Seilschaft auf dem Gipfel, blauer Himmel, Granittürme
Gipfelfreude bei bestem Wetter. Foto: Expedkader/Josi Vögele
DAV-Expedkader Männerteam Abschlussexpedition

Zum Schluss ans Ende der Welt

Ihre Abschlussexpedition hatten sich die Jungs vom DAV-Expedkader anders vorgestellt: Die Weltpolitik und das Wetter waren nicht auf ihrer Seite. Dennoch war die Fahrt nach Patagonien ein großes Erlebnis, mit einem Bergerfolg für jeden im Team.

Flexibilität ist Key

Dass man beim Bergsteigen oft flexibel auf sich ändernde Bedingungen reagieren muss, war ein immer wiederkehrender Lern-Input für das DAV-Expedkader-Männerteam 2023-25 – „das hat sich durchgezogen“, sagt der Trainer Sebastian „Sebi“ Brutscher. Während der dreijährigen Trainings- und Ausbildungszeit mussten die Jung-Alpinisten immer wieder Ausweichziele für ihre Trainingscamps finden und dann auch noch oft mit mäßigem Wetter jonglieren. Doch gut gelaunt gelang es den Jungs, immer das beste aus der Situation zu machen und unfallfrei auch anspruchsvolle Touren zu realisieren. Ähnlich – etwas gehandicapt – verlief der eigentliche Höhepunkt der Kaderzeit, die Abschlussexpedition. Aber sie kamen gesund zurück, als Freunde und mit spannenden Bergerlebnissen im Gepäck. Am 18. November berichteten sie in der DAV-Bundesgeschäftsstelle in München von ihrer Fahrt; ein mit über 80 Menschen jeden Alters gut gefüllter Saal bewies die Wertschätzung in der Alpinszene für das DAV-Förderprogramm für junge Alpinisten.

Patagonien – mehr als nur ein Ausweichziel

Recht bald war sich das Team einig gewesen, dass die Abschlussfahrt einen „alpinistischen“ Charakter haben sollte und dass der Oktober für alle am besten passen würde. Mit der Changla-Region in Westnepal hatten sie dafür ein vielversprechendes Ziel gefunden, mit selten oder gar nicht bestiegenen Fünf- und Sechstausendern aller Schwierigkeitsniveaus. Doch zwei Wochen vor dem Abflug eskalierten Proteste in Nepal, es kam zu Schießereien mit 70 Toten und 2000 Verletzten samt Rücktritt der Regierung – die Verantwortlichen im DAV zogen die Reißleine.

Die Enttäuschung, nach neun Monaten Recherche- und Vorbereitungszeit sich ein neues Ziel suchen zu müssen, verhehlt keiner der Jungs. Dazu kam die Schwierigkeit, jetzt in neun Tagen etwas Neues organisieren zu müssen; im Oktober, wo es für die meisten Regionen zu kalt ist. Doch mit Patagonien fand sich mehr als eine Notlösung: Immerhin stehen dort mit Cerro Torre und Fitz Roy zwei der schönsten und berühmtesten Berge der Welt. Und Im patagonischen Frühjahr ist zwar kein sonnenwarmer Fels zu erwarten, aber vielleicht gute Verhältnisse für legendäre Eisrouten wie „Ragni“ (Cerro Torre), „Supercanaleta“ (Fitz Roy) oder „Exocet“ (Aguja Standhardt). „Nur eine davon als Team zu realisieren, wäre schon ein Hit gewesen“, sagt Leon Schaake.

Doch Patagonien machte seinem Ruf alle Ehre: „Laut Einheimischen haben wir die schlechtesten vier Wochen seit Jahrzehnten erwischt“, erzählt Sebi. „Ein Wetter, wie man es sich vorstellt, wenn man schwere Touren klettern will“, formuliert Josef „Josi“ Vögele ironisch: „nass, kalt, stürmisch, in den Bergen Neuschnee und Lawinengefahr“. Und Luis Funk erinnert sich: „Die Frage „heute schon das Wetter gecheckt?“ wurde quasi zum Running Gag.“ Großes Gelächter im Publikum des Abschlussvortrags, als ein Screenshot der Wettervorhersage gezeigt wurde: eine Woche lang täglich mindestens 20-30 Zentimeter Neuschnee und Wind über 100 km/h mit Böen bis über 200.

 

Schlechtes Wetter und winterliche Verhältnisse in Patagonien. Foto: Expedkader/Josi Vögele

Ein Wetterfenster – bestmöglich genutzt

Doch nach einigen Tagen öffnete sich doch ein ersehntes Wetterfenster; die Jungs packten ihre Sachen und machten sich auf die notorisch aufwändigen Zustiege – unter fünf Stunden und 15 bis 20 Kilometer „Wandern“ geht nichts in den Bergen am Südzipfel Südamerikas.

