Können Sie sich noch an Ihre ersten Berührungspunkte mit Speedklettern erinnern?
Na klar! Ganz am Anfang, so 2008/2009, habe ich mir gedacht: Hm, Speedklettern, das kann gerade in Deutschland noch keiner. Also wenn ich mir Mühe gebe, ein bisschen recherchiere, dann können wir im Norddeutschenkader einen Vorsprung vor den anderen Landesverbänden aufbauen. Dann habe ich nächtelang Slow Motion Videos von irgendwelchen polnischen und russischen Athleten geschaut, um zu verstehen, wie Speedclimbing überhaupt funktioniert. Literatur zum Speedklettern gab es nicht. Gibt es übrigens immer noch nicht. Da bleibt einem nur die Videoanalyse.
Haben Sie auch den Selbstversuch gewagt?
Ja habe ich! Damals noch an der Classicwand (weil es noch keine Normwand gab). Jedoch habe ich mir dabei ziemlich schnell die Schulter ausgekugelt und dann dann aufgehört. Wie gesagt, ich war nicht die Jüngste. Auf jeden Fall hatten wir so 2008/2009 die ersten Speedläufe mit den Nachwuchs-Athlet*innen und versucht ungefähr so wie in den Videos zu klettern. Die schnellsten Zeiten waren damals um die zehn Sekunden. Da hat sich in den letzten Jahren nochmal einiges entwickelt.
Und seit diesem Jahr sind Sie in einer neuen Rolle beim DAV als Bundestrainerin. Wie waren die ersten Monate?
Also ganz so frisch fühlt es sich nicht an. Und das ist es im Grunde genommen auch nicht. Denn wir haben bereits vor drei Jahren das Trainer*innen-Team beim Jugendteam in Disziplinen aufgeteilt. Das heißt, mit den jugendlichen Speed-Athlet*innen arbeite ich schon länger. Ich habe circa zwanzig Athlet*innen, für die ich Trainingspläne schreibe und Videos analysiere und das schon seit drei Jahren. Seit diesem Jahr habe ich als Bundestrainerin dann noch die Koordination des Speedbereichs für die Erwachsenen übernommen.
Was unterscheidet Speedklettern von Lead und Bouldern? Sowohl technisch als auch mental? Welche Herausforderungen kommen da auf die Trainerinnen und auch die Athletinnen zu?
Meiner Meinung nach sind Speed und Lead die schwierigsten Disziplinen im Klettersport. Insbesondere, weil man beim Lead über einen langen Zeitraum durchhalten und konzentriert bleiben muss und dabei noch die richtigen Entscheidungen treffen muss. Beim Speed ist es umgekehrt. Aber genau das macht es super schwierig: Ein paar Millisekunden, in denen man negative Gedanken zulässt oder kurz mental abschweift oder einfach nicht voll konzentriert ist – jeder kleinste Fehler bedeutet, dass man aus der Wand slippt oder die Zeiten nicht laufen kann. Und das ist mental unfassbar herausfordernd für die Athlet*innen. Das merke ich auch als Trainerin.
Wie findet man denn diese kleinen Stellschrauben und Nuancen, die noch verbessert werden können? Arbeitet ihr mit Slow-Motion-Video oder wie kann ich mir das vorstellen?
Es gibt sehr viele Videoanalysen und Vergleiche in unserer Arbeit. Natürlich wollen wir versuchen, die Präzision bei den Bewegungen zu verbessern. Es ist beispielsweise schon wichtig, wo die Ferse hinguckt – nach rechts, nach links, wie viel Zentimeter tiefer – oder wie der Winkel des Arms ist. Und so geht das mit dem ganzen Körper. Das heißt, wir arbeiten sehr viel an den einzelnen Routen-Abschnitten. Und versuchen Kleinigkeiten zu perfektionieren. Dafür testen wir gerade ein KI gestütztes Auswertungstool, auf das ich sehr gespannt bin. Im Prinzip geht es darum, dass in Hilden, das ist unser bundesweiter Stützpunkt für Speed Athlet*innen, Kameras aufgestellt sind, die die Läufe genau analysieren können. Nach der Wettkampfsaison werden wir das in unsere Arbeit integrieren.
Was mich noch beschäftigt ist: Wie motiviert man die Talente für die immer gleiche Route?
Einer meiner Athleten hat mal gesagt: „Ich habe das Gefühl, ich mache immer dasselbe.“ Da meinte ich: „Ach wirklich? Wer hätte das gedacht?“ Aber Probleme, die Athlet*innen zu motivieren habe ich keine. Die sind sehr motiviert. Die richtigen Speedys muss ich gar nicht motivieren. Die laufen einfach super gerne und laufen, laufen, laufen, wollen nur schneller laufen und die kriegt man von der Wand gar nicht abgekratzt. Man kann natürlich die gleiche Frage auch für die Leichtathletik stellen: Wie motivieren sich Sprinter*innen die immer gleiche Bewegung zu machen? Das ist, finde ich, dort noch krasser, denn das ist immer eine identische Bewegung. Im Speed haben wir innerhalb der Route unterschiedliche Bewegungsabläufe und Griffe.
Ist Speedklettern eine Sportart für Perfektionist*innen?
Absolut! Wenn ich merke, dass die Athlet*innen müde sind und nicht wissen, was sie machen sollen, weil sie körperlich einfach platt sind, dann arbeiten wir im Kopf an den Parts. Da müssen sie nicht schneller werden, sondern nur kreativ nach Lösungen suchen. Das lenkt ab, das motiviert und dann sind sie wieder voll heiß drauf, genau das umzusetzen und auszuprobieren. Abgesehen davon machen wir unglaublich viele verschiedene Übungen. Ab und zu auch mit. Das ist immer lustig.
