Person geht mit Tourenski durch verschneite Winterlandschaft
Beim Aufstieg zur Forcella delle Sasse steht der Monte Pelmo im Hintergrund Spalier. Foto: Alix von Melle
Unbekannte Dolomiten

Skitouren im Tal des Eismachens

Dass die Dolomiten nicht nur ein attraktives Ziel zum Wandern und Klettern, sondern im Winter auch für Skitouren sind, ist kein Geheimnis. In manche Gebiete allerdings verlaufen sich nur ganz wenige Menschen – und das, obwohl die Kulisse sensationell und die Tourenmöglichkeiten schier unerschöpflich sind!

Das Val di Zoldo ist so eine Gegend: Das vom Wildbach Maè gebildete etwa zwanzig Kilometer lange und zehn Kilometer breite Zoldotal befindet sich im nördlichen Venetien in den Belluneser Dolomiten. Es liegt südlich von Cortina, umringt von der Tamer- & Pramper-Gruppe im Süden, der Moiazza & Civetta im Westen, dem Pelmo im Norden und der Bosconerogruppe im Osten. Eingekesselt im Talgrund führt es im Winter seinen friedlichen Dornröschenschlaf. Einige Ortsteile von Zoldo, das im Jahr 2018 als dritter italienischer Ort mit dem Prädikat "Bergsteigerdorf" ausgezeichnet worden ist, sind Bergdörfer wie aus dem Bilderbuch: Natürlich gewachsene Strukturen und wunderschöne alte Häuser, umgeben von spektakulären Bergen.

Gemeinsam mit dem Toblacher Bergführer Simon als Gebietskenner haben Anita, Sabine, Martin, Philip und ich uns rund um Zoldo auf Entdeckungstour begeben und dabei in den Bergen jede Menge steile Rinnen, einsame Gipfelmomente und unverspurte Tiefschneehänge gefunden – und im Tal sympathische Menschen, die ihre Gäste gerne teilhaben lassen an der Geschichte und den Geschichten ihrer Gegend. Obwohl die Berge kaum vierzig Kilometer Luftlinie von Toblach im Pustertal entfernt sind, wird erst auf der kurvenreichen, eineinhalbstündigen Anfahrt die reale Entfernung klar, und damit auch der Hauptgrund für die Unbekanntheit dieser Gegend.

Rund 1200 Höhenmeter sind beim Aufstieg zur Forcella delle Sasse zu überwinden. Foto: Alix von Melle

Versteckte Superlative

Die Skitouren hier sind oft ziemlich versteckt, aber hat man erst den Waldgürtel durchbrochen, dann öffnet sich eine einzigartige Dolomitenlandschaft mit Skitouren der Superlative. Diese führen selten auf große Gipfel, aber in ihrer Gesamtheit gehören sie zu den genialsten Touren, die die Dolomiten zu bieten haben. In diese grandiose Landschaft fügt sich unser idyllisch gelegenes Bed & Breakfast „Dormì & Disnà“ ideal ein. Anna und Renato, die Wirtsleute, bereiten uns liebevoll ein Frühstück mit regionalen Produkten zu und erzählen von sich: „Wir sind ein bisschen wie unser Haus. Ein altes Haus, liebevoll restauriert und mit etwas Modernität. Man kommt nicht zufällig oder im Vorbeigehen dorthin, aber wenn man eintritt, fühlt man sich von der Wärme der Atmosphäre willkommen. Wir lieben unser Land, unsere Berge im Sommer und im Winter. Gäste zu Hause zu haben, bedeutet für uns, an einem wunderbaren Ort zu leben, ein bisschen außerhalb der Welt, aber die Welt zu Gast zu haben. Wir sind davon überzeugt, dass wir in einem kleinen Paradies leben. Zu sehen, dass andere es genießen, ist für uns das Schönste.“

