Wanderer auf schmalem Bergweg in den Alpen
Auch bei grauem Wetter lohnt sich der Abstecher ins wunderschöne Ochsenkar, dem Beginn des Gleiwitzer Höhenwegs. Foto: Anne Zeller
Alpenüberquerung Berchtesgaden – Lienz

Still und langsam

„In den Bergen wird die Zeit langsamer, der Moment der Ruhe intensiver und die Eile des Alltags ins Abseits geschickt.“ Dieser Satz aus der Speisekarte der Wangenitzseehütte trifft auf jede der vergleichsweise ruhigen Etappen der Alpenüberquerung zu, die durch die schönsten Gebiete der Ostalpen führt.

Über die Alpen zur Hochzeitsfeier

Eine Hochzeitseinladung aus Lienz – und dafür eine Anreisezeit von vier Stunden? Ganz schön lang für einen Tag feiern. Dann der Geistesblitz: Machen wir es doch ganz anders und laufen hin! Wenige Monate später sitzen wir im Zug nach Berchtesgaden, dem Ausgangspunkt unserer Tour. Beim Umstieg in Freilassing kommt eine Mail vom Kärlingerhaus aufs Handy: Stromausfall, alle Übernachtungsgäste werden gebeten, heute nicht anzureisen. Oha, das geht gut los! Wir breiten Kartenblatt BY21 aus und suchen nach alternativen Hütten, nur leider sind alle erreichbaren Ziele schon voll. Wir schreiben dem Hüttenteam vom Kärlingerhaus zurück: Ob wir trotzdem kommen könnten, wenn wir uns selbst versorgen? Die Antwort kommt postwendend zurück: Ja! Per Bus geht es zum Königssee, weiter mit dem Boot nach St. Bartholomä und dann mit eigener Muskelkraft die (sau-)steile Saugasse bergauf. Der erste Hüttenabend überrascht mit warmem Essen und Licht, der Stromausfall ist mittlerweile behoben.

Das Riemannhaus bietet einen willkommenen Einkehrschwung vor den 1400 Höhenmetern bergab nach Maria Alm. Foto: Anne Zeller

Trocken starten wir in eine landschaftlich ganz besondere zweite Etappe über das unendlich erscheinende Plateau des Steinernen Meers zum Riemannhaus. Herumwabernde Wolkenfelder setzen die Landschaft gekonnt in Szene, aufgehellt von grell leuchtenden Farbtupfern – Blumen, die selbst in dieser Steinwüste überleben. Am Riemannhaus kehren wir kurz auf eine Hollerschorle und einen Kaffee ein, bevor es die insgesamt 1400 Höhenmeter hinab nach Maria Alm geht. Ein knallblauer Himmel ohne eine einzige schattenspendende Wolke und ein Traumpanorama erwarten uns am folgenden Tag: Rechts blitzen die hohen Berge der Glockner- und Venedigergruppe hinter den grasgrünen Dientener Bergen hervor. Links der majestätische Felsklotz des Steinernen Meers und an dessen Ende der Hochkönig. Unser Ziel, das Statzerhaus, ist den ganzen Weg über sichtbar, thront es doch äußerst markant auf dem Gipfel des Hundsteins. Erneut satte 1400 Höhenmeter Abstieg warten gleich zu Beginn der nächsten Etappe, der Tag beginnt mit dicken Nebelschwaden. Nur eine Panoramatafel an der Hütte zeigt, was wir sehen könnten … So geht es Meter um Meter hinab nach Bruck, dem heutigen Ziel und Beginn der Großglockner Hochalpenstraße.

Rechts blitzen die hohen Berge der Glockner- und Venedigergruppe hinter den grasgrünen Dientener Bergen hervor.

Der Wetterbericht sagt Regen und Gewitter an, daher starten wir früh und weichen von der üblichen Route Richtung Gleiwitzer Hütte ab, um mit dem Hohen Tenn einen lohnenden Dreitausender mitzunehmen. Kurz vor der Hütte hört es auf zu regnen und der Himmel reißt aus dem Nichts wie ein Vorhang auf. Den restlichen Tag widmen wir den Back- und Kochkünsten von Hüttenwirtin Antje und beschließen, dass die Gleiwitzer Hütte unsere Lieblingshütte wird. Abends versorgt uns Antje mit aktuellen Infos zu Wetter und Verhältnissen auf dem Weg zum Hohen Tenn (3368 m). Beides verheißt nichts Gutes: Es soll wieder kräftig regnen und in der Unteren Jägerscharte noch ziemlich viel Schnee liegen.

Tatsächlich ist der Blick aus dem Hüttenfenster am nächsten Morgen grau und nass. Wir begraben unser Gipfelziel, wollen aber zumindest den Weg dorthin erkunden. Schließlich beginnt hier der Gleiwitzer Höhenweg, der laut Reinhold Messner zu den schönsten Höhenwegen der Alpen zählt. Unzählige Edelweiße, pfeifende Murmeltiere – und ein Restschneefeld, das unsere kleine Erkundungstour abrupt beendet. Ohne Steigeisen geht’s hier nicht weiter. Wir kehren um und gehen als Ersatztour auf den Rettenzink, einen der Gipfel in Hüttennähe. Erneut begleitet uns eine mystische Nebelstimmung, aufgepeppt durch gelbe, weiße, rosafarbene Farbtupfer verschiedener Pflanzen, die hier auf über zweitausend Metern der Witterung trotzen. Abends steigt eine Gruppe der hüttenbesitzenden Sektion Tittmoning auf. Am nächsten Tag wollen sie mit einem örtlichen Bergführer ein Seil in die Untere Jägerscharte legen – das wäre unsere Chance gewesen, leider einen Tag zu spät. Egal, wir kommen wieder!

