Logo-DAV-116x55px

Der Umgang mit Angst im Leistungsbergsteigen

Eine Studie mit Bergsteigern des Expeditionskaders des Deutschen Alpenvereins

Die Angst ist im Extremsport eine wichtige lebenserhaltende Emotion. So soll in der vorliegenden Arbeit der Umgang mit dieser exemplarisch anhand des Extrembergsteigens untersucht werden. Dabei liegen die Erfahrung von Angst, der Umgang mit dieser und die Reflexion von Angst im Zentrum der Untersuchung. Außerdem wird der Einbezug von Reflexion als "Technik" nach Touren sowie gruppendynamische Aspekte im Rahmen des Förderprogramms „DAV Expeditionskader“ des Deutschen Alpenvereins e. V. untersucht.

Wissenschaft im DAV

Die Wissenschaft nahm im Deutschen Alpenverein im 19. und 20. Jahrhundert einen hohen Stellenwert in der Vereinsarbeit und -politik ein. Die Erschließung der Alpen war ungebrochen mit den Wissenschaften verwoben. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es sogar einen wissenschaftlichen Beirat, der 1910 vom wissenschaftlichen Unterausschuss abgelöst wurde. An die Arbeit des Unterauschusses anknüpfend entstanden in den 20er Jahren die sogenannten wissenschaftlichen Alpenvereinshefte, die bis nach dem Zweiten Weltkrieg zu bestimmten Schwerpunktthemen im Verein publiziert wurden. Bis in die 80er Jahre förderte der Deutsche Alpenverein sogar wissenschaftliche Arbeiten, die im Themenkreis des Alpinismus entstanden. Diese Tradition ging später verloren.

 

Heute gibt es vereinzelt Kooperationen mit der Wissenschaft, dabei ist das Thema Alpinismus in zahlreichen Fachbereichen gefragt wie selten zu vor. Zunehmend gibt es Forschungsarbeiten aus den Bereichen der Psychologie, Pädagogik, Sportwissenschaft und neuerdings auch aus den Sozialwissenschaften. Dabei lässt sich etwas Neues beobachten: nämlich eine Verschiebung des Interesses am Thema Alpinismus von den Naturwissenschaften hin zu den Humanwissenschaften.

 

Wie zeigt sich die Angst?

Es stellte sich heraus, dass die Angst um den Seilpartner sehr typisch für das Extrembergsteigen ist, aber auch häufig Angst um die eigene Unversehrtheit auftritt. Außerdem können Konkurrenzängste und Versagensängste in der Situation des Expeditionskaders auftreten. Ebenso wie in anderen Studien berichten auch hier die Interviewpartner, dass sie in einer Angstsituation sehr fokussiert sind und dadurch handlungsfähig bleiben. Körperliche Angstanzeichen werden dabei kaum erwähnt.

Die  Angst ist für die Bergsteiger wie auch in anderen Studien wichtig für die Entscheidungsfindung und ein Schutzfaktor. Ein positiver Effekt der Angstüberwindung für den Alltag wird in der Untersuchung zu Zweidrittel bestätigt. Auch beim akuten Umgang mit der Angst zeigen sich deutliche Parallelen zwischen den Ergebnissen dieser Studie und denen der Wissenschaftler Brymer und Schweitzer (2012): Erfahrung und Intuition spielen eine wichtige Rolle und es werden keine wissenschaftlichen Strategien genannt. Die angstauslösenden Situationen beim Extrembergsteigen sind sehr unterschiedlich. Auch zwischen einer Studie mit Mount Everest-Bergsteigern und dieser Studie sind ähnliche Ergebnisse auszumachen: Fokussierung tritt in diesem Zusammenhang als wichtigste Handlungsstrategie (auch Copingstrategie genannt) in Erscheinung, aber auch die Erfahrung und die Unterstützung durch andere Kletterer sind hervorzuheben.

