Gerhard, eine Frage, die dir wahrscheinlich seit Wochen gestellt wird: Wann kommt der Winter?
(lacht) Die bekomme ich jedes Jahr im Herbst. Und dieses Jahr ist die Antwort klar: Der Winter ist in den Bergen schon angekommen. Wir hatten in den letzten Tagen immer wieder Neuschnee. Am Sonnblick sind etwa 45 Zentimeter gefallen, auf der Rudolfshütte im Salzburger Land 30 Zentimeter und am Dobratsch, dem Villacher Hausberg, immerhin 23 Zentimeter. In manchen inneralpinen Regionen – etwa in den Karawanken oder Teilen Salzburgs – hat es sogar bis auf 600 Meter herunter geschneit.
Und wie sieht die Entwicklung aus?
Im Norden hatten wir zuletzt einen idealen Ausgangszustand mit kalter Luft. Die entscheidende Frage war daher: Kommt auch Feuchtigkeit dazu? Einige Wettermodelle haben anfangs eine richtige „Schneebombe“ im Süden gesehen, die Südalpen wären also stark betroffen gewesen. In den jüngsten Berechnungen hat sich das allerdings nach Osten verlagert, Richtung Balkan. Vorerst gibt’s nur relativ wenig Neuschnee, am meisten noch im klassischen Nordstau – vom Arlberg bis zum Dachstein sowie im Dreiländereck Österreich-Slowenien-Italien.
Kurz gesagt: Der Winter startet motiviert, aber noch nicht so wirklich durchschlagkräftig. Und wie es weiter geht, das steht auf einem anderen Blatt.
Es kursieren ja immer wieder große Versprechen wie „extrem kalter Winter“ oder „Jahrhundertwinter“. Letztes Jahr war das eher nicht der Fall.
Ja, diese Saisonprognosen sind schwierig. Viele fordern: „Sag uns doch einfach, wie der Winter wird!“ Wenn ich es lustig formuliere: (lacht) Super natürlich! Überall Schnee, im Norden, im Süden, alles perfekt!
Aber ernsthaft: Langzeitprognosen versuchen, großräumige Muster der Atmosphäre und der Ozeane für mehrere Monate zu erfassen. Dabei spielen sogenannte Zirkulationsmuster eine Rolle – unter anderem das bekannte El Niño- oder La Niña-Phänomen im Pazifik. Obwohl das weit entfernt stattfindet, hat es Auswirkungen auf den gesamten Nordpazifik und damit auch auf die Nordhalbkugel, inklusive Europa.
Was bedeutet das für diesen Winter?
Wir haben heuer einen La Niña-Winter, letztes Jahr war El Niño. La Niña begünstigt tendenziell kühlere Bedingungen – vor allem in Nordamerika, aber es kann auch bei uns bedeuten, dass der Winter eher seinen Namen verdient. Zusätzlich deuten neuere Analysen darauf hin, dass es immer wieder zu Kaltluftvorstößen aus dem Norden kommen kann. Ein wichtiges Stichwort ist dabei ein Hochdruckgebiet über Grönland. Dieses Hoch blockiert die Westströmung des Atlantiks. Und wenn weniger warme Atlantikluft zu uns vordringt, haben kalte Luftmassen aus dem Norden leichteres Spiel.
Aber wo diese Kaltluft ankommt, ist unklar?
Exakt. Kommt sie zu weit östlich, bleibt es bei uns eher trocken. Kommt sie zu weit westlich über dem Atlantik, verpufft die Energie dort, und wir bekommen wenig davon ab. Und trifft der Zustrom genau Mitteleuropa, dann bekommen die Nordstaulagen – Arlberg bis Hochschwab – kräftigen Schneefall. Wenn die Kaltluft aber über England Richtung Spanien abbiegt, entstehen Tiefdruckentwicklungen im Mittelmeer. Dann freut sich der Süden, also Italien, Kärnten, Slowenien. Diese exakte Bahn kann man schlicht nicht vorhersagen.
Wie zuverlässig ist denn ein Wetterbericht überhaupt?
In der Regel für etwa drei bis vier Tage recht verlässlich. Aber gerade in Übergangsphasen wird es knifflig. Ein schönes aktuelles Beispiel: Heute ist Dienstag und ich kann nicht sicher sagen, was genau am Freitag passiert. Da steht eine Wetterumstellung an – und die sind am schwierigsten vorherzusagen. Besonders in den Südalpen: Dort entwickeln sich Niederschlag bringende Tiefs oft erst spät und sind noch nicht mal auf Satelliten erkennbar. Große Wettersysteme kann man gut prognostizieren. Kleinräumige Entwicklungen – ob ein Tief 50 oder 100 Kilometer weiter östlich liegt – sind schwer vorherzusagen, machen jedoch enorme Unterschiede für die gesamten Ostalpen.
