Biancograt
In eleganter Linie zieht der Biancograt mit mehreren Aufschwüngen empor. Foto: Michael Pröttel
Klassiker: Biancograt

Die firnige Himmelsleiter

Als einziger Viertausender östlich der Linie Bodensee-Comersee kann kein anderer Berg dem Piz Bernina den Titel „König der Ostalpen“ streitig machen.

Majestätisch thront der Piz Bernina über der nach ihm benannten Gebirgsgruppe, die auch auf den schönen Beinamen »Festsaal der Alpen« hört. Unstrittig ist zudem, dass zu seinem Vorgipfel eine der schönsten (nicht wenige meinen die schönste) Firnschneide der Alpen hinaufzieht.

Im Zusammenhang mit dem Klimawandel machten sich Wissenschaftler*innen große Sorgen um den einzigartigen Eisgrat: Denn im Hitzesommer 2003 stellte die Schweizer Gletscherforscherin Christine Rothenbühler tiefe Spalten und Risse im Biancograt fest. Wenn sich solche extremen Sommer wiederholen, drohe ein kompletter Eisabbruch, warnte die Wissenschaftlerin. Glücklicherweise haben sich ihre Befürchtungen nicht bestätigt, wie der Autor vor wenigen Jahren höchsterfreut feststellen konnte. Aber wer weiß? Vielleicht sollten ambitionierte Alpinisten dennoch nicht zu lange darauf warten, diese anspruchsvolle und großartige Hochtour in ihrem Tourenbuch einzutragen.

Wer dabei mit dem Zug anreist und somit den persönlichen CO2-Bilanz minimiert, tut nicht nur der schwitzenden Firnschneide sondern auch sich selber einen Gefallen. Bereits die Anreise mit der Räthischen Bahn zu Ausgangs- und Endpunkt ist ein schönes Urlaubserlebnis.

Teilstücke des Aufstiegs auf den Piz Bernina mit der Firnschneide des Biancograts (3) Foto: Jörg Bodenbender
Höhenprofil Biancograt Illustration: Sensit

Piz Bernina: Stück für Stück

1. Teilstück Pontresina (1773 m) – Tschiervahütte(2583 m), 800 Hm ↗, 2 ½ Std. T2

Vom Bahnhof Pontresina folgt man der „ Via da God“ zum Beginn der Fahrstraße, die durchs Rosegtal zum Hotel Roseg (bis hier auch per Pferdekutsche, 25 CHF/Person) führt. Dort beginnt der Hüttenzustieg auf einem gut ausgetretenen Bergweg. Der Weg überquert den Rosegbach und führt an dessen linken Seite (in Gehrichtung) entlang. Dann steigt er zur Seitenmoräne des Tschiervagletschers an und führt links von der Moräne bzw. auf ihrem Scheitel hinauf zur Tschiervahütte.

Taktiktipp 1: Auch am späteren Nachmittag noch möglich. Letzte Abendessenszeit der Hütte erfragen!

2. Teilstück: Tschiervahütte – Fuorcla Prievlusa (3426 m), 850 Hm ↗, 2 ½ Std. T3 Klettersteig B

Von der Hütte entlang des Steigs (Ketten) Richtung Tschiervagletscher bis zur zweiten Wasserrinne. Bei einem Steinmann nach Südosten und dem Moränenrücken folgen. Einige an Felsen angebrachte Reflektoren erleichtern bei Dunkelheit die Wegfindung (Stirnlampe nutzen!). Es folgt eine lange Querung hoch über dem Gletscher, dann wendet sich der Weg zum Gletscher hin, der nach rechts gequert wird, um den flachen Gletscherboden oberhalb der ersten Spaltenzone zu erreichen. Nun hält man sich links über eine Steilstufe zum oberen steileren Gletscherbecken hin. Dort, wo es sich unterhalb der Fuorcla Prievlusa aufsteilt, quert die Spur in die steile Flanke. Hinter dem Bergschrund nach links in die Felsen. Gelbe Markierungen zeigen den Einstieg des Klettersteiges an, der zur Fuorcla Prievlusa führt.

