Wanderin sitzt  oberhalb eines Sees im Meraner Land
Tempo raus, durchatmen, wahrnehmen: Auch das gehört zu einem erfüllten Tag in den Bergen. Das rechte Maß zwischen Gas geben und entspannen schützt am Berg wie im Alltag vor Stress. Foto: go-images.com / Wolfgang Ehn
Bewegung in den Bergen

Körper – Geist – Seele

Berge sind nicht nur zum Bergsteigen geeignet: Als Schnittpunkte zwischen Himmel und Erde haben sie uns immer schon auch dazu eingeladen, über den Sinn des Lebens nachzudenken oder sich spirituellen Fragen zu widmen. Kein Zweifel: Berge bringen uns vielseitig „in Bewegung“.

Gebirgslandschaften verkörpern durch Vielfalt und Artenreichtum, durch Schönheit und Ästhetik sowie durch Größe und Erhabenheit einen Erlebnisreichtum, der den gesunden Dreiklang zwischen Körper, Geist und Seele anspricht.

Bergmischwälder schenken uns erfrischende Kühle und wunderbare Ruhe. Bunte Almwiesen und sprudelnde Bäche verbreiten Fröhlichkeit und Zuversicht. Wuchtige Felswände versprechen Herausforderungen und Abenteuer. Hochtäler im Frühling sind Landschaften voller Hoffnung. Eine Rundumsicht auf dem Gipfel lädt uns ein, die Welt von oben zu betrachten und mit Abstand vom Alltagsstress den eigenen Horizont wieder zu weiten. Das alles hat Potenzial, den Geist zu beflügeln und sorgenvolle Herzen zu befreien.

In der Fülle dieser grandiosen Schöpfungsräume finden wir Meister der Vitalität und der Agilität, der Anpassung und der Lebenskunst, der Kreativität und der Innovation. Würden wir die Berge nicht nur als „Sportkulisse“, sondern auch als „Lebensschule“ verstehen – wir könnten eine Menge von ihnen lernen.

Buch-Tipp

Weitere Anregungen zur Bewegung in den Bergen gibt Pit Rohwedder in seinem Buch „Ich bin ein Teil der Berge – Plädoyer für eine neue Bergsport- Philosophie“. 2023, € 29,90

Zahlreiche Kunstwerke und technische Erfindungen legen eindrucksvoll Zeugnis dieses Innovationspotenzials zwischen Mensch, Natur und Bergen ab. Der Erlebnis- und Erkenntnisreichtum durch Bergsteigen erschließt sich jedoch nicht vollumfänglich, wenn wir nur im Sport- und Leistungsmodus die Berge rauf- und runterrennen. Im Gegenteil: Durch überzogene Ansprüche einer Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft laufen wir Gefahr, diesen Anspruch und den damit verbundenen Stress ungefiltert in die Berge hineinzutragen. Wer die Berge nur im Eiltempo aufsucht, wird sich kaum vom Reichtum und Zauber dieser Welt berühren oder inspirieren lassen. Wer keinen Abstand vom stressigen, „Getriebenen-Modus“ findet, bleibt eben getrieben. Manchmal ist es erholsamer und erlebnisreicher, einfach nur aufzubrechen – der Weg ist dann das Ziel.

Berge sind keine reine Sportkulisse, sondern ein grandioser Schöpfungsraum. Foto: Wolfgang Ehn

Ein Schlüssel dazu ist der „submaximale Modus". Wer langsam geht, geht eben gut. Und wer gut geht, kommt nicht nur weit, sondern auch gut an.

Submaximales Gehen ...

  • fördert den Ausgleich zum Alltagsstress und stimuliert das Immunsystem.

  • fordert, aber überfordert nicht. So können wir das rhythmische Steigen genießen und unsere Trittsicherheit verbessern.

  • fördert aufmerksame Beobachtung. Dadurch nehmen wir die Natur und auch unseren eigenen Körper besser wahr.

  • fördert den assoziativen Modus des Gehirns. So stimulieren wir unsere Kreativität und Problemlösefähigkeit.

Bergsteigen und Naturbeziehung

Der DAV hat den Slogan „Wir lieben die Berge“ entwickelt. Wie in jeder guten Liebesbeziehung stellt sich die Frage, ob das auch auf Gegenseitigkeit beruht. Lieben uns also die Berge auch? Im Ernst – diese ungewöhnliche Frage kann man schon mal stellen. Doch was würden die Berge zu uns sagen, wenn wir sie fragen könnten? Aufgrund ihres Alters würden sie vermutlich eine längerfristige Perspektive auf die Beziehung Mensch-Berge einnehmen. Sie würden eine Zeit beschreiben, in der die Menschen ein sehr emotionales Verhältnis zur Natur gepflegt haben. Es gab Jahresfeste, in denen das Leben gewürdigt und geschätzt wurde. Es gab dankbare und singende Menschen auf den Feldern oder nach der Jagd. Es gab Ehrfurcht vor dem Leben und Angst vor dem Zorn der Götter. Franz von Assisi warb seinerzeit um ein familiäres Verhältnis zur Natur. Von ihm kennen wir die Anrede „Bruder Wind“, „Schwester Mond“ oder auch „Mutter Erde“.

