Kletterer in der Felswand
Ein hohes persönliches Können und viel Erfahrung ist nötig, um die harte Ausbildung zu bestehen. Foto: Julian Bückers
Bergführer*innen

Berufsbild im Wandel

Schönster Arbeitsplatz der Welt, Hobby als Beruf – zum Stichwort „Bergführer“ gibt es viele Klischees. Doch trotz Outdoor-Boom gibt es Nachwuchssorgen. Malte Roeper hat mit drei Erlebnisprofis aus verschiedenen Generationen gesprochen.

Die Outdoor- und Alpinbranche boomt in einem Ausmaß, dass wir schon lange nicht mehr wissen, ob wir uns freuen oder fürchten sollen. Für viele Menschen hat das eine Bedeutung, die man in der am Berg verbrachten Freizeit nur ungenügend erfasst: Der Boom bedeutet Arbeitsplätze. Natürlich wird Corona auch hier langfristig deutliche Änderungen bringen, und wenn wir ehrlich sind, ist das etwa beim Fern- und Expeditionstourismus in ökologischer Hinsicht durchaus positiv. Aber abflauen wird der Zulauf sicherlich kaum. Denn je mehr Tage wir alle im Homeoffice verbringen, desto mehr brauchen wir das Natur- und Bergerlebnis. Und je mehr die Umstände unseren Aktionsradius auf Region plus Nachbarländer reduzieren, desto mehr werden wir das genau dort in die Tat umsetzen. Die kleine Berufsgruppe der Staatlich geprüften Berg- und Skiführer*innen arbeitet im Zentrum des Booms. Zudem hat sich ihr Arbeitsfeld deutlich vergrößert, Bergführer*innen geben Kurse in Kletterhallen, arbeiten mit psychologisch-pädagogischer Zusatzausbildung in der Erlebnispädagogik, als Trainer*innen und als Coaches. Aber von den rund 600 im Verband Deutscher Berg- und Skiführer (VDBS) Organisierten verabschieden sich Jahr für Jahr immer ein paar mehr in den Ruhestand, als mit frisch abgelegter Prüfung nachrücken. Bei den Jungen fungiert das Expeditionskaderprogramm des DAV übrigens als Startrampe, fast die Hälfte all jener, die am Kader teilnehmen, beschreitet diese Berufslaufbahn.

Mit allen Wettern gewaschen: Bergführer*innen und Aspirant*innen wie die ehemalige Expedkader-Teilnehmerin Susanne Süssmeier müssen auch mal was aushalten. Foto: Silvan Metz

Dennoch hält der insgesamt rückläufige Trend seit Jahren an. „In Österreich und in der Schweiz ist es ähnlich“, sagt der VDBS-Präsident Michael Lentrodt, „dabei gibt es Arbeit genug: Wer es will, kann fast das ganze Jahr führen. Das viele Unterwegssein muss man natürlich mögen, und wenn du verletzt bist, verdienst du kein Geld. Das gilt es durch Planung und Vorsorge auszugleichen. Wir müssen es schaffen, den Jungen zu erklären, dass es trotzdem ein großartiger Beruf ist, vor allem auch in Kombination mit anderen Jobs.“

Nachwuchssorgen

Die Zahlen sind nicht dramatisch, aber Grund genug für den VDBS, das Thema Nachwuchs in den nächsten Jahren zum Schwerpunkt zu machen und vor allem für die erwähnte Variante des Kombinationsberufs zu werben. Eine deutliche Hemmschwelle vor Eintritt in die Ausbildung waren und sind die hohen Kosten: Kursgebühren, Anreise, Verdienstausfall. Hier ist keine schnelle Lösung in Sicht: Eine verkürzte Ausbildung ginge auf Kosten der Qualität. „Die Gäste vertrauen uns ständig ihr Leben an“, so Lentrodt, „außerdem hat der Beruf heute ein viel breiteres Spektrum an Aktivitäten, die wir ausbilden und dementsprechend auch prüfen müssen. Gerade wer das in Vollzeit und in allen Jahreszeiten machen will, muss in allen Sparten fit sein.“ Es gibt immer wieder Stimmen, die ein Ausgliedern einzelner Bereiche fordern wie etwa reine Skitourenführer*innen – bis jetzt jedoch gilt, dass Bergführer*innen Allrounder sein müssen, „alpine Zehnkämpfer“ quasi. Dieses Selbstverständnis stammt allerdings aus einer Zeit, in der die verschiedenen Disziplinen deutlich überschaubarer waren und nicht zuletzt das Niveau der Kund*innen nicht so hoch wie heute. So denkt man im VDBS aktuell darüber nach, ob es heute noch zeitgemäß ist, dass jemand entweder alles können muss oder in gar keiner Disziplin arbeiten darf, auch nicht mit entsprechender Teilausbildung. Die im Vergleich zum Ausland äußerst niedrigen Unfallzahlen sprechen für ein Beibehalten des bisherigen Ausbildungsmodells. Wie sich Selbstverständnis und Außenwahrnehmung der Bergführerinnen und Bergführer in den nächsten Jahren entwickeln, bleibt eine der spannendsten Fragen in der boomenden Branche des Bergsports.