 

Umgang mit Angst lernen

Es ist zu beobachten, dass die Bergsteiger der DAV-Ausbildungsprogramme bereits verschiedene persönliche Bewältigungsstrategien benutzen, die sich in ihren Aktionen bewährt haben, diese aber nicht systematisch ins Förderprogramm integriert werden. Daher wäre es sinnvoll, innerhalb einer möglichen Lehreinheit an diesen weiterzuarbeiten. Aufgrund der Begrenzung von Zeit und Budget, scheinen einfache Verfahren wie die in der Sportpsychologie verwendeten Biofeedbackmethode, Atementspannung und kognitive Verfahren am geeignetsten. Im Zentrum sollte dabei der Praxisbezug stehen.

 

Reflexion als wichtiges Handlungsinstrument

Keiner der Interviewpartner integriert eine regelmäßige, tiefergehende Reflexion in den Kletteralltag. Reflexion findet meist nur dann statt, wenn eine sehr kritische Situation auftrat. Auch in den Expeditionskadern findet keine regelmäßige Reflexion statt. Über Angst wird selten gesprochen, und wenn, dann nur zwischen einzelnen Teilnehmern.

Da es beim Bergsteigen schwierig ist, aus eigenen offensichtlichen Fehlern zu lernen, da die Konsequenzen dieser oft sehr schwerwiegend sind, würde es Sinn machen, eine regelmäßige Reflexion durchzuführen, um aus unscheinbaren Fehlern und Warnhinweisen zu lernen. In anderen Bereichen des Spitzensports werden regelmäßig sogenannte Briefings und Debriefings, Kurzbesprechungen vor einer Aktion und Nachbesprechungen im Nachgang, durchgeführt.

 

Auch im Extrembergsteigen wäre ein Debriefing nach jeder Klettertour sinnvoll. Dabei erfolgt unter anderem eine Distanzierung zum Erlebten, was die Regeneration fördert. Außerdem wird die innere Zufriedenheit durch das Verständlichmachen der Ereignisse verbessert. Es können Schlüsse für die Zukunft gezogen werden, wobei der Kletterer auch schon aus sehr kleinen Fehlern lernen kann. Es macht Sinn die Nachbesprechung nur mit den Teilnehmern durchzuführen, die auch wirklich zusammen unterwegs waren.  Da viele Kaderteilnehmer räumlich weit voneinander entfernt wohnen und eine sofortige Nachbesprechung aufgrund von Zeitmangel oder Erschöpfung eventuell schwierig ist, macht es Sinn, die Nachbesprechung per Mail oder Telefon durchzuführen.

 

Die Forschungsarbeiten von Hogg und Kellmann (2002) erläutern, dass in solchen Konstellationen ein Sechsstufenmodell sinnvoll ist: Zuerst werden Zeit, Ort und Anlass des Debriefings festgelegt. In der zweiten Stufe analysiert der Athlet zuerst sich selbst. Darauf wird eigenes und fremdes Feedback ausgetauscht. In der vierten Stufe geht es um mögliche Veränderungen und Handlungsalternativen und in der fünften Stufe findet ein Zielsetzungsprozess statt. In der letzten Stufe soll die Eigenkontrolle (auch Selfmonitoring genannt) verstärkt werden.

 

Möglichkeiten der Integration von Techniken im Umgang mit Angst in DAV-Ausbildungen

Wichtig bei der Implementierung wäre es, den Charakter des Bersteigens und der Bergsteiger zu beachten. So könnte eine zu stark von außen eingeführte und zeitintensive Maßnahme möglicherweise auf Widerstände bei den Bergsteigern stoßen. Trotzdem lohnt es sich, ein Briefing und Debriefing auch im Extrembergsteigen einzuführen, da es sich in anderen Sportarten bewährt hat und gerade bei dieser Sportart das Lernen aus sehr kleinen Fehlern sehr wichtig ist.

 

Mirko Breckner im Juni 2015

 

Wer mehr Einblick in die Forschungsarbeit erhalten möchte, kann sich die Zulassungsarbeit zum Staatsexamen von Mirko Breckner downloaden:  Angst_Bergsteigen_Breckner_kurz.pdf [638 kb] .

 

Mehr über Mirko Breckner

Mehr erfahren