Dass in Berchtesgaden erstmals eine Frau den Vorsitz der Sektion übernommen hat, ist keine so aufregende Nachricht mehr. Besonders ist aber: Der DAV Berchtesgaden ist einer der größten Vereine in Südostbayern und vergleichbar mit einem mittelständischen Unternehmen: über 13.000 Mitglieder, fast zwanzig Festangestellte, fünf bewirtschaftete Hütten. Wie Gabi Schieder-Moderegger diese Aufgabe stemmt? „Ich bin halt Workaholic“, lacht sie, „anders würd’ das gar nicht gehen.“
Besonders stolz ist sie auf das legendäre Skitourenrennen „Jennerstier“. Während der halbe Ort mithilft, geht die andere Hälfte an den Start. Deutschlands härtestes Rennen im Skibergsteigen ist komplett ehrenamtlich organisiert. Der Streckenverlauf hängt vom vorhandenen Schnee ab, da beim Event keine Beschneiung genutzt wird. Mittlerweile ist der Jennerstier eine große Veranstaltung – deren Organisation allerdings immer noch in der Sektion liegt. 2024 wurde das Organisationsteam mit dem Ehrenamtspreis für herausragendes Engagement im Verband ausgezeichnet. Dass sie mit der Ernennung zur Leistungssport-Referentin der Sektion auch mitverantwortlich für den Jennerstier sein würde, „das hatte ich damals ehrlich gesagt gar nicht so auf dem Schirm“, erinnert Gabi sich und lacht schon wieder. „Es ist dann einfach immer größer geworden. Und das Schönste ist: Kinder und Jugendliche fragen, ob sie mitmachen dürfen.“
Gabi Schieder-Moderegger wuchs in Berchtesgaden als ältere von zwei Töchtern von bergbegeisterten Eltern auf. Ihr Vater war Koch auf dem Matrashaus. Mit acht Jahren stand Gabi bei ihm in der Küche und half mit. In diesem Umfeld kam die Begeisterung für den Bergsport schnell auf. Auch die Liebe zur Natur, deren Schutz und die Dankbarkeit, in den Bergen leben zu dürfen, wurde ihr so vermittelt: „Es war naheliegend, dass wir auf unsere Berge auch raufsteigen wollten, weil man von oben einen viel schöneren Blick hat und sich freier fühlt.“
Der Weg an die Spitze der Sektion war dabei allerdings nicht vorgezeichnet. Im Alpenverein war die Familie natürlich schon: Das war einerseits irgendwie selbstverständlich, andererseits ganz profan wegen der Ermäßigung auf den Hütten. Am Sektionsleben nahm Gabi erst viel später teil, als sie nach einigen Jahren zurück nach Berchtesgaden kam. Erst mal folgte nach der Schule ein Praktikum in einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigung. Danach ging es zum Studieren nach München. In der Stadt in der Kletterhalle Heavens Gate und an den Wochenenden am heimischen Felsen fand sie ihre Liebe zum Klettern. Für ein Jahr ging es noch nach Regensburg, dann siegte das Heimweh. Sie musste zurück nach Berchtesgaden, es ging nicht mehr anders.
Vom Modell zur Hüttenreferentin
Damals, in den Nullerjahren, brummte das Geschäft mit Outdoorkatalogen. Für die war Gabi ein gefragtes Fotomodell, aber das spielt sie natürlich herunter: „Mei, ich hatte blonde Dreadlocks, das war halt einfach auffällig. Aber klar, Spaß gemacht hat das schon.“ Und der große Boom des Hallenkletterns begann auch, natürlich auch in Berchtesgaden, wo man vorausschauend bereits 1992 die erste deutsche Sektionskletterhalle überhaupt eröffnete. Sie machte den Trainerschein, wurde Mutter und übernahm, als Söhnchen Elias drei war, die Kinderklettergruppe. Da das Hallenklettern immer weiter boomte, baute die Sektion eine neue Halle. Prompt war der Zulauf noch viel größer: „Innerhalb von einem Jahr sind wir von drei Kinder- und Jugendgruppen auf zwölf gewachsen. Da hast du Gute dabei und sehr Gute und nicht ganz so Gute, das musst du ja irgendwie strukturieren. Da bin ich Jugendreferentin geworden, aber die Jugendarbeit an sich war nicht meine Aufgabe, sondern das Ganze zu koordinieren. Wir hatten gar nicht genügend Trainer, also musste man zuerst die Trainerausbildung organisieren.“ Nach der Arbeit im Jugendreferat wurde Gabi Hüttenreferentin.
"Ich wollte alles wissen: Stromversorgung, Abwasser, Haustechnik, Buchungssysteme. Gerade machen wir ein Pilotprojekt mit Trockentoiletten, auf den Hütten wird das Wasser knapp, da kannst du nicht bei jedem Toilettengang fünf oder zehn Liter Wasser durchspülen!"
