Expedkader Frauen 2024-2026

Der neue Frauen-Expeditionskader. V.l.n.r.: Kristin Hinkelmann, Katharina Huber, Fenja Köchl, Vera Bakker, Steffi Feistl, Anna Gomeringer, liegend: Raphaela Haug und Dörte Pietron. Foto: DAV/Philipp Abels

Ein Team fürs Alpine

Ein „starkes, allround-alpinistisch orientiertes“ Team haben die Trainerinnen Dörte Pietron und Raphaela Haug für den nächsten DAV-Expedkader der Frauen ausgewählt – obwohl Wetter und Verhältnisse die Sichtungscamps nicht gerade begünstigten.

„Die Verhältnisse haben es uns nicht leicht gemacht. Aber wir hatten super Bewerberinnen, deren Profil quasi die Richtung vorgegeben hat – und jetzt steht ein starkes Team“, so fasst Dörte Pietron, Cheftrainerin des DAV-Frauen-Expedkaders, die Erlebnisse der zwei Sichtungscamps zusammen. Sie und Raphaela Haug (Kader 2019) als Co-Trainerin werden in den nächsten zwei Jahren dieses neue Team noch fitter machen für große alpine (und außeralpine) Ziele:

Überschattet wird der Start des Kaders vom tödlichen Unfall des ehemaligen Expedkader-Mitglieds Martin Feistl.

Starke Bewerberinnen, schwierige Verhältnisse

Doch der Reihe nach: „Ich glaube, die ZDF-Dokumentation hat dem Expedkader noch einen zusätzlichen Schub gegeben“, erinnert sich Dörte: Vier Folgen zum Frauenteam 2023 waren ausgestrahlt worden – und rund 50 Bewerbungen für die zwei Sichtungscamps waren eingegangen. Starke Kletterinnen mit Wettkampferfahrung darunter, aber auch viele, die trotz ihrer jungen Jahre schon ein stattliches „alpines“ Tourenbuch vorzuweisen hatten. „Die Auswahl ist uns nicht leicht gefallen“, sagt Dörte, „aber wir konnten gleich einen alpineren Schwerpunkt setzen.“ Angesichts des starken Feldes erweiterte der DAV die Teilnehmerzahl auf 15 Frauen – die Standorte am Südrand Deutschlands statt in Chamonix machten es möglich.

Das Winter-Sichtungscamp fand im Jufa Familienresort in Kempten statt; die Leiterinnen Dörte und Raphaela wurden durch Daniel Gebel (Kader 2006), Jana Möhrer (Kader 2019) und Chrissi Huber (Kader 2013) unterstützt. Und sie hatten es nicht einfach, denn Ende Februar war vom ohnehin mageren Eis dieses Winters nicht mehr viel übrig. „Es war teilweise etwas heikel in den Touren“, erinnert sich Steffi Feistl, „dennoch war die Tourenauswahl … passend, also fordernd und nicht überfordernd.“ Um wenigstens ein bisschen Wasserfalleis unter die Geräte zu bekommen, fuhr jeweils die halbe Gruppe für je einen Tag ins schweizerische Averstal – „nahezu grenzwertig“, erinnert sich Dörte an mäßigen Eisaufbau und abbrechende Zapfen. Doch für die Ausbildung in Eistechnik, Schraubensetzen, Standplatzbau und Seilschaftswechsel waren die Ausflüge genau so wichtig wie für die Aspirantinnen, die ihr Können in dieser immer rarer werdenden Materie Wassereis beweisen konnten.

Der Schwerpunkt des Wintercamps lag aber – mit bedingt durch die Verhältnisse – im alpinen und Mixedklettern. Es gab einen Tag in der Starzlachklamm mit Ausbildungsstationen zu mobilem Standplatzbau und Drytooling sowie einem Berglauf auf Zeit. Meistens aber stiegen die wechselnden Teams ins „Gelände“: Eine VI+-Gratkletterei am Sorgschrofen mit Bergschuhen stand auf dem Programm, moderne Mixedrouten in der Rubihorn-Nordwand wie „Ruby Tuesday“ (M6+), „Rubi Love“ (M7) und „Carpe Diem“ (M5+). Und Raphaela Haug vergnügte sich dreimal am 12-Apostel-Grat am Säuling: mit weicher Schneeauflage ein gutes Testgelände für sicheres Bewegen im alpinen Gelände und für effizientes Seilhandling.