Auf und ab auch beim Wetter

Für die nächste Etappe beschert uns Petrus einen Traumtag mit blauem Himmel. Leider ist der Abzweiger zum Fuscher Höhenweg gesperrt, so dass wir bis ganz hinunter in den Ort Fusch, ein Stück entlang der (Glockner-)Straße und danach wieder aufsteigen müssen. Ab dann geht es immer eine Etage oberhalb der Straße bis nach Ferleiten und zur Trauneralm. Das 1890 als Nobelgasthof erbaute Haus hat nichts von seinem Charme aus diesen Tagen verloren: Wir fühlen uns, als wäre die Zeit stehen geblieben.

Und wieder startet ein Tag mit einem unsicheren Wetterbericht. Dabei bräuchten wir gerade für die heutige Etappe stabiles Wetter und vor allem gute Sicht. Denn die Route führt über die 2663 Meter hohe Untere Pfandlscharte und auf dem spaltenfreien Pfandlschartenkees kann man sich bei Nebel leicht verirren. Also abwarten, Wetter checken, abwarten. Um halb eins laufen wir schließlich bei leichtem Nieseln los. Auf rund 2300 Metern ist die Sicht dürftig. Wir werfen zum gefühlt hundertsten Mal einen Blick auf die Wetter-App und auf den Track in der digitalen Karte, als der Himmel etwas aufreißt und einen vagen Blick in Richtung Scharte freigibt. Eine verloren gegangene neonfarbene Rucksackregenhülle weist dankenswerterweise den Weg. Wir nutzen das „Sichtfenster“ und gehen zügig weiter, das steile Schneefeld können wir auf einer Mure umgehen. Oben angekommen sehen wir – nichts. Der Weiterweg zum Glocknerhaus ist trotzdem gut zu finden.

Der Großglockner grüßt und ein Schild erinnert uns daran, dass wir in der Kernzone des Nationalparks Hohe Tauern wandern.

Tags darauf grüßt schon nach wenigen Minuten ein unübersehbarer, markanter Felszacken – der Großglockner. Nur ein Stückchen weiter erinnert uns ein Schild daran, dass wir mittlerweile in der Kernzone des Nationalparks Hohe Tauern wandern. Mit Eintritt in die einsame, ursprüngliche, fast wilde Schobergruppe wird die Landschaft mit einem Schlag noch eindrücklicher. Auf der Elberfelder Hütte sind nur wenige Gäste, damit bleibt Zeit für einen Ratsch mit Hüttenwirt Herbert Mayerhofer (der die Hütte mittlerweile an seinen Sohn Lucas Zipper übergeben hat). Er warnt uns vor dem angesagten schlechten Wetter für den nächsten Tag und rät ob des 2737 Meter hohen Übergangs über die Gößnitzscharte zu einem frühen Aufbruch. Zum Start wölkt der Himmel motivationslos vor sich hin, lässt sogar kurz die Sonne durchblitzen. Wofür sind wir so früh aufgestanden? Damit wir ohne Probleme über die Gößnitzscharte kommen, den höchsten Punkt unserer Tour, und damit wir auf der Lienzer Hütte eine Topfenstrudelpause einlegen können! Danach wartet ein anstrengender Gegenanstieg auf schmalen, steilen Wegen hinauf zur Wangenitzseehütte. Mit jedem Meter nach oben wird es ein Stück kälter und die Sicht schlechter. Nur die leuchtend orangen Bojen an der Materialseilbahn weisen darauf hin, dass wir dem Ziel nahe sind. Und wenige Minuten später sitzen wir mit zwei Tassen Kakao am wohlig warmen Kachelofen der Hütte. Über Nacht hat es gegraupelt. Der Wangenitzsee und der daneben gelegene Kreuzsee liegen pechschwarz unter einer grauen Wolkendecke, es herrscht eine einzigartige Stimmung auf diesem Abschnitt des wunderschönen Wiener Höhenweges. Riesige Flächen mit rosa leuchtendem Almrausch stechen fotogen aus den Nebelschwaden hervor. Unser letztes Hüttenziel, die Winklerner Hütte, ist passend zur Schobergruppe, einer der kleinsten Gebirgsgruppen der Ostalpen, ebenfalls klein und fein.

Auf schmalen Wegen geht es hinauf zur Wangenitzseehütte. Foto: Anne Zeller

An Tag zwölf steigen wir ein letztes Mal in die Bergstiefel. Wir laufen los und haben bald das volle Panorama der Lienzer Dolomiten vor uns, breit wie eine Kinowand. Da unten liegt es, unser Ziel: die Stadt Lienz, der wirtschaftliche, kulturelle und soziale Mittelpunkt Osttirols. Wir laufen durch Iselsberg und entlang der mächtigen Drau ins Herz der Stadt. Einen Tag vor der Hochzeit gönnen wir uns ein Wellnesshotel mit Pool und Sauna, während die Wanderschuhe auf der Zimmerterrasse ausdampfen.

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