Geschichte des Antisemitismus im Alpenverein

Rechtsanwalt Dr. Moritz Bing (1875–1947) in den Westalpen. Er war seit 1906 Mitglied der Sektion Rheinland–Köln, die 1934 einen „Arierparagraphen“ einführte. Bing emigrierte mit seiner Familie 1938 in die Schweiz. Foto: NS-DOK Köln

Der Alpenverein war früh antisemitisch ausgerichtet. Nach einzelnen Ausgrenzungen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert agitierten Teile des Vereins insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg antisemitisch. Sektionen schlossen Jüdinnen und Juden aus oder nahmen sie nicht mehr auf. Im Jahr 1924 verabschiedete dann die Gesamtheit der Sektionen im Alpenverein, der Verband, den Ausschluss der vorwiegend jüdischen Sektion Donauland.

Seit Mitte der 1990er Jahre setzen sich der Deutsche Alpenverein, der Österreichische Alpenverein und der Alpenverein Südtirol intensiv mit diesem Teil ihrer Vereinsgeschichte auseinander. Sie legen dar, wie deutschnationale Ideen und Antisemitismus Fuß fassten und sich auswirkten, suchen nach Gründen und nehmen die Konsequenzen für die Ausgegrenzten in den Blick. Neben übergreifenden Untersuchungen von Außenstehenden und den Alpenvereinen selbst, fanden zahlreiche Aufarbeitungen in den Sektionen der Alpenvereine statt. Diese sind von besonderer Bedeutung, da der Alpenverein damals – wie heute seine Nachfolgevereine – eine föderale Struktur hatte. Die Sektionen positionierten sich in ihrem Verhältnis zu Jüdinnen und Juden unterschiedlich. Daher ergibt erst die Gesamtbetrachtung von Sektionen und Verband ein differenziertes Bild. 

Mit dieser Seite möchten wir einen Überblick über die bisherigen Forschungen geben und insbesondere den Zugang zu den vielfältigen Rechercheergebnissen der Sektionen erleichtern. Soweit verfügbar, wurden Links zu digitalisierten Texten und Angeboten eingefügt. Ein zusammenfassender Überblick sowie eine Einordnung in die kulturgeschichtlichen Hintergründe findet sich in diesem Text. Einen Vortragsabend anlässlich "1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland" mit Spitzenbergsportlern und hochrangigen DAV-Vertreter*innen gibt es hier im Stream:

Unsere Sammlung versteht sich als erster Aufschlag (Stand 02.11.2022). Wir bitten alle Leser*innen, uns auf weitere Literatur hinzuweisen beziehungsweise uns aktuelle Forschungsprojekte zu nennen.

Auswahl übergreifender Literatur

Alfred M. Müller. Geschichte des Deutschen Alpenvereins. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte des Vereinswesens. Münster (Westf.), Univ., Diss., 1979.

Die erste grundlegende Arbeit zur Entwicklung des Alpenvereins 1918–1945.

Link zum Volltext

Rainer Amstädter. Der Alpinismus. Kultur – Organisation – Politik. Wien, 1996.

Amstädter zeigt die Verankerung von nationalistischen, militaristischen und antisemitischen Diskursen im Alpenverein und ihre Auswirkungen auf.

Dagmar Günther. Alpine Quergänge. Kulturgeschichte des bürgerlichen Alpinismus (1870–1930). Frankfurt am Main, 1996.

Mentalitätsgeschichtliche Abhandlung über die Wertvorstellungen innerhalb der bürgerlichen alpinistischen Bewegung.

Martin Achrainer, Nicholas Mailänder. Der Verein. Köln, 2011.

Grundlegende Darlegung der Geschichte des Alpenvereins seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert mit Schwerpunkt auf der Verankerung und Entwicklung deutschnationaler und antisemitischer Ideen und Strukturen im Verein sowie der Kollaboration mit dem NS-Regime.

In: Deutscher Alpenverein, Oesterreichischer Alpenverein, Alpenverein Südtirol (Hg.). Berg Heil! Alpenverein und Bergsteigen 1918-1945. Köln, Weimar, Wien 2011, S. 193-318. Link zum Volltext

Stefan Ritter, Friederike Kaiser, Stephanie Kleidt, Maximilian Wagner. Kontinuitäten. Der Deutsche Alpenverein nach 1945. München, 2019.