Josef, Leon, Hannes Tegethoff und Sebi starteten Richtung Aguja de l’S (ca. 2330 m) und zelteten an der Laguna Sucia. Doch beim Zustieg wurde schnell klar, dass in den Bergen viel mehr Schnee gefallen war als befürchtet. Knie- bis hüfftief wühlten sie sich mit ihren 20-Kilo-Rucksäcken tausend Höhenmeter nach oben und mussten einsehen, dass das zu lange dauern würde. Am Mojón Rojo (ca. 2170 m) fanden sie ein Ersatzziel mit der „Canaleta Oeste“ (300 m, 60°, V+). Leon erinnert sich an „klassisches Hochtourengelände“, Josi feierte einen Offwidth-Riss:„Ich find so was geil“. Dann saßen sie eine Stunde lang bei Windstille auf dem Gipfel und hatten Zeit, die Verhältnisse in der Cerro-Torre-Gruppe zu beobachten und weitere Pläne zu schmieden. „Direkt gegenüber diesen Bergen, das war beeindruckend“, schwärmt Leon.

Luis und Florian Frank zogen derweil gemeinsam mit dem Teamarzt Bernhard „Bliemsi“ Bliemsrieder los zur Aguja Guillaumet (ca. 2580 m), deren Ostwand mit rotgoldenem Granit in den blauen Himmel ragt, und bezogen unterhalb ihr Zeltbiwak auf der Piedra Negra. In der „Coqueugniot-Guillot“-Route (200 m, 70°, V) fanden sie zunächst schöne schmale Eisrinnen. Doch die letzte Seillänge unter dem Gipfelgrat war vom ständigen Westwind mit Triebschnee eingeblasen und überwächtet. Luis erzählt: „Flo startet frohgemut in die Länge; hinter einer Kante wird er langsamer. Plötzlich wundere ich mich, warum er den Rucksack abzieht – und woher dann diese riesigen Schneebrocken kommen.“ Flo hatte die Lawinenschaufel ausgepackt und sich einen Tunnel durch den Schneepfropf gegraben – „Pulverschnee ohne Eis auf Granit“ erinnert er sich. So etwas dauert natürlich seine Zeit. Und da, wie Luis anmerkt, „wir beide gerne etwas länger schlafen“, war die Zeit schon fortgeschritten. Der Gipfel lag nur noch eine knappe Stunde in leichtem Gelände entfernt. Aber dann wären sie beim Abstieg in nicht ganz banalem Gelände womöglich in die Dunkelheit gekommen. So gingen sie auf Nummer Sicher und verzichteten auf den Gipfel – in der Hoffnung auf ein weiteres Wetterfenster.

Die Hoffnung nicht aufgegeben

Diese Hoffnung erfüllte sich leider nicht; die beiden Tage waren die besten des vierwöchigen Aufenthalts. Die sich verstärkende Ahnung, dass das anhaltend schlechte Wetter nicht ohne weiteres nachlassen würde, drückte auf die Stimmung. Doch das Team ließ es sich nicht vermiesen. „Jeder hatte mal einen Durchhänger, als nichts ging, aber nie alle gleichzeitig, wir haben uns gut gegenseitig aufgefangen“, berichtet Leon, „es hätte auch eine andere Dynamik geben können.“ Auch Flo findet: „Wir sind gut miteinander ausgekommen. In einem „echten“ Basislager wäre das vielleicht stressiger geworden als in El Chalten.“ Denn immerhin hatte die Gruppe ein gemeinsames Zimmer in einem Hostel im 3000-Einwohner-Dorf, wo sie selbst kochen konnte; es gab eine Eisdiele („Flo wollte immer als erster Gast dort sein“, erzählt Luis), und ein Jubiläumsfest mit Livemusik bot Gelegenheit zum Kennenlernen und Austausch mit den Locals – erst vor genau 40 Jahren war der Ort am Ende der Welt quasi aus dem Nichts entstanden.

„Die herzlichen Begegnungen mit den Einheimischen waren toll“, schwärmt Luis, „zu teilen ist hier ganz selbstverständlich – vom Matetee bis zum Essen beim Bouldern.“ Glücklicherweise war in der Pampa das Wetter nicht so schlecht wie an den hohen Bergen. So fand das Team zumindest etwas sportlichen Ausgleich an den vielen Boulderblöcken der Umgebung, in eingerichteten Sportklettereien und sogar ein paar Mehrseillängenrouten, die der „Hausmeister“ Rolando Garibotti und Dörte Pietron, Trainerin des Frauen-Expedkaders, eröffnet hatten.

Doch für die großen Ziele ergab es sich nicht mehr. „In den Alpen geht vielleicht auch bei miesem Wetter noch ein bisschen was; hier mit 100 km/h Wind und Lawinengefahr ist nichts zu holen“, fasst es Luis zusammen. Auch wenn El Chalten die Vorteile der Zivilisation bietet: Die Berge sind wild und abgelegen, Rettung ist schwierig, selbst wenn man Satelliten-Kommunikations-Geräte dabeihat, und auch der Vergleich von fünf Wettermodellen liefert keine endgültige Sicherheit; vor allem kann er nichts ändern…

Ein Team stieg noch einmal zum Nipponino-Camp, eines zum Passo Superior, um Material zu deponieren, aber es öffnete sich kein ausreichendes Wetterfenster mehr. Beim „zweitbesten“ Fenster des Aufenthaltes versuchten Josi, Leon, Sebi und Bliemsi sich noch einmal an der Aguja Guillaumet, mussten aber nach mühsamem Spuren im Sturm kurz unter der Wand umkehren: Ein Blocktest machte klar, dass bei der Triebschneemenge die Lawinensituation „zu heiß“ war, wie es Sebi ausdrückt. Beim Abstieg wurden sie gelegentlich von Windböen umgeworfen – ein Video davon begeisterte das Publikum des Abschlussvortrags.