Ein letzter Tag führte die Bewerberinnen in die Kletterhalle Kempten, wo sie sich im Onsight- oder Flash-Modus unter Videobeobachtung in schwierige Klettereien stürzen konnten; zusätzlich waren draußen Drytooling-Routen geschraubt und die Ausbilder*innen beantworteten alle möglichen Fragen zum Thema Ausrüstung. Es ist gute Tradition der Kader-Sichtungscamps, dass es nicht nur um harte Bewährung geht, sondern dass alle Teilnehmenden intensive Ausbildungsimpulse mitnehmen können; „das fanden alle super; sie sagen, dass es ihnen viel gebracht hat“, berichtet Dörte.

Auch eine wichtige Kunst im Alpinismus: die Tourenplanung. Foto: DAV/Philipp Abels

„Sommercamp“ mit Neuschnee

Was es im Wintercamp zu wenig an Schnee und Kälte gab, war im „Sommercamp“ zu viel. Mit gemischten Gefühlen waren Dörte und Raphaela, wieder unterstützt von Daniel Gebel und Jana Möhrer, mit ihren 15 Aspirantinnen Anfang Mai nach Mittenwald gefahren. Denn kurz zuvor hatte es in höheren Lagen nochmal viel Neuschnee gegeben, und die Wettervorhersage war auch nicht gerade brillant. Doch aus mittelmäßigen Voraussetzungen das Beste rauszuholen, ist auch eine wichtige Kunst im Alpinismus – und das gelang den Trainerinnen überzeugend. Drei Vierer- und ein Dreierteam plus jeweils eine Ausbilderin konnten jeweils zwei größere alpine Routen absolvieren, bei einem Tag in Niederthai (Ötztal) wurde der 7b-Riss „Le Miracle“ mit mobilen Geräten abgesichert, dazu gab es einen Ausbildungstag bei Nieselregen an der „Chinesischen Mauer".

Der erste Alpin-Tag führte zwei Gruppen in Sportklettergelände mit „Tiramisu“ (200 m, VIII+) an der Martinswand und „Terrakottas Fluch“ (190 m, IX-) an der „Chinesischen Mauer". Raphaela startete mit ihrer Gruppe in die Longline „Herzschlag der Leidenschaft“ (1100 m, VII A0 oder VIII+) am Sonnjoch im Karwendel, wählte wegen des unsicheren Wetters den „Notausstieg“ und erlebte auf diesem, durch steile Schrofen steigend, „fast ein bisschen alpines Abenteuer“. Immerhin schaffte es die Gruppe rechtzeitig zurück zum Abendessen – anders als das Team, das den berüchtigten „Bachmannpfeiler“ (400 m, VI+) am Hechenberg über dem Inntal unter die Kletterpatschen genommen hatte.

Für den zweiten Klettertag stapften die Frauen durchs verschneite Puittal zur Schüsselkar-Südwand, wo Raphaelas Seilschaften in der komplett nassen „Südostwand“ („Peters-Haringer“, 400 m, VII-) wieder die alpinste Karte gezogen hatte; die anderen Teams hatten in „Mon Cheri“ (170 m, VIII-) und „Zwischenhoch“ (190 m, IX-/IX) trockeneren Fels und mehr Bohrhaken – und Dörte checkte nochmal mit den Ambitionierteren die harten Züge in „Tiramisu“. Dass die Routenauswahl trotz der suboptimalen Rahmenbedingungen gelungen war, bestätigt Katharina Huber: „ Ich wurde bei beiden Sichtungen für Touren zugeteilt, vor denen ich großen Respekt hatte und die ich mir selbst nicht zugetraut hätte. Gemeinsam mit der jeweiligen Seilpartnerin und einer von den Trainerinnen war die Motivation dann aber groß, es wenigstens zu probieren. Ich durfte dann beides mal feststellen, dass ich in den Touren zwar gefordert, aber nicht überfordert wurde. Das hat richtig Spaß gemacht.“

Eine „gute Balance zwischen Herausforderung auf Tour und Ausbildung“ empfand Kristin Hinkelmann – auch beim zweiten Camp gehörte ein Trainingstag zum Programm. An der „Chinesischen Mauer" gab es dafür unterschiedliche Stationen: An einer wurden Standplätze an Normalhaken eingerichtet, beurteilt und mit Auszugsversuchen getestet – eine gute Sensibilisierung dafür, was mit diesen „klassischen“ Sicherungen machbar ist. Das andere Extrem, moderne Sicherungsmethoden in alpinen Sportklettereien, wurde auch mit einer Kraftmesszelle ausprobiert: Wie kann man mit Halbautomaten am Standplatz Stürze „weich“ sichern, welche Optionen bieten dynamische Geräte oder die Methode mit der „Sensorhand“? Und in Gruppenarbeit – mit nur der notwendigsten Unterstützung durch die Trainerinnen – galt es, verschiedene Bergrettungsszenarien zu lösen: das Hochbringen einer nach Sturz verletzten Vorsteigerin zum Stand; das Abseilen mit ihr über einen fallenden Quergang; und das Ablassen mit Seilverlängerung inklusive Abseilen über den Seilverbindungsknoten. Denn „selbst ist die Frau“, und auf Expedition kann man sich nicht auf die organisierte Bergrettung verlassen. „Ich habe noch nie in so wenigen Tagen so viel dazugelernt“, schwärmt Fenja Köchl.

