Fluchtgepäck

Ein Kinderrucksack aus dem Sporthaus Schuster

1939 emigrierte der 18-jährige Peter Siegel nach England. Seinen Kinderrucksack aus dem Münchner Sporthaus Schuster bewahrte er bis an sein Lebensende auf

Sein Kinderrucksack erinnerte den aus Nazi-Deutschland emigrierten Juden Peter Siegel bis ins hohe Alter an die Heimat. Aus dem Nachlass von H. Peter Sinclair. Foto: DAV Archiv/Wolfgang Pulfer

Recht gewöhnlich und unauffällig sieht der oliv-bräunliche Rucksack aus. Die beiden Vordertaschen und der Deckel sind mit Leder eingefasst, die ledernen Tragriemen mit Filz unterlegt. Er verfügt über kein Traggestell und die Größe von 45 x 45 Zentimetern deutet darauf hin, dass es sich wohl um einen Kinderrucksack handelt. Der Rucksack wurde oft benutzt, das zeigen die abgenutzten Lederschnallen und seine leichte Verschmutzung. Was ist seine Geschichte?

Ein innen eingenähtes Firmenetikett gibt Auskunft, dass der Rucksack im Sporthaus Schuster, München, Rosenstraße 6 erworben wurde, daneben das Firmenlogo ASMÜ (August Schuster München). Im Archiv des Sporthauses Schuster findet man in den Sortimentskatalogen einen Kinderrucksack verzeichnet, der diesem Rucksack entspricht und sicher aus der Vorkriegszeit des Zweiten Weltkriegs stammt.

Wanderausrüstung oder Fluchtgepäck?

Der Eintrag in der Datenbank der Sachgutsammlung führt uns weiter. Der Rucksack stammt aus dem Nachlass H. Peter Sinclairs (27.02.1921 – 27.04.2010). Peter war der Sohn des angesehenen Münchner jüdischen Rechtsanwalts und ambitionierten Bergsteigers Dr. Michael Siegel, der schon 1924 gegen die Nichtaufnahme von Juden in den Alpenverein protestiert hatte. Nachdem Siegel gegen die Inhaftierung eines jüdischen Mandanten als Schutzhäftling in Dachau vorgegangen war, wurde er von SS-Truppen schwer misshandelt und öffentlich diffamiert.

Michael Siegel und seine Frau konnten 1940 nach Peru emigrieren, ihre beiden Kinder Peter und Maria Beate hatten sie schon 1939 vor der Verfolgung durch das NS-Regime nach England in Sicherheit bringen können. Dort änderte Peter seinen Familiennamen in Sinclair um. Ob Peter Siegel/Sinclair den Rucksack schon als Kind für Bergtouren rund um das von der Familie vielgeliebte „Häuserl“ am Walchensee bekommen hatte oder ihn auch benutzte, um sein Fluchtgepäck nach England zu transportieren, ist nicht genau zu belegen.

Offensichtlich hatte sich Peter jedoch Zeit seines Lebens nicht von dem Rucksack trennen können. Die freundschaftliche Verbindung der Familie Siegel zum Sporthaus Schuster reicht weit zurück. August Schuster war Mandant von Rechtsanwalt Michael Siegel, sein Sohn Gustl Schuster war Peters Jugend- und Schulfreund. Peter Sinclair war der Familie Schuster bis zu seinem Tod im Jahr 2010 freundschaftlich verbunden. Der Rucksack wird in der neuen Dauerausstellung des Alpinen Museums zu sehen sein.

 

Stephanie Kleidt, freie Ausstellungskuratorin