3. Teilstück: Fuorcla Prievlusa – Piz Bernina (4048 m), 700 Hm ↗, 7 Std., ZS, III, Eis bis 40°

Es folgt der erste Felsabschnitt (III, Haken und natürliche Sicherungsmöglichkeiten). Nach einer Wandstelle führt ein Band nach rechts oben. Nun zumeist rechts des Grates, bis man links auf die Morteratschseite wechselt, um die obersten Gletscherhänge am Rande des Felsgrats in Richtung des Biancograts zu queren. Bei Blankeis ist es sicherer, am Grat zu bleiben und den sog. Haifischzahn zu überklettern und dahinter in die Scharte vor dem Firngrat abzuseilen. Es folgt der schönste Teil der Tour, der entweder auf der Firnschneide oder leicht rechts von ihr weiterführt. Vom Ende des Firngrats am Piz Bianco (3995 m) führt ein Felsgrat exponiert aber technisch unschwer in leichtem Auf und Ab nach Süden zur BerninBerninascharte weiter. Von einem Felsturm seilt man in eine tiefe Scharte vor dem Schartenturm ab und bei Schnee noch ein Stück tiefer, um diesen rechts zu umgehen. Wenn kein Schnee liegt, wird der Turm meist direkt überklettert (III+) und abgeseilt. An der anderen Seite klettert man nun die Gipfelflanke hinauf. Über einen abschließenden Blockgrat hinauf zum höchsten Punkt.

Die Firnschneide des Biancograts mit seinen aufeinanderfolgenden Aufschwüngen. Foto: Michael Pröttel

4. Teilstück Piz Bernina – Rifugio Marco e Rosa (3609 m), 450 Hm ↘, 2 ½ Std., ZS-, III

Vom Gipfel klettert man nach Süden über zunächst leichtes Gelände ab. Kurz darauf setzt der exponierte

Spallagrat an. Hier wird zunächst abgeklettert und dann ca. 20 Meter abgeseilt. Es folgen ein Gratstück und eine letzte Abseilstelle, über die es nach rechts auf eine Gletscherfläche hinab geht. Über diese nach Süden zum Rifugio Marco e Rosa hinab.

Taktiktipp 2: Nicht zu weit dem Grat folgen, sonst verpasst man die Abseilstelle zum Gletscher.

5. Teilstück Rifugio Marco e Rosa – Morteratsch (1896 m), 1750 Hm ↘, 7 Std., WS+, II

Von der Hütte nach Osten zur Fuorcla Crast’ Agüzza (3591 m) und weiter auf den Bellavistakamm zu. Über einen Aufschwung (Spaltengefahr) auf die Gletscherterrasse unterhalb des Kamms. Im Folgenden hält man Abstand zur Abbruchkante des Gletschers, bis der Hang wieder breiter wird und man nach Norden, noch vor der Fuorcla Bellavista zum Fortezzagrat absteigt. Der Abstieg über den Fortezzagrat ist markiert. An einigen Steilstufen kann man abseilen. Über Firngrate und -hänge geht es zu einem Felsplateau hinab, das weiter Richtung Norden überschritten wird. Am Vadrett da la Fortezza hält man sich rechts und steigt das Gletscherfeld zur Felsinsel Isla Pers ab. Nun weiter auf Pfadspuren zum Morteratschgletscher hinab. Diesen entweder zur Bovalhütte hin queren und auf dem Hüttenweg absteigen, oder den Gletscher weiter gerade nach Norden hinab und zuletzt echtshaltend das Gletscherende mit Gletschertor umgehen. Auf dem Wanderweg zur Bahnstation Morteratsch.

Aufstieg zur Bellavista. Im Hintergrund links ist klein die Hütte Marco e Rosa erkennbar. Foto: Michael Pröttel

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