Und da die Hütten zum Teil im Nationalpark liegen, ist ein maximal nachhaltiges Wirtschaften erst recht vernünftig. Wer weiß, wie hoch Gesetzgeber oder EU da irgendwann die Messlatte legen? Lieber vorbeugen und aktiv gestalten, als irgendwann gehorchen müssen, das ist ihr Motto. Im Hüttenreferat ist jetzt der frühere Vorsitzende Beppo Maltan fürs Kärlingerhaus zuständig, um die Baumaßnahmen auf den anderen vier Hütten kümmert sich Gabi. Anschließend kam der Leistungssport dazu. Für den Jennerstier war sie anfangs nicht allein verantwortlich, dazu kamen noch die Disziplinen Klettern und Bouldern. Und dann wollte Beppo Maltan sie als Nachfolgerin im Sektionsvorstand. Eigentlich wollte sie ja auch, doch wie sollte sie aus der Teilzeitstelle in einer Förderschule ihr Leben finanzieren, wenn die Ehrenämter in der Sektion Woche um Woche viel mehr Stunden einnehmen als die wenigen bezahlten? Mutter von mittlerweile drei Kindern ist sie außerdem. Die Lösung war ein Arbeitsvertrag auf Basis einer Halbtagsstelle. Im Prinzip eine einfache Lösung, in der Praxis nicht: Satzungsänderung, Antrag beim Vereinsgericht. Sechs Monate hat es gedauert, bis es durch war: „Es ist ein Probelauf, auf dieser Basis wollen wir es machen. Ich bin für drei Jahre gewählt, jetzt schau’n mer mal.“ Ein für Alpenvereinssektionen neuartiges Modell, das praktische Vorteile hat. Die Mitarbeiter*innen der Geschäftsstelle arbeiten Teilzeit, fast alle am Vormittag, wenn die Kinder in der Schule sind. Wenn die Vorsitzende dann Vollzeit in einer Schule arbeitet und erst danach ins Büro kommt, sind die Kolleg*innen nicht mehr da: „Bis dahin hat man sich Notizen geschickt, die dann dreimal hin und her gingen. Jetzt sieht man sich regelmäßig, da ist viel weniger Reibungsverlust und es ist auch ein viel schöneres Arbeiten.“
"... solange ich regelmäßig rauskomme, tanke ich immer genug Energie"
Laut Arbeitsvertrag arbeitet sie zwanzig Stunden für die Sektion, de facto deutlich mehr, dazu Teilzeit in der Förderschule. Ihr Engagement für Menschen mit Behinderung hat sie in die Sektion mitgenommen: Seit 2004 sind alle Klettergruppen inklusiv, Kinder dürfen ohne Wartezeit beginnen. Die Eltern eines ehemaligen Schülers sind seit Kurzem Wirtsleute auf dem Stöhrhaus am Untersberg und wollen dort ein Inklusionsprojekt beginnen – für Gabi ein persönliches Highlight. Aber werden die vielen Sitzungen nicht irgendwann mühsam? Wenn sie immer noch Referentin ist für Leistungssport, fürs Skibergsteigen und das Ostwandlager am Watzmann? „So viele Sitzungen sind es nicht“, wiegelt sie ab, „viel geht heute einfach per E-Mail oder Videocall. Und solange ich regelmäßig rauskomme in die Berge, tanke ich immer genug Energie. Zwei oder drei Stunden reichen da meistens völlig aus.“ Lieblingsdisziplin hat sie keine: Skitouren, Mountainbiken, Mehrseillängenklettern – je nach Saison, Wetter, Form und Lust.
Wenn eine Mutter sich dermaßen dem übergeordneten Thema „Berg“ verschreibt, gibt es für die Kinder eigentlich nur die Möglichkeit, selbst um dieses Thema entweder einen ganz großen Bogen zu machen oder genau dieselbe Richtung einzuschlagen. Gabi hat das Glück, dass die zweite Variante zutrifft, und zwar für alle drei: Ihr Ältester, Elias, bouldert engagiert und hat lange in einer Jugendgruppe mitgeholfen, ihre Tochter Sophia hilft begeistert auf verschiedensten Events und Leo, der Jüngste, ist im Skimo-Bayernkader der Junior*innen.
Was ist ihr sonst noch wichtig? „Dass es den Hüttenwirten gut geht, gute Wirtsleute sind so schwer zu bekommen. Da setz ich mich immer mal ganz lang auf die Terrasse und schau zu, wie alles läuft. Mach ich (und sie lacht schon wieder) natürlich wahnsinnig ungern.“