Gestärkt und mit Gipfelbrotzeit und Thermoskanne im Rucksack machen wir uns in einem Nachbartal von Zoldo auf zur ersten Skitour. Über den Staulanza Pass fahren wir ins Val Fiorentina. Unser Ziel ist der Monte Mondeval. Einer der grandiosesten Aussichtsberge weit und breit. Schon auf dem Weg zum höchsten Punkt kommen wir an einem wahrhaft außergewöhnlichen und mystischen Platz vorbei und machen einen kurzen Ausflug in die Vergangenheit: 1987 entdeckte man in 2150 Meter Höhe eine perfekt erhaltene mittelsteinzeitliche Begräbnisstätte. Durch Ausgrabungen fand man unter einem großen Felsblock ganz unerwartet das Skelett eines Jägers, der vor etwa 7500 Jahren gelebt hatte, und dessen reiche Grabbeigaben. Der Mann von Mondeval. Am Gipfel angekommen werden wir mit einem fantastischen Panorama auf die Bergwelt der Südtiroler Dolomiten der Region Venetien belohnt und in der Abfahrt mit staubendem Pulverschnee in unverspurten Hängen. Besser hätte unsere Skitourenwoche im UNESCO Weltnaturerbe Dolomiten nicht starten können. 

Die steile Abfahrt von der Forca Rossa del Pelmo bringt uns in Windeseile zum wohlverdienten Nachmittags-Cappuccino. Foto: Alix von Melle

Geschichte und Geschichten

Die Berge hier haben uns schnell in ihren Bann gezogen. Genauso gespannt sind wir aber auch auf die Menschen und auf die Kultur in Zoldo, zum Beispiel auf die des Eismachens. Die Geschichte, die das Speiseeis mit dem Val di Zoldo verbindet, besteht aus Menschen, Mut und Hingabe. Ein Erfolg, der seit Ende des 19. Jahrhunderts und bis heute von Generation zu Generation aufgebaut wurde. Die Menschen aus Zoldo waren damals weltweit unterwegs, als sie begannen, zunächst in den Grenzgebieten und vor allem in Deutschland, Speiseeis herzustellen und in Eisdielen zu verkaufen. Das Speiseeis wurde zum Glück der meisten Talbewohner*innen. Diese verbreiteten die Kultur dann in ganz Europa und sogar weltweit, und das Speiseeis wurde zu einem der meistgeschätzten Handwerksprodukte der italienischen Konditorei. Die Zutaten der Zoldaner Emigranten, die durch ihren unbestrittenen Erfindungsreichtum ein echtes, hochwertiges und handwerkliches Qualitätsprodukt erzeugten, bestachen durch Perfektion genauso wie durch Einfachheit. Im Laufe der Jahre wurden durch dieses Migrationsphänomen ganze italienische und internationale Großstädte mit Eisdielen aus dem Val di Zoldo bevölkert. Das Geschmacksgeheimnis lässt sich wie folgt erklären: Kochen der Mischung, Vorbereitung der Gefriereismaschine mit Eis und Salz, Hinzufügen der Mischung und Rühren. Ein hausgemachtes Speiseeis ist ein Synonym für Kunst.

"In meinen Jugenderinnerungen kaufte ich bei einer Familie aus Zoldo Eis, die eine Eisdiele in Bra (Cuneo) hatte, wo ich geboren und aufgewachsen bin. Ich erinnere mich an das Bild des Pelmo, der uns von der Wand aus ansah..."
- Carlo Petrini, Gründer der internationalen Slow-Food-Bewegung

Apropos Pelmo: Der Monte Pelmo ist hier eine der prägenden Landmarken und einer von vielen felsigen und spektakulären Gipfeln. So ist es naheliegend, dass die Pelmo-Scharte Forca Rossa anderntags das Objekt unserer Begierde ist. Wir starten im oberen Teil des Val Fiorentina, kurz unterhalb des Passo Staulanza. Vom Parkplatz steigen wir die steilen Hänge unter der Nordwand des Monte Pelmo hinauf. Unter der Felswand angelangt, queren wir nach links zum Beginn der immer schmaler werdenden Rinne, die von der Scharte Forca Rossa herunterzieht, und steigen diese hinauf. Genüsslich verzehren wir an diesem Logenplatz unsere Brotzeit, bevor wir uns im stiebenden Pulverschnee das steile Couloir wieder hinabstürzen – dem Nachmittags-Cappuccino entgegen.

