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Adam Ondra wiederholt die Dawn Wall

23.11.2016, 16:50 Uhr

Mit der ersten Wiederholung der wohl schwersten Bigwall-Freikletterei der Welt setzte der tschechische Kletterstar Adam Ondra (23) einen weiteren Markstein, der seine Rolle als einer der inspirierendsten Kletterer unserer Tage beweist.


„Ist er der größte Kletterer zur Zeit? Ganz klar!“ jubelte der Kommentator des IFSC-Livestreams, als Ondra im September überlegen mit einer Top-Begehung die Lead-Weltmeisterschaft in Paris gewann – ohne in diesem Jahr einen einzigen Weltcup mitgemacht zu haben. Er war statt dessen in „seiner“ Grotte in Flatanger in Norwegen mit einem Projekt beschäftigt, das vielleicht die erste 9c werden könnte, die weltweit erste Route im glatten zwölften Grad. Bei der Weltmeisterschaft fehlte ihm übrigens nicht viel zur Wiederholung seines „Double“ von 2014: Im Bouldern musste er sich nur knapp geschlagen geben, weil er ein paar mehr Versuche als der Sieger Tomoa Narasaki (JAP) gebraucht hatte. Nun hat das hochintelligente Bewegungswunder Ondra seine Sonderklasse unterstrichen: mit einer Leistung, die zu den bedeutendsten des Jahres 2016 gehören dürfte. In acht Tagen gelang ihm die zweite Begehung der „Dawn Wall“ (750 m, 32 SL, XI) am El Capitan im Yosemite Valley. 

 

Ondras erster "echter" Bigwall

Vorher hatte er in insgesamt gut vier Wochen die Route von unten durchstiegen (teils frei, teils technisch), mit Fixseilen ausgestattet und dann die einzelnen Seillängen ausgebouldert. Am 14.11. startete er zum Durchstieg, kletterte täglich einige Seillängen, legte insgesamt zwei Ruhetage ein und stieg am 21.11. aus. Damit ist er der erste Mensch, der die Route komplett vorgestiegen hat; die amerikanischen Erstbegeher Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson hatten jeder die allerschwersten Längen vorgestiegen, einige der „leichteren“ Längen aber nur im Toprope geklettert. Sieben Jahre hatten sie an ihrem Projekt gearbeitet, der neunzehntägige Durchstieg wurde intensiv medial begleitet und Präsident Obama gratulierte ihnen zum Erfolg.

Ondra hat zwar unter anderem mit „WoGü“ und „Tough Enough“ (jeweils X+/XI-) schon Mehrseillängenrouten begangen (die übrigens zu den schwersten der Welt gehören) – die Dawn Wall war aber sein erster „echter“ Bigwall im Yosemite. Ein Erlebnis, das er so beschrieb: „Definitiv furchterregend und abenteuerlich. Winzige Tritte und wacklige Züge, die Füße rutschen auf den glasigen Tritten des Yosemite-Granits und das alles gesichert mit Copperheads, Peckers, kleinen Friends und gelegentlich mal einem Bohrhaken.“ 

 

Für seinen Sicherungspartner Pavel Blazek war es die erste Mehrseillängentour überhaupt. Erschwerend kam dazu, dass wegen des wechselhaften Wetters manche Passagen nass waren, andererseits in der Sonne die rasiermesserschmalen und -scharfen Griffe die Haut malträtierten, so dass Ondra oft bei Nacht mit Stirnlampe klettern musste.

 

Einen ungefähren Eindruck von der Belastung geben Auszüge aus Ondras Dokumentation vom zweiten Klettertag, mit den Seillängen 10 (X+ oder X+/XI-), 11 (X), 12 (X+/XI-), 13 (X-): „(SL 10:) Piazen, die Füße schmieren auf Nichts (manchmal nassem Nichts)“; den Stand schon auf Augenhöhe rutscht er vom Tritt. Im zweiten Versuch ist er „höllisch nervös, ziemlich mies geklettert, aber Entschlossenheit war stärker.“ Die zwölfte Seillänge (X+/XI-), eine der schwersten der Route, „ist mir nie sonderlich schwer gefallen“. Der erste Versuch scheitert zwei Meter vor dem Stand, weil ein Kristall ausbricht. Beim zweiten Versuch rutscht er an der gleichen Stelle, beim dritten Versuch im Boulderproblem weiter unten. Der Druck wächst, aber er kann sich voll fokussieren und der Durchstieg gelingt. Sein Fazit: „Fünfmal 8c (X+/XI-): „kein schlechter Tag am Felsen“ … ein „ziemlich gutes Training“. Am nächsten Tag hatte er acht Fehlversuche in der schwierigsten Seillänge 14 (XI) – doch Haut und Motivation hielten durch und tags drauf stieg er die Länge und auch gleich die folgende (XI-/XI), die zweitschwerste der Route.

 

Die Komplexität ist "schockierend"

Der Erstbegeher Tommy Caldwell äußerte sich gegenüber National Geographic bewundernd: „Es ist beeindruckend … wie schnell er sich an den El Cap gewöhnt hat.“ Ondra dagegen gibt sich bescheiden: „Ich bin mit der gesamten Information angekommen; alles was ich tun musste war klettern.“ 

Vor dem Durchstiegsversuch schrieb er allerdings: „Die Komplexität und Schwierigkeit der ganzen Route ist schlicht schockierend für mich. Vielleicht war ich zu optimistisch, aber ich hatte es mir definitiv leichter vorgestellt. Jede Seillänge ist so raffiniert und hart … Hut ab vor Tommy und Kevin, die daran geglaubt hatten, dass die Route möglich ist, bevor sie sie frei kletterten. Ohne Infos sehen manche Sektionen einfach unmöglich aus … ich bin demütig und beeindruckt gegenüber Tommys und Kevins Leistung!“

 

Ein Tag Auszeit in der "Nose"

Adam wäre aber nicht Ondra, wenn er eingleisig unterwegs wäre: Während einer Ruhephase beim Erschließen der Route nahm er sich einen Tag Auszeit und startete mit seinem Vater zu einem Eintages-Rotpunktversuch im Ultraklassiker „Nose“ (900 m, X). Sie starteten in der Dämmerung, er kletterte onsight bis zum „Great Roof“, stürzte bei einem „guten“ Flashversuch, checkte die Stelle nochmal aus. Ohne Rast startete er zuversichtlich zum zweiten Versuch, aber die Füße waren müde und zittrig; ein dritter Versuch scheiterte am Ende des Quergangs. Dann schalteten sie auf Durchstiegsmodus, und bis auf die „Changing Corners“ stieg Adam alles onsight; nach 17 Stunden standen sie um Mitternacht am Ausstieg, fanden den Abstieg nicht und mussten ein kaltes und nasses Biwak durchsitzen. „A big day out.“