Susanne Süßmeier

Susanne Süßmeier, geboren 1991 in Backnang, lebt in Innsbruck und führt seit 2021 als Berg- und Skiführerin. Sie hat Sportwissenschaften in Innsbruck studiert. Foto: Archiv Süßmeier

Von 2014-2016 war ich im Expeditionskader der Frauen, das hat viel Auftrieb und Selbstvertrauen gegeben. Ein Jahr nach dem Kader habe ich mit der Bergführerausbildung angefangen. Es war nicht leicht, die Ausbildung zu finanzieren, aber ich habe sparsam gelebt und konnte als Wanderführerin und dann als Aspirantin Geld dazuverdienen. Die Kosten schrecken viele ab, manche machen das daher in Österreich, da ist es günstiger. Meine Generation ist mit viel Sicherheit und Komfort aufgewachsen, am Berg gehst du gern mal in Extremsituationen, aber im Alltag die Komfortzone verlassen ist nicht so gefragt. Die körperlich anstrengenden Lehrberufe werden auch eher gemieden, während alles, was mit Abitur und Studium zu tun hat, ein höheres Ansehen genießt. Und das Führen am Berg ist ja schon auch harte körperliche Arbeit. Manchmal habe ich auch den Eindruck, dass wir Neulinge ausgenutzt werden, aber da muss man einfach durch. Als Frau musst du dir manchmal immer noch unglaublich dämliche Sprüche anhören, es hat aber auch Vorteile: Es gibt viele Anfragen, wo sie explizit eine Bergführerin haben wollen. Mir macht das Führen so viel Spaß, dass ich schon vorhabe, das die nächsten Jahre hauptberuflich zu machen. Die älteren Kolleg*innen haben immer schon gesagt: Der schönste Lohn sind die glänzenden Augen der Gäste. Das klang manchmal abgedroschen, aber es stimmt. Wenn die Gäste glücklich sind nach einer Tour, davon nimmt man so wahnsinnig viel Energie mit zurück, das kann man kaum beschreiben. Und in einer immer schnelleren und lauteren Welt haben wir einfach den schönsten Arbeitsplatz von allen.

Sepp Gloggner

Sepp Gloggner, geboren 1954 in Kreuth am Tegernsee, langjähriger Ausbildungsreferent im VDBS, lebt in Schönenberg bei Zürich. Foto: Archiv Gloggner

Ich bin jetzt 66 Jahre alt und damals über die Bundeswehr zu meinem Beruf gekommen, Gebirgsjäger, dann Heeresbergführer, und weil ich da einer der Jahrgangsbesten war, hab ich mich an den staatlichen Bergführer rangetraut. 1982 hab ich mich selbstständig gemacht mit meiner heutigen Alpinschule Bavaria. Es gab noch keine Kletterhallen, das Sportklettern kam gerade erst auf. 1983 habe ich wahrscheinlich als erste Bergschule in Deutschland Eiskletterkurse an Wasserfällen angeboten, hatte aber in den ersten zwei Jahren nur einen einzigen Gast! Heute ist das von Dezember bis Anfang März meine hauptsächliche Arbeit, ich führe so gut wie keine Skitouren mehr. Ich hatte ständig das ganze Auto voll mit beiden Ausrüstungen, da habe ich mich fürs Eisklettern entschieden. Das viele Unterwegssein war manchmal sehr anstrengend, aber das gehört eben dazu. In manchen Regionen kannst du das ganze Jahr von zu Hause aus führen, zum Beispiel in Zermatt; in Berchtesgaden geht das eigentlich auch, aber das wäre nichts für mich, ich will ja auch unterwegs sein, alpenweit arbeiten. Ich habe Expeditionen geführt und organisiert, heute mache ich auch Kletterreisen in den Süden. Heute gibt es – Gott sei Dank übrigens! – ja auch Bergführerinnen, und wenn die Familie haben, ist es für sie sicher noch schwieriger als für die Männer. 1990 hatte ich einen Unfall, Sprunggelenksfraktur, seitdem mache ich vor allem Kurse und weniger Hochtouren. Die Schule lief gut, in der Hochsaison waren wir mit bis zu acht Bergführern gleichzeitig unterwegs.

