Kritik an Aufweichung des Tiroler Seilbahn- und Skigebiets­programms

Ski-Infrastruktur am Gepatschferner im Kaunertal. Foto: DAV/Franz Güntner

Zu Beginn mit der ersten Fassung 2005 war das Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramm (TSSP) tatsächlich ein ernstzunehmendes Raumordnungsprogramm mit einem Verbot von Neuerschließungen außerhalb der definierten Skigebietsgrenzen. Doch schon sehr bald kamen mit jeder Neuauflage gravierende Erleichterungen und Sonderregelungen, welche das Programm immer weiter verwässerten.

Die derzeit gültige Verordnung läuft nun mit Ende des Jahres 2024 aus – anlässlich der Neuauflage kritisieren Umweltverbände und die Alpenvereine in Österreich und Deutschland, dass im Programm nach wie vor keine fixen Endausbaugrenzen für Skigebiete festgelegt sind sowie das Neuerschließungsverbot und der Gletscherschutz durch Ausnahmeregelungen ausgehöhlt werden. Dabei geht es den Alpenvereinen nicht darum, die Weiterentwicklung von Skigebieten zu verhindern - die darf aber nicht auf Kosten unerschlossener Naturräume gehen. 

Hauptkritik der Alpenvereine

  • Neuerschließungsverbot und Gletscherschutz werden weiterhin durch umfassende Ausnahmeregelungen umgangen

  • Das TSSP sieht nach wie vor keine fixen Endausbaugrenzen für Skigebiete vor

  • Daher ist das TSSP kein zeitgemäßes Instrument zur Regulierung der skitouristischen Erschließung in Tirol

  • Unsere zentrale Forderung: fixe Ausbaugrenzen etablieren und Wiederherstellung des ausnahmslosen Gletscherschutzes

  • Die Alpenvereine fordern daher eine grundlegende Überarbeitung des TSSP und ein geregeltes Verfahren mit Einbezug der in Österreich anerkannten Naturschutzorganisationen

Was beinhaltet das Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramm?

Ähnlich wie der Alpenplan im bayerischen Alpenraum soll das TSSP unmissverständlich regeln, unter welchen Bedingungen bzw. in welchen Gebieten ski- und seilbahntechnisch Erschließungen in Zukunft genehmigungsfähig sind und wo Neuerschließungen grundsätzlich verboten sind.

Das TSSP ist schon lange kein zeitgemäßes Programm für eine nachhaltige Entwicklung des Alpenraums mehr. Während z.B. die EU die Wiederherstellung und Neuausweisung hochwertiger Schutzgebiete von den Mitgliedsstaaten fordert, um der Biodiversitätskrise entgegenzuwirken, können im am dichtesten mit Seilbahnen erschlossenen Gebirgsraum der Welt weiter unerschlossene und hochwertige alpine Räume verbaut werden.
- Dr. Tobias Hipp, DAV-Experte für Naturschutzverfahren, Klimawandel und Gletscher

Im Laufe der Jahre wurde das Programm immer weiter verwässert: So wird 2011 das grundsätzliche Verbot von Neuerschließungen gelockert, der Kern des TSSP: Erweiterungen, die nur eine unerschlossene Geländekammer beanspruchen, sind auch außerhalb der fixen Skigebietsgrenzen plötzlich möglich und fallen nicht mehr unter das Neuerschließungsverbot. Obendrauf wurden im „Gletscherschutzprogramm“ große Gletscherflächen für Erweiterungsvorhaben freigegeben. Und auch 2018 kam es zu einer erneuten Verwässerung: Seitdem dürfen auch große Seilbahnen in Tallagen gebaut werden, wenn die Talstation in den Siedlungsräumen Imst, Innsbruck, Lienz, Kitzbühel, Kufstein, Schwaz oder Wörgl liegen.

Was ändert sich in der neuen Fassung?

Es ändert sich in der neuen vorgeschlagenen Fassung nicht sehr viel. Positiv ist also, dass das TSSP nicht noch weiter aufgeweicht wird. Gleichzeitig bleiben aber alle Ausnahmeregelungen bestehen, die in Tirol weiter Tür und Angel öffnen für großflächige Neuerschließungen in völlig unberührten und naturbelassenen Räume. In Zeiten von Klima- und Biodiversitätskrise ist dies kein zeitgemäßes Programm für eine nachhaltige Entwicklung des Alpenraums.

Wird das Programm so fortgeschrieben, werden wir Naturschutzverbände die nächsten Jahre immer wieder aufs Neue gegen Neuerschließungen von Naturräumen vorgehen müssen und sind gezwungen, uns gegen den Skitourismus stellen. Dabei wäre die Energie besser investiert, gemeinsam über nachhaltige und naturverträgliche Lösungen zu sprechen – das geht aber nur mit einem klaren Moratorium für Neuerschließungen und einem unmissverständlich geregelten Schutz unerschlossener Räume.
- Dr. Tobias Hipp, DAV-Experte für Naturschutzverfahren, Klimawandel und Gletscher

Aus dem Grundsatzprogramm zum Schutz und zur nachhaltigen Entwicklung des Alpenraumes sowie zum umweltgerechten Bergsport

Zur langfristigen Sicherung aller Lebensgrundlagen in den Alpen bedarf es eines ganzheitlichen Denkens, das die einzelnen Bereiche wie Tourismus, Sport, Verkehr, Kultur, Klima, Artenschutz, Berglandwirtschaft etc. in einer übergeordneten Entwicklungs- und Raumplanung vernetzt. Deshalb müssen Planungen und Vorhaben stets sowohl kulturelle und soziale als auch ökonomische Aspekte berücksichtigen und natur- und umweltschutzspezifische Restriktionen respektieren. Instrumente dazu sind eine wirksame überregionale Raumordnung, die Alpenkonvention, das Schutzgebietsnetzwerk Natura 2000, der Artenschutz auf der Basis von Flora-Fauna-Habitat- und Vogelschutz-Richtlinie sowie weitere EU-Regelwerke wie etwa die Wasserrahmen- und die Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie und ihre nationalen Ergänzungen.

Den weiteren Ausbau der Skigebiete mit Anlagen zur künstlichen Schneeproduktion lehnt der DAV deshalb ab. Ergänzende Anlagen sind nur in bereits intensiv erschlossenen Skigebieten und unter Beachtung strenger Umweltauflagen vertretbar und dürfen nicht von der öffentlichen Hand gefördert werden.