Plopp … plopp … plopp. Abgesehen von dem am Dach der uralten Holzhütte herabtropfenden Schmelzwasser ist es totenstill. Keiner Menschenseele sind wir auf unserer Wanderung zu den Fuciade-Hütten an diesem strahlenden November-Samstag begegnet. Dabei ist der wunderschöne Panoramaweg eigentlich auch im Winter sehr beliebt.
Im November ist aber alles anders. Dann herrscht auch im „UNESCO Weltnaturerbe Dolomiten“ tiefste Nebensaison. Bevor im Dezember die Skigebiete ihren Betrieb aufnehmen. Aber nicht nur deshalb ist der November für mich der beste Monat, um mit meiner Kamera in Richtung Sella, Fanes, Rosengarten & Co. aufzubrechen. Schließlich sendet unsere Sonne nie schöneres, sprich weicheres Licht zum Fotografieren als zu dieser Jahreszeit. Und in den nächsten Tagen möchte ich die unbekannten Berge nördlich des Passo San Pellegrino in dieses Licht setzen.
Mächtig und steil ragt die Südwand des Palon de Jigolé über dem lieblichen Talkessel auf.
Mit dabei ist wieder einmal Jana, die die Leidenschaft für einsame, tagesfüllende Touren in wilder Dolomiten-Landschaft mit mir teilt. Und deswegen geht unsere heutige Schneeschuhwanderung an den Fuciade-Hütten erst so richtig los. Beindruckend mächtig und steil ragt die Südwand des Palon de Jigolé über dem lieblichen Talkessel auf. Im Gegensatz zu den flachen Almwiesen sind die südexponierten Hänge unterhalb der Felsen noch aper. Doch eine gute halbe Stunde später verschwindet der Steig unter einer soliden Schneedecke. Dank der alpenvereinaktiv-App ist die Orientierung auch ohne Markierungen nicht sonderlich schwer. Ich habe auch dieses Mal die digitale Karte vorab auf meinem Handy abgespeichert. Das GPS-Signal zeigt mir punktgenau an, wo wir uns gerade befinden. Egal ob es gerade Netz gibt oder nicht.
Die Einschätzung einer potenziellen Lawinengefahr nimmt uns das Handy freilich nicht ab. Jana und ich sind uns einig: Der Schnee, der hier vor etwa zehn Tagen gefallen ist, hat sich gut gesetzt. Die Frontzacken der Schneeschuhe, die auf der harten Schneedecke solide Halt geben, stimmen unserer Beurteilung zu. Und so erreichen wir ohne größere Spurarbeit den Passo Cirelle, wo der Gipfelrücken bereits zum Greifen nahe scheint. Tatsächlich fühlen sich die letzten 130 Höhenmeter dann doch nicht ganz geschenkt an. Was oben angekommen sofort vergessen ist. Wie am Vortag genießen wir ein grandioses Dolomiten-Panorama ganz für uns allein.
Absolute Bergeinsamkeit
Die absolute Bergeinsamkeit an der Cima Malinverno, die wie auch der Palon de Jigolé der Marmolata-Gruppe zugeordnet wird, war freilich nicht ganz überraschend. Bei der Vorabrecherche hatte ich im Internet nur eine einzige Tourenbeschreibung gefunden. Diese führte allerdings nicht von der Seite des Passo San Pellegrino zum Gipfel. So etwas macht mich in Zeiten, wo ansonsten scheinbar jeder Hügel auf irgendwelchen Foren beschrieben wird, erst richtig neugierig. Und so folgen wir gleich am Anreisetag einem schönen, alten Jägersteig zum Talkessel Ciadin Burt.
Ein 45 Grad steiler Hang führt auf den herrlichen Gipfelkamm.