Ausbildung im Gelände. Foto: Archiv Gloggner

Dazu war ich 19 Jahre lang Ausbildungsreferent im Bergführerverband, eine Zeit lang auch noch Präsident der technischen Kommission im internationalen Bergführerverband, da habe ich einfach gemerkt, das schaffe ich nicht. Vor zwanzig Jahren bin ich mit meiner Frau in die Schweiz gegangen – sie stammt aus Zürich –, das war dann der Anlass, die Schule zu verkleinern. Jetzt mache ich es wieder ganz alleine und habe weniger Büro- und Organisationsarbeit und mehr Zeit für mich und meine Frau. Die jungen Bergführer und vor allem auch Bergführerinnen, die jetzt nachkommen, die haben ganz klare Vorstellungen, warum sie die Ausbildung machen und was sie damit machen wollen, Nebenjob oder hauptberuflich. Das finde ich sehr positiv. Ich weiß nicht, wie lange ich es körperlich noch schaffe, eine gewisse Leistung musst du ja einfach bringen. Es macht aber einfach immer noch Spaß, der Umgang mit den Menschen. Der Mensch muss dir wichtig sein und weniger der Sport. Ich war von Anfang an ziemlich stolz, Bergführer zu sein. Das bin ich heute noch. Und was mich auch sehr stolz gemacht hat: dass ich mithelfen konnte, viele damals ganz junge Kolleg*innen, die heute jetzt auch schon wieder älter sind, auszubilden und ihnen das weiterzugeben, was mir am Bergführerberuf wichtig ist.

Michael Bückers

Michael Bückers, geboren 1984 in Anzing bei Ebersberg, kam beim Studium an der TU München eher zufällig mit der Bergführerausbildung in Berührung. Foto: Julian Bückers

Ich bin Bergführer seit 2012. Was sich seitdem geändert hat, ist vor allem die Rolle des Internets. Zum Beispiel schickst du für einen Treffpunkt einfach die GPS-Koordinaten und fertig, statt dass du eine Anfahrt lange beschreibst, außerdem wird alles sofort auf Facebook et cetera gepostet. Auch die Lehrinhalte haben sich zum Teil stark verändert: Ich bin im Lehrteam der Bergführerausbildung und wir unterrichten zum Teil deutlich andere Inhalte, als ich früher noch gelernt habe. Aber das zeigt halt auch, dass die Dinge lebendig sind und nicht stehen bleiben. Ich habe eine Fünfzig-Prozent-Stelle in der Industrie und bin dort zuständig für Sportmarketing und alpine Produktentwicklung. Diesen Job habe ich auch deswegen bekommen, weil ich Bergführer bin und damit für eine gewisse alpine Kompetenz stehe. Die anderen fünfzig Prozent führe ich. Es ist für mich die perfekte Kombination, ich könnte mir auch vorstellen, meinen festen Job Vollzeit zu machen, Vollzeit führen würde ich dagegen ungern. Da hätte ich Angst, diese unglaubliche Freude an der Arbeit zu verlieren, wenn sich Dinge zu stark wiederholen. Ich versuche möglichst viel in der Nähe zu führen, weil ich Familie habe und die Kinder noch klein sind. Aber ich bin schon auch jedes Jahr mindestens einmal im Mont Blanc-Gebiet oder in den Westalpen, das gehört einfach dazu. Immer wieder stelle ich fest, dass einerseits viele Laien überhaupt keine Ahnung haben, was wir Bergführer eigentlich tun, und dass andererseits junge Kletter*innen sich den Job dermaßen schwierig vorstellen, dass es eine massive Hemmschwelle für sie ist, das eventuell anzugehen. Vielleicht kann man diese Hemmschwelle irgendwie herabsetzen, ohne dass sich die allgemein sehr positive Wahrnehmung unseres Berufes ändert.

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