Entdeckungstouren und kulinarische Highlights

Im Ort selbst gehen wir anschließend wieder auf Entdeckungstour. Lange bevor hier Eis gemacht wurde, war Zoldo ein Zentrum der Eisenindustrie. Ein kleines Museum erinnert an die Zeit, als die Produktion von Nägeln in allen möglichen Formen und Größen der wichtigste wirtschaftliche Faktor für das Tal war. Das Eisen- und Nagelmuseum ist im ehemaligen Palazzo del Capitano untergebracht. Es enthält eine Sammlung von Geräten für Nagelschmiede und eine komplette Kollektion der im Tal hergestellten Nägel.

Typische Bergdörfer im Val di Zoldo. Foto: Alix von Melle

Entdeckungstouren am Berg und im Tal machen hungrig. Das Abendessen läuten wir täglich mit einer Runde Aperol Spritz am knisternden Ofen des gemütlichen Restaurants Nona Giò ein. Es wird seit Juni 2023 von Jasmeen und Giuseppe geführt. „Wir haben uns in Kopenhagen kennengelernt, wo er als Koch und ich als Bäckerin und Konditorin mit Spezialisierung auf die Sauerteigtechnik gearbeitet habe. Nachdem wir nach einigen Jahren im Ausland nach Italien zurückgekehrt sind, haben wir uns entschieden, hier im Val di Zoldo ein Restaurant zu eröffnen und eine Speisekarte mit unverfälschten und raffinierten Zutaten anzubieten, um unseren Gästen ein einzigartiges Geschmackserlebnis zu bieten, das sich je nach Saison und Verfügbarkeit der lokalen Produkte ändert“, erzählt uns Jasmeen.                                                                                             

Ein weiterer kulinarischer Höhepunkt ist für uns das Abschlussabendessen in der Höhle des Bären, der "Tana de l'Ors", wo wir dankbar die unvergesslichen Tourentage Revue passieren lassen und uns einig sind: Die Skitouren im Val di Zoldo sind wild, ursprünglich und einsam, man muss also ein bisschen Entdeckergeist mitbringen. Atemberaubendes Panorama, wunderbare Kare und unverspurte Hänge haben uns diese Woche dafür einsame und besondere Momente am Berg geschenkt.

Info

Unterkunft: Dormì & Disnà, Bed & Breakfast und Appartments 

Restaurants: Locanda Nona Giò und Locanda Tana de l'Ors

Tourismusinformation: www.valdizoldo.net und www.dolomiti.org

Bergschule: Die Südtiroler Bergschule Globo alpin bietet als absoluter Gebietskenner Skitourenwochen im Val die Zoldo an.

Führer:

  • Skitouren Dolomiten: Bacci, Cauz, Kehrer, Stauder, Willeit, Zangrando, Tappeiner Verlag 2013

  • Scialpinismo in Val di Zoldo: Stefano Burra und Leonardo Pra Floriani, Idea Montagna Verlag 2014

Karte: Tabacco-Karte 025, Dolomiti di Zoldo, Cadorine e Agordine 1:25.000

Tourenmöglichkeiten

  1. Monte Mondeval, 2455m: 1000 Hm, ca. 4 ½ Std. Aufstieg, Schwierigkeit: mittel, Ausgangspunkt: Toffol, 1468 m

  2. Forca Rossa del Pelmo, 2621m: 960 Hm, ca. 3 Std. Aufstieg, Schwierigkeit: mittel, Ausgangspunkt: Parkplatz am Fuße der Nordwände des Monte Pelmo im Val Fiorentina, 1663 m

  3. Forcella delle Sasse, 2476m: 1226m, ca. 4 ½ Std. Aufstieg, Schwierigkeit: mittel, Ausgangspunkt: Chiesa, 1242 m

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