern und trug dazu bei, dass die junge, anarchische Sportkletterbewegung von den Felsen der Mittelgebirge auch in die Alpen stürmte. Später befriedete Mailänder den von manchen hochgespielten, vermeintlichen Konflikt zwischen Klettern und Naturschutz, dann erkundete er die Geschichte des DAV, vor allem seine nationalsozialistischen Verstrickungen. In „Poeten des Abgrunds“ sammelte der Alpinjournalist Aufsätze aus dem deutsch- und englischsprachigen Raum, die zeigen, wie verrückt und abgedreht die Szene vor vierzig Jahren drauf war, wie selbstironisch und lebenshungrig gleichzeitig. Ein deutsches Gegenstück zu „The games climbers play“, das Ken Wilson 1981 herausgegeben hatte – ein Dutzend entschlossene Statements gegen den tierischen Ernst des übertraditionellen Bergsteigens.

Nicho Mailänder. Foto: DAV/Archiv

1988 – Joe Simpson: Sturz ins Leere

2003 wurde „Touching the void“ von Joe Simpson (*1960) verfilmt – man könnte also auch einfach den Film anschauen. Aber das Buch, für das er 1988 den Boardman-Tasker-Preis für Bergliteratur erhielt, sollte man auf jeden Fall trotzdem lesen. Es schildert eine unglaubliche Überlebensgeschichte: Beim Abstieg nach einer Erstbegehung am Siula Grande (Peru) bricht sich Simpson das Knie; beim Abseilen stürzt er in eine Spalte; sein Partner kann ihn nicht herausziehen und schneidet das Seil durch. Irgendwie schafft es Simpson, aus der Spalte herauszukommen und sich in mehreren Tagen ins Basislager zu schleppen – eine ungeheure Odyssee an den Grenzen zum Wahnsinn, hautnah geschrieben. Da freut man sich fast, wenn man nicht raus muss in die gefährliche Welt der Berge.

2002 – Robert Steiner: Selig, wer in Träumen stirbt

Eigentlich war Robert Steiner (*1976) schon tot. Nach einer Winterbegehung der extrem schwierigen „Colton/McIntyre“ in der Nordwand der Grandes Jorasses stürzte er 1997 zwei Seillängen unter dem Gipfel und war mit zertrümmertem Sprunggelenk und luxierter Kniescheibe weder geh- noch transportfähig. Seine Partner mussten ihn zurücklassen, um über den Gipfel zu klettern und die Bergwacht zu alarmieren (Handys waren noch nicht üblich) – 48 Stunden wartete er in Schmerzen und Kälte, bis er doch noch gerettet werden konnte. Die seelischen Irrfahrten schildert er in seinem Erstlingswerk so ergreifend, dass er mit einem Schlag zum Star der alpinen Schreiberszene wurde. Auch seine späteren Bücher brillieren mit Prägnanz und Humor; die Jorasses-Geschichte gehört zu den starken Stücken der Abenteuerliteratur.

2008 – Andy Kirkpatrick: Psychovertical

Andy Kirkpatrick (*1971) neigt anscheinend, wenn man seine Geschichten liest, genau so wie Joe Simpson ein bisschen zum Chaos. Oder liegt das nur daran, dass der beliebteste englische Erzählstil das „epic“ ist? Episch lesen sich jedenfalls die Szenen aus der zwölftägigen Solobegehung der „Reticent Wall“, der damals schwersten Technotour am El Capitan, die die Rahmenhandlung seines Erstlingswerks bildet. Dazwischen erzählt er weitere Episoden aus seinem Leben, packend und hautnah, perfekt übersetzt von Robert Steiner. Besonders faszinierend: Kirkpatrick ist Legastheniker, jedes Wort ist handverlesen und mit Schweiß erkämpft wie die Zentimeter beim Klettern. Der Boardman-Tasker-Preis für das Buch und die Auszeichnung als „best climbing film“ beim Banff Festival 2017 für die Verfilmung sprechen für sich.

Andy Kirkpatrick

2016 – John Porter: Besser Tiger als Schaf

Lieber ein Tag als Tiger gelebt als ein Leben lang als Schaf – dieses Sprichwort hätte das Lebensmotto von Alex McIntyre (1954-1982) sein können. Das britische Ausnahmetalent gehörte, oft als Seilpartner von Voytek Kurtyka (s.u.), zu den besten Alpinisten seiner Zeit. Die Route in der Grandes Jorasses, in der Robert Steiner darbte, stammt von ihm, an wilden Gipfeln von Himalaya und Karakorum eröffnete er neue Linien, mit atemberaubender Frechheit und extrem reduziertem Material. Der Autor John Porter begleitete ihn auf vielen dieser Unternehmungen und schildert Alex‘ hungriges Leben, das von einem Stein aus der Annapurna-Südwand beendet wurde, mit tiefer Empathie und englischem Humor. Am besten zusammen mit „Die Kunst der Freiheit“ zusammen zu lesen, dann werden die Berge dreidimensional lebendig.

2017 – Tommy Caldwell: Push

Sieben Jahre lang berannte Tommy Caldwell (*1978) sein Projekt „Dawn Wall“ am El Capitan; als ihm und Kevin Jorgeson endlich der erste Bigwall im elften Grad (9a) gelang, gratulierte sogar Präsident Obama. Die Begehung ist der natürliche Höhepunkt des Buches, das aber mit einer Szene endet, in dem Caldwells Frau den gemeinsamen achtzehn Monate alten Sohn ermuntert, nicht aufzugeben, als er auf einen Stein krabbelt. Vergleichbare Beharrlichkeit hat Tommy durchs Leben gebracht und ihm geholfen, erschütternde Traumata durchzustehen: Eine Entführung in Kirgistan, wo er einen der Entführer eine Felswand hinabstoßen musste, um zu entkommen. Ein abgesägter Finger beim Heimwerken und neue Trainingsmethoden, um wieder höchste Schwierigkeiten klettern zu können. Ständiges Scheitern seines Partners in der Schlüsselstelle der Dawn Wall und geduldiges Warten, bis der Erfolg als Team gelingt. Mit überzeugender Ehrlichkeit geschrieben, ist dieses Buch deshalb auch ein Manifest der Menschlichkeit am Berg und im Leben – und ein bewegendes Lese-Erlebnis.

2019 – Bernadette McDonald: Die Kunst der Freiheit

Voytek Kurtyka (*1947) ist einer der stärksten Alpinisten der Alpingeschichte; 2016 erhielt er den piolet d’or für seine Lebensleistung: schwierigste Erstbegehungen an Sieben- und Achttausendern, immer in makellosem Leichtgewichtstil und in kleinen Teams. Ungewöhnliche Taten werden selten von gewöhnlichen Menschen vollbracht, und Kurtyka ist vielleicht einer der außergewöhnlichsten Charaktere, die da draußen herumsteigen. Zumindest hat er sich gegenüber der bergsteigenden Journalistin Bernadette McDonald weit geöffnet und Einblicke in seine Motivation und Antriebskraft gegeben, die man nicht nachvollziehen muss, die aber nicht kalt lassen können. Die Protokolle aus einer ganz großen Zeit des Himalayabergsteigens erhalten so eine Perspektive, die weit über bloßes Nacherzählen hinausgeht und auf den Kern des Menschseins zielt.

Kurtyka mit Alex McIntyre 1981 am Makalu (8485 m). Foto: J. Kukuczka

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