Alexandra David-Neel: Briefe aus Tibet
Reisebericht/Lesebuch
09.05.2019, 12:46 Uhr
Die ungewöhnliche Reise einer starken Frau in die verbotene Stadt – beschrieben aus ihrer eigenen Live-Perspektive. So wird eine Legende lebendig und greifbar.
„Würde man mir eine Million bieten, damit ich das Abenteuer unter denselben Bedingungen wiederhole, dann würde ich wohl ablehnen.“ So schreibt Alexandra David-Néel (1868-1969) über ihren dreijährigen Fußmarsch, der sie, gemeinsam mit einem jungen Mönch, als wohl erste weiße Frau ins verbotene Lhasa führte und quasi zu einer französischen Nationalheldin machte. In „Mein Weg durch Himmel und Höllen“ hat sie die legendäre Reise beschrieben, nun liegen ihre Briefe vor, in denen sie ihrem Mann von unterwegs berichtet. In klaren, meist nüchternen Worten, aber mit einer Prise Humor und genau beobachtet. Sie berichtet freizügig von ihrem rigorosen Umgang mit den „Wilden“, von der Angst vor Räubern, von Krankheit, Kälte und Mühsal – und legt damit eindrucksvoll Zeugnis ab, „was der Wille einer Frau vermag.“
Politik auf handfeste Art
„Der Tod kommt vorbei, nimmt sich ein hübsches kleines Geschöpf voller Jugend, Intelligenz und Lebensfreude und verwandelt es in diese starre, kalte Sache, die wir im Sand vergraben haben. Um dort zu enden, werden wir geboren, deshalb zeugen die Idioten Kinder … Der schaurige Albtraum des Daseins! … Wie recht die Buddhas haben; nur eines ist wirklich wichtig: dem bösen Traum zu entrinnen.“
Ist es Lebens-/Leidens-Überdruss, was aus diesen Zeilen zum Tod ihres Hundes spricht? Alexandra David-Neel kämpft mit Soldaten und Banditen sehr wohl um ihr Leben, ihre Habe und Gesundheit. Aber ihr buddhistischer Glaube verschafft ihr auch die Gelassenheit, um Plagen und Widrigkeiten zu überstehen. Als geweihter Lama sind sie und ihr Begleiter, der junge Lama Aphur Yongden, in vielen Orten gern gesehen und verehrt. Aber Wetter und Banditen kümmern sich nicht um ihren religiösen Status, und für unberechtigtes Eindringen in die verbotene Stadt Lhasa muss man mit schlimmen Folgen rechnen.
Ihr Mann finanzierte ihre Reisen, der wesentliche Kontakt zwischen den beiden bestand in den Briefen, die sie ihm in unregelmäßigen Abständen schickte. In einfacher, klarer und sehr anschaulicher Sprache schildert sie ihre Erlebnisse: wilde Landschaften, fremde Kultur, kritische Begegnungen. Immer wieder gerät sie in Konflikte mit halsstarrigen Beamten oder habgierigen Provinzfürsten, die sie mit allen politischen Mitteln löst – bis hin zum Schlägern mit ihrem Wanderstab.
Wer immer nur freundlich bitte sagt, kommt nicht in die verbotene Stadt. So entsteht, obwohl sich einige der Szenen ähneln und man nicht gerade hungrig Seite um Seite verschlingt, das Bild einer selbständigen Frau, die ihren Weg zu gehen weiß.
Kurzcheck
Info
Besonders geeignet für … Tibetfreundinnen, Geschichtsinteressierte, Feministen
Alexandra David-Neel: Mein langer Weg in die verbotene Stadt – Briefe aus Tibet, Edition Erdmann, 2018, 192 S., 20 Euro