2007 fand ja der erste Weltcup im Speedclimbing statt. Seitdem hat sich die Disziplin weiterentwickelt und ist mittlerweile als eigenständige olympische Disziplin anerkannt.
Genau, Speed wurde im Vergleich zu Bouldern und Speed schon für Paris 2024 als separate Disziplin anerkannt und ist auch die spannendste Disziplin. Ich muss sagen: Dank Speed ist Klettern überhaupt olympisch. Das ist das, was Spaß macht, anzuschauen. Das ist Action pur.
Und jetzt bei den World Games in Chengdu kommt was Neues auf euch zu, oder?
Bei den World Games gibt es drei verschiedene Modi: ein normales Paar, vier parallele Läufe und dann die Staffel. Das ist die spannende Entwicklung! Das ist vergleichbar mit Leichtathletik - 100 Meter Lauf, 500 Meter Lauf, Hürdenlauf. Die Athlet*innen freuen sich besonders auf die Staffel und die vier parallelen Routen. Die finden es richtig cool und glauben auch, dass es für die Zukunft von Speed wichtig ist, diese Modi bei den World Games zu haben.
Insbesondere, wenn zwei direkt nebeneinander klettern.
Ja! Also wenn Leute, die keine Ahnung von Speed haben, sagen: „Nee, das ist kein Klettern, das ist nur Quatsch“ dann dabei sind und die Action sehen, finden die das auch richtig spannend. Vor allem die Finalrunden und die KO-Runden. Ich finde es für den kompletten Klettersport wichtig, dass alle drei Disziplinen anerkannt sind, separat, auch für die Lead und Boulder. Nur so können sich die Athlet*innen auf die eigene Disziplin spezialisieren. Genau das ist für die Jugend wichtig, dass sie wissen, dass sie nicht unbedingt alle Boulder und Lead klettern müssen.
Jugend ist ein gutes Stichwort. Wie sieht denn der aktuelle Nachwuchs aus im Speedklettern? Gibt es vielversprechende Talente?
Ja absolut! Dank der Arbeit meiner Kolleg*innen in ganz Deutschland. Ich arbeite schon lange – seit ich 27 bin - mit Jugendlichen. Und wir haben bei denjenigen, die jetzt international starten können, sehr viele männlichen Athleten, die richtig talentiert und unglaublich schnell sind. Also die Zeiten, die die jetzt laufen, konnten wir uns vor fünf Jahren nicht vorstellen für dieses Alter. Jetzt sind wir für den europäischen Vergleich sehr gut dabei. An dem Weltniveau müssen wir jedoch noch arbeiten. Da bin ich sehr gespannt auf die Jugend-WM. Weibliche Athletinnen haben wir in der Altersgruppe leider nicht so viele. Dafür in der U15 aber umso mehr. Fast vierzig Athletinnen! Das freut mich total. Das sind wirklich richtige Speedys. Für U15 haben wir eine extra Route dafür, die angepasst ist an Größe und Alter.
Wie sieht denn die Situation in den deutschen Kletterhallen aus? Wie einfach kann man ins Speedklettern einsteigen?
Ins Speedklettern einzusteigen ist eigentlich einfach. Man braucht keine Normroute, man kann einfach ein paar Griffe, Henkel an die Wand schrauben. Bei uns, ich wohne in Köln und wir haben eine Kletterhalle, die mit Leistungssport nichts zu tun hat, wurden parallel zwei gleiche Routen geschraubt und sobald die ganzen Kinder zu dieser Wand gehen, kriegt man sie dort nicht mehr weg. Sie rennen und rennen und rennen gegeneinander. So kann man die Kids auf jeden Fall motivieren. Leider haben wir immer Probleme, Hallen mit Normrouten zu finden. Im Süden sind fast alle Norm-Wände draußen, das ist im Winter doof. Die Hallen wollen lieber ganz normale kommerzielle Routen schrauben und den Besuchenden viel Abwechslung bieten. Aber Speedklettern ist auch Klettern und deshalb gehört die genormte Wand für mich auch einfach dazu. Wir hoffen, dass es besser wird und das wird es auch. Aber nur sehr langsam.
Auf welche anstehenden Projekte, Events oder auch Wettkämpfe freuen Sie sich besonders?
Ich freue mich total auf die World Games. Das ist für mich total neu. Für mich sind die World Games etwas, wo ich viel lernen kann und das ganze Team was mitnehmen kann für die Zukunft. Wie wir Speedklettern in Deutschland weiterentwickeln, wie wir die Disziplin weiter aufbauen. Und dann kommt die Jugend-EM Ende August. Da bin ich auch schon sehr gespannt. Danach fahre ich nach Seoul zur WM.
Das klingt nach einem anstrengenden und spannenden August. Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Speedkletterns in Deutschland?
Ich wünsche mir, dass wir mehr Indoor-Wände haben, an denen wir trainieren können, dass wir Stützpunkte aufbauen, wo wir auch im Winter trainieren können. Nicht nur im Düsseldorf/Kölner Raum, sondern auch zum Beispiel im Süden oder Osten oder Norden. Ich wünsche mir, dass die Hallen unseren Sport, das Speedklettern unterstützen, weil das cool ist und Spaß macht und eben auch dazu gehört. Und ich wünsche mir nächstes Jahr viel mehr Workshops bzw. Trainingslager für meine jungen Athlet*innen, damit die zusammenkommen. Dieses Jahr haben wir das zeitlich leider nicht hingekriegt. Gemeinsames Training ist das Beste, das motiviert unglaublich.