Nicht nur klettern - auch richtig sichern will geübt sein. Foto: DAV/Philipp Abels

Ein starkes Team für schöne Ziele

Auch die Trainerinnen waren von Anfang an begeistert vom Niveau der Bewerberinnen, wenn auch „ein bisschen gestresst“ (Raphaela Haug) angesichts der Aufgabe, aus 15 richtig starken Frauen ein Team von nur sechs auszuwählen. Nun aber, so Raphaela, „haben wir ein super Team, starke alpinistische Allrounderinnen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, so dass die Mädels viel voneinander lernen können.“ Sie selbst freut sich auf die Aufgabe als Cotrainerin: „Ich darf noch sehr viel lernen und von Dörte profitieren“ – während für Dörte, die bisher die Kader-Verantwortung meist als Einzelkämpferin zu schultern hatte, die Belastung etwas reduziert wird; ein gutes und bewährtes Konzept.

Bewährt hat sich auch die Aufteilung des Sichtungscamps auf zwei Termine in den Nordalpen, nicht nur weil die Standorte emissionsärmer zu erreichen waren. Denn in der Zeit zwischen den Camps vernetzten sich die 15 Teilnehmerinnen und haben auch private Touren gemeinsam unternommen – ein Netzwerk, das wachsen wird, auch wenn jetzt nur noch sechs Frauen im eigentlichen Kader sind. So wie es Vera Bakker beschreibt: „Wir waren jeden Tag in unterschiedlichen Konstellationen unterwegs und haben uns dadurch sehr gut kennengelernt und Freundschaften knüpfen können, wodurch man auch für die nächsten Jahre motivierte Tourenpartnerinnen gefunden hat.“ Denn starke Partnerinnen kann man immer brauchen, wenn man eine gute Zeit am Berg verbringen will. Die hatten die Mädels auch bei den Sichtungen, wie Steffi Feistl schreibt: „Die Stimmung innerhalb der gesamten Gruppe und auf Tour war immer sehr gut, es gab kein Konkurrenzdenken oder ähnliches. So gab es auch den ein oder anderen Purzelbaum im Schnee aus reinem Spaß und Freude nach einer genial ausgewählten Tour.“

Gemeinsam stark: im Kader steht Zusammenhalt im Vordergrund. Foto: DAV/Philipp Abels

Nach den Camps ist vor den Camps

So kann es nun weitergehen. „Wir haben jetzt eine Gruppe mit verschiedenen Stärken, da können wir viel voneinander lernen. Ich freue mich auf eine umfangreiche alpinistische Ausbildung“, urteilt Kristin Hinkelmann; eine Aussage, die die meisten im Team ähnlich formulieren. Kathi Huber hat „richtig Lust, Neues zu lernen und die bisherigen Fähigkeiten auszubauen. Ich freu mich drauf, über mich hinauszuwachsen.“ Fenja Köchl wünscht sich von der Kaderzeit, „gemeinsam an seine Grenzen zu gehen und sie zu verschieben.“ Vera Bakker möchte „gemeinsam Erfahrungen sammeln und als Team zusammenwachsen.“ Und Anna Gomeringer möchte „eine gute Zeit mit den anderen Mädels haben!“

Direkt nach der Bekanntgabe des Sichtungs-Ergebnisses setzte sich das neue Team zusammen, um das erste gemeinsame Jahr grob zu planen. Zwei Termine stehen schon: im August im Allgäu mit viel Hintergrund-Input zur Sicherungstechnik und zum Training (durch den Nationaltrainer Maxi Klaus), im September dann ein Treffen mit ähnlichen Kaderteams aus Österreich, Südtirol und der Schweiz in Meiringen.

Wir wünschen dem neuen Team und ihren Trainerinnen alles Gute für die gemeinsame Zeit und eine ebenso glückliche Hand bei Tourenauswahl und -durchführung wie beim sommerlichen Wintercamp und beim winterlichen Sommercamp.

Der DAV-Expedkader wird unterstützt von Mountain Equipment, Edelrid und Katadyn. Herzlichen Dank für die langjährigen Partnerschaften!

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