Die anschließende Schlüsselstelle hatten wir da schon auf dem Schirm. Schließlich machte schon die Hangneigungskarte auf alpenvereinaktiv unmissverständlich klar, dass wir auf etwa siebzig Höhenmeter einen 45 Grad steilen Hang aufsteigen müssen, um auf den herrlichen Gipfelkamm zu gelangen. Natürlich ist es dann doch etwas anderes, wenn man ganz real mit Schneeschuhen so einen Hang hinauf spurt, der die Oberschenkelkräfte nicht unerheblich fordert. Eine Anstrengung die sich allerdings absolut lohnt. Am Gipfel reicht der glasklare Blick im Nordwesten bis zum Langkofel und zum Piz Boé. In Richtung Osten präsentiert sich ein beeindruckend langer Grat, über den man im Sommer über den Spiz de Tariciogn bis zum Passo delle Selle balancieren könnte.
Um es aber etwas gemütlicher ausklingen zu lassen, ist der Passo delle Selle genau das richtige Ziel für unsere Schneeschuhtour am dritten Tag vom Passo San Pellegrino aus. Auch wenn die Route das Skigebiet nur zu Beginn leicht tangiert, haben wir nichts dagegen, dass die Liftanlagen noch im Vorwinterschlaf liegen. Nichts gegen eine heiße Suppe einzuwenden hätten wir wiederum gute zwei Stunden später am windigen Passo delle Selle. Doch an der dortigen „Bergvagabundenhütte“ ist es den ganzen Winter über mucksmäuschenstill. Ganz im Gegensatz zu Zeiten des Ersten Weltkriegs, als sich dort oben an der Frontlinie sogar ein kleines Militärdorf befand.
Direkt über dem Pass war der zur Cima dell´Uomo führende Costabella-Kamm mit alten Kriegssteigen und Stellungen überzogen, denen heutzutage ein quasi „historischer“ Klettersteig folgt. Trotz des Windes und einer dichten Wolkendecke versuche ich, mir zumindest einen Teil davon näher anzuschauen und steige weiter bergauf. Als ich keine Viertelstunde später zum Passo delle Selle zurückkehre, schenkt mir Jana ein mitfühlendes Lächeln. Bereits der Zustieg zum Grat war so vereist, dass ich einsehen musste: Nur mit Schneeschuhen, ohne Pickel und Steigeisen, ist hier oben leider Schluss.
Toureninfo
Beste Jahreszeit: Je nach Schneelage Mitte November bis Mitte März.
Anreise: Mit dem Zug nach Ora/Auer und mit den Bussen B140 und B101 nach Moena. Weiter mit Bus B123 zum Passo Pellegrino.
Unterkünfte: Diverse Pensionen und Hotels in Moena und am Passo San Pellegrino.
Tourismusinfo: fassa.com/de/tourismusburo-moena
Karten: Tabacco Karte 06 „Val di Fassa“ 1:25000
Ausrüstung: Winter-Bergwanderausrüstung mit Teleskopstöcken, Gamaschen, Spikes und Schneeschuhen sowie LVS-Ausrüstung.
Anforderungen: Während für Cima Malinverno und Palon de Jigolé eine gute Kondition, sicheres Gehen mit Schneeschuhen und lawinensichere Verhältnisse erforderlich sind, kann man den Passo delle Selle auch bei zweifelhaften Verhältnissen angehen.
Touren
Tour 1 – Cima Malinverno
Cima Malinverno (2630 m)
11,3 Km, auf/ab 1200 Hm, 5:30 Std.
Ausgangs- und Endpunkt: I Ronc (1440 m)
Tour 2 – Palon de Jigolé
Palon de Jigolé (2805 m)
11,8 Km, auf/ab 920 Hm, 6 Std.
Ausgangs- und Endpunkt: Lago di Pozze (1920 m)
Tour 3 - Passo delle Selle
Passo delle Selle (2530 m)
7 Km, auf/ab 620 Hm, 4 Std.
Ausgangs- und Endpunkt: Passo San Pellegrino (1920 m)