Die Epoche der Aufklärung, die Vernunftideologie von René Descartes und die Industrialisierung haben die Natur und die Berge dann zu reinen Objekten definiert, die man benutzen, kommerzialisieren und als „seelenlos“ ausverkaufen kann. Und der aktuell hofierte Berg-Leistungssport läuft Gefahr, sie zu simplen Turngeräten, zu reinen Sportplätzen oder Wettkampfstätten zu degradieren. Wie geht es also den Bergen mit uns? Wo stehen wir in unserer Beziehung? Die Antwort darauf ist sicher vielschichtig. Jedenfalls braucht die proklamierte „Liebe zu den Bergen“ eine Bergsport- oder auch Beziehungsphilosophie, die vor allem aus dem Herzen kommt und nicht nur aus dem Verstand oder dem Körper heraus. Eine Philosophie, die Körper, Geist und Seele gleichermaßen integriert, ein Yin und Yang im Bergsport und einen Ausgleich zwischen männlichen und weiblichen Kräften darstellt.

Durchatmen, Schauen, Staunen

Wer neben der sportlichen Betätigung innehalten kann, wer den Augenblick bewusst und achtsam wahrnimmt, wer sich Zeit zum Atmen, zum Schauen und zum Staunen nimmt, dem zeigen die Berge eine großartige Fülle, Ästhetik und Schönheit. Zur Förderung von Regeneration und Ruhe, Erlebnisvielfalt und Gesundheit brauchen wir jedoch nicht mehr Zeug, sondern vor allem eines: mehr Zeit.

Nimm dir Zeit für ...

  • digitales Fasten – es fördert unmittelbares Erleben, statt immer wieder abgelenkt zu werden.

  • Durchatmen und Schweigen – beides fördert Stille und das zur Ruhe kommen.

  • Naturbeobachtung – sie fördert deine Verbundenheit mit Pflanzen, Tieren, Gewässern und Felsen.

  • Schönheit, die sich in der Schöpfung ausbreitet – sie fördert ästhetisches Empfinden und nährt die Seele.

  • Humor, Spaß und Leichtigkeit – sie fördern Unbekümmertheit und fröhliche Gelassenheit.

  • Staunen und Andacht – sie fördern kontemplative Stimmungen und Werte wie Demut oder Ehrfurcht vor dem Leben.

Alltagstransfer

Auch im Alltag verspricht der „submaximale Modus“ eine bessere „Ausdauer“ und einen gelungenen Umgang mit dem Alltagsstress. In der Ruhe liegt eben die Kraft. Sinnbildlich gesehen entspricht das submaximale Gehen einer optimalen Leistungsfähigkeit und nicht dem maximalen Auspowern. Dieses Auspowern hat temporär seine Berechtigung. Zum generellen Arbeits- und Lebenstempo stilisiert, fördert es jedoch maximale Erschöpfung und Burnout. Nur durch einen stimmigen Rhythmus zwischen Anspannung und Entspannung finden wir das „rechte Maß“ und dadurch ein langfristig gesundes Optimum. Schon bei den antiken Philosophen war die Tugend des „Maß- und Mittehaltens“ ein entscheidender Schlüssel zur erfüllenden und gesunden Lebenskunst.

Intelligente Pausen helfen uns dabei, dieses richtige Maß auch im beruflichen Alltag zu finden.

Nimm dir Zeit ...

  • tagsüber regelmäßig kurze Obst-, Saft- oder Frischluftpausen zu machen.

  • deine Mails nur zu definierten Zeiten zu bearbeiten – das fördert Konzentration und Effektivität statt permanenter Ablenkung.

  • die Mittagspause zur vollständigen Erholungspause einzurichten. Wenn du dann ein Nickerchen oder einen kleinen Spaziergang einrichten kannst, dankt es dir dein Gehirn mit mehr Kreativität und mehr mentaler Leistungsbereitschaft.

  • für regenerativen Ausgleich zum Feierabend durch Bewegung, Sport und Spaß – das dient der Gesundheit und der Lebensfreude.

  • dankbar zu sein, dies fördert Gelassenheit und Zufriedenheit.

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