Gegen Ende ergaben sich noch ein paar „kleinere“ Aktionen: Hannes wanderte von El Chalten zum Inlandeis und zurück. Und am allerletzten Tag startete er mit Josi zum Tejado, einer großen Gratrunde; nach dem zweiten von mehreren angepeilten Gipfeln war allerdings Ende im Tiefschnee.

„Du brauchst halt auch Glück auf einer Expedition“, ist das Fazit von Luis, „es gibt so viel Unwägbares, dass du einen Monat da sein kannst, aber nur fünf aktive Tage bekommst.“ Eine Portion Glück hatte er dann doch: Denn er hatte sich noch zwei zusätzliche Wochen frei genommen – und das Wetter wurde endlich gut. So konnte er in einer Fünf-Tages-Aktion mit den Argentiniern Emu und Jere den Cerro Torre (ca. 3102 m) über die Ragni-Route (600 m, 90°, M4) besteigen. „Das freut mich einerseits total für mich. Aber ich hätte mir gewünscht, dass wir das als Gruppe erleben können“, schildert er seine Gefühle – und ist dankbar für die Lern-Erfahrungen in der Kaderzeit: „Mit meinem Hintergrund als Sport- und Wettkampfkletterer hätte ich mir so etwas nicht träumen lassen, als ich vor drei Jahren zum ersten Mal auf Steigeisen stand.“

 

Die Erfolgsgeschichte geht weiter

Wie intensiv, umfassend und vielfältig die Erlebnisse und Learnings der dreijährigen Kaderzeit für jeden im Team waren, brachten die Jungs bei ihrem Abschlussvortrag lebendig und kurzweilig rüber; anhaltender Applaus belohnte ihren Auftritt.

Den besten Lohn aber ziehen sie aus der gemeinsamen Zeit. „Ich hab total viel gelernt – aber alle konnten viel mitnehmen“, urteilt Leon. Flo gibt als wichtigsten Tipp aus seiner Erfahrung aus: „Lieber einmal mehr umkehren als einmal zu weit gehen.“ Und der Trainer Sebi zieht ein begeistertes Fazit: „Mir hat’s wahnsinnig viel Spaß gemacht, es ist ein supertolles Team. Ich hoffe, dass wir im Team auch weiter den Kontakt aufrechterhalten, und bin gespannt, wie sie sich weiterentwickeln.“

Sebi hat schon zugesagt, auch das nächste Männerteam des DAV-Expedkaders wieder zu betreuen. Die Sichtungscamps werden Anfang 2026 stattfinden; die Ausschreibung erfolgt über die digitalen und sozialen Medien des DAV.

Also, alle jungen und motivierten Alpinisten, die von großen Zielen träumen und sich dafür optimal vorbereiten und ausbilden lassen wollen: Folgt dem Expedkader auf seinen Präsenzen! Und beherzigt den Tipp von Hannes: „Es sind alles nur Menschen – also einfach mal probieren und anmelden.“

 

Die Touren der Abschlussexpedition

  • Aguja Guillaumet (ca. 2580 m), „Coqueugniot-Guillot" (200 m, 70°, V): Florian Frank, Luis Funk

  • Mojón Rojo (ca. 2170 m), Canaleta Oeste (300 m, 60°, V+): Leon Schaake, Hannes Tegethoff, Josef Vögele, Sebi Brutscher

  • Cerro Torre (ca. 3102 m), Ragni-Route (600 m, 90°, M4): Luis Funk mit zwei argentinischen Partnern

 

Das Männerteam des DAV-Expedkaders 2023-2025

Jonas Fertig (* 24.4.2001), DAV Rosenheim (2025 aus persönlichen Gründen ausgestiegen)

Florian Frank (* 18.1.2001), DAV Bad Aibling

Luis Funk (* 13.6.2002), DAV München&Oberland

Leon Schaake (* 3.3.2001), DAV Freiburg

Hanes Tegethoff (* 25.3.1998), DAV Reutlingen

Josef Vögele (* 28.11.1999), DAV Garmisch-Partenkirchen

 

Der DAV dankt dem Trainerteam um Sebi Brutscher und den Arzt Bernhard Bliemsrieder, allen Zuständigen in der Bundesgeschäftsstelle und vor allem den Sponsoren, ohne deren Unterstützung der Expedkader schwierig zu realisieren wäre.

Ein großes "DANKE" geht an unsere Partner, ohne die eine solche Expedition nicht möglich wäre Darstellung: DAV

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