Man liest immer wieder, dass sich Wettersysteme durch den Klimawandel langsamer bewegen könnten – mit länger andauernden Hitzephasen, aber auch längeren Niederschlagsperioden. Manche Menschen leiten daraus die Hoffnung ab, dass es zumindest punktuell auch länger anhaltende Winterlagen geben könnte. Ist da etwas dran?
Das ist ein sehr komplexes Thema. Zunächst einmal: Ob Wetterlagen tatsächlich langlebiger werden, lässt sich wissenschaftlich noch nicht eindeutig dem Klimawandel zuschreiben. Es gibt physikalische Überlegungen, die dafürsprechen könnten, und wir haben in den vergangenen Jahren durchaus beobachtet, dass bestimmte Systeme länger an Ort und Stelle verharren. Aber ob das ein langfristiger Trend oder eine Laune der Natur ist, ist noch offen.
Was wir sehen, ist Folgendes: Manche Wetterwellen erstrecken sich stärker von Nord nach Süd und ziehen langsamer. Wenn sich dann eine Winterlage einmal etabliert hat, kann sie sich auch wiederholen – die Atmosphäre hat die Tendenz, ähnliche Muster hintereinander abzuspielen. Das erklärt viele historische „Schneewochen“, in denen über einen kurzen Zeitraum extrem viel gefallen ist.
Das heißt aber nicht, dass der Klimawandel zu besseren oder zuverlässigeren Wintern führt. Im Gegenteil: Die Erwärmung macht stabile, schneereiche Winter in tiefen Lagen sogar unwahrscheinlicher. Gleichzeitig kann eine wärmere Atmosphäre mehr Feuchtigkeit aufnehmen – und wenn die Bedingungen in höheren Lagen passen, können dort durchaus sehr intensive Schneefälle auftreten. Unten regnet es dann aber häufiger und stärker. Das ist die Kehrseite.
Kurz gesagt: Der Klimawandel bringt insgesamt mehr Unsicherheit und größere Gegensätze – nicht automatisch mehr Schnee.
Warum sind Regionen wie der Arlberg oder der Dachstein eigentlich klassische „Schneelöcher“?
„Schneeloch“ ist natürlich ein umgangssprachlicher Begriff. Meteorologisch bedeutet es einfach: Eine Region erhält besonders viel Niederschlag. Das sind fast immer Alpenrandregionen. Wenn feuchte Luft auf die Alpen trifft, wird sie gestaut und ausgepresst – wie mit einer Schubraupe. Hinter dem ersten Hindernis nimmt der Niederschlag stark ab.
Typische Schneelöcher sind: Arlberg, Dachstein, das Nassfeld, die Julischen Alpen, Karawanken, Karnische Alpen. Sie liegen hoch genug und exponiert genug. Perfekte Kombi für Schnee.
Du machst selbst viel Wintersport. Was steht in diesem Winter auf deiner Liste?
Mein größter Wunsch: wieder Skitouren direkt vom Tal aus starten. Nicht erst irgendwo auf 1500 Meter fahren zu müssen. Das macht die Anreise kürzer und ist nachhaltiger – das ist mir sehr wichtig. Rund um Villach gibt’s genug schöne Berge.
Ich brauche nicht die höchsten Gipfel für ein großartiges Erlebnis. Ich liebe Touren in den Nockbergen, bei denen man mehrere kleine Gipfel hintereinander mitnimmt – fünfmal anfellen, fünfmal abfellen. Da brauchst du allerdings ein wirklich gutes Fell!
Außerdem würde ich gern eine Durchquerung von Kasern in Südtirol nach Matrei in Osttirol (Haut Tirol) wiederholen, die mir letztes Jahr wetterbedingt ausgefallen ist. Aber grundsätzlich bin ich flexibel: Wenn’s Schnee hat, gehe ich Skitour. Wenn nicht, dann eben nicht. Ich fahre sicher nicht sieben Stunden, nur um irgendwo Schnee zu finden.
Zum Abschluss: Was sagt deine Glaskugel – wie könnte dieser Winter verlaufen?
(lacht) Ich versuche es einmal: Nach dem frühwinterlichen Start Ende November könnte es zu Beginn des Dezembers noch einmal milder werden. Richtung Weihnachten wird es dann interessant. Da könnte aus Süden ein Schub feuchter und aus Norden ein Schwall kühler Luft kommen, der Schneefall auslöst. Und um den 24. Dezember wären erneute Schneefälle in typischen Nordstaulagen gut möglich.
Der Januar könnte eher kühl, aber nicht extrem niederschlagsreich ausfallen – mit immer wieder kleinen Impulsen aus Norden oder manchmal auch vom Mittelmeer her. Nichts Großes, aber doch so, dass viele Regionen zwischendurch brauchbare Bedingungen bekommen – das hat mir zumindest meine Glaskugel erzählt (lacht)
Wer sich weiter über Gerhard Hohenwarters Wetteranalysen, Vorträge und Projekte informieren möchte, findet alle Details auf seiner Website: gerhardhohenwarter.at.
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