Nachkriegsgeschichte des Deutschen Alpenvereins, in der unter anderem das Fortleben der antizivilisatorischen, ausgrenzenden Mentalitäten vor 1945 und das fehlende Unrechtsbewusstsein gegenüber dem Antisemitismus deutlich wird.

In: Deutscher Alpenverein (Hg.). Die Berge und wir. 150 Jahre Deutscher Alpenverein. München 2019, S. 180-191. Link zum Volltext

Friederike Kaiser, Max Wagner. „Die uns umgebenden, unsichtbaren, aber um so mehr fühlbaren Ghettomauern.“ Antisemitismus im Alpenverein. Onlinepublikation, 2020.

Überblick über die bisherigen Forschungen und ideologischen Grundlagen des Antisemitismus im Alpenverein. Link zum Artikel Antisemitismus im Deutschen Alpenverein

Selbstzeugnisse und Literatur über Betroffene

Martin Achrainer. Die Idee Donauland. Freie Bergsteiger in freien Bergen. Innsbruck, 2021.

In: Alpenvereinsjahrbuch Berg 2021, S.188–193. Link zum Volltext

Georg Franz Bergmann. Der arische Alpenverein. München, 1924.

In: Das Jüdische Echo Nr. 30, 25.7.1924, S. 183 ff. Link zum Volltext

Charlotte Knobloch. Der jüdische Blick auf die Berge. Skript zu einem Vortrag im DAV, Mai 2022.

Vortrag gehalten von Charlotte Knobloch am 11. Mai 2022 auf der Veranstaltung "Jüdische Bergsteiger*innen: Bewundert, ausgegrenzt und verleugnet". Link zum Vortrag

Hanno Loewy, Gerhard Milchram (Hg.). „Hast Du meine Alpen gesehen?“ Eine jüdische Beziehungsgeschichte. Hohenems, 2009.

Sammelband zur gleichnamigen Ausstellung mit zahlreichen Zeugnissen von Jüdinnen und Juden sowie Aufsätzen u. a. zum Kletterer Paul Preuß und Donauland-Mitglied Joseph Braunstein. Link zur Ausstellung

Joachim Schindler. Dr. Walter Bing (1891–1980). Chronik und Dokumentation eines außergewöhnlichen Lebens. Dresden, 2022.

Deutscher Alpenverein und Oesterreichischer Alpenverein (Hg.). Ausgeschlossen. Jüdische Bergsportler und der Alpenverein. o. O., 2012.

Broschüre des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins. Link zum Volltext

Walter Kissling. „Ob Jude oder Christ, ob Hoch oder Nieder – wir wollen nur nach dem Menschen sehen.“ Bruchstücke für eine Geschichte des Wiener Alpinvereins „Donauland“ 1921–1938 und 1945–1976. Wien, 2011.

In: Heinrich Berger et al. Politische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert. Wien, 2011. Link zum Volltext

Sektionsrecherchen

Sektion Aachen

Ingbert Babst. Zwischen Kaiserstadt und Konzentrationslager. Jüdische Alpenvereinsmitglieder in der Sektion Aachen. Aachen, 2008. Link zum Volltext

Sektion Augsburg

  • Ulrich Kühnl, Nora Held. "Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft". Eine ungekürzte Dokumentation unserer kritischen Traditionslinien. Augsburg, 2019. Link zum Volltext

  • Florian Pressler, Bernd Wißner. Edelweiß und Hakenkreuz: 1933–1945. Augsburg. Link zum Volltext

  • Florian Pressler, Bernd Wißner. Jahre des Umbruchs: 1919–1929. Augsburg. Link zum Volltext

Sektion Bayerland

  • Walter Welsch. Geschichte der Sektion Bayerland des Deutschen Alpenvereins e.V.

  • Band 1: Von der Gründung der Sektion bis zum Ersten Weltkrieg 1895–1914. München, 2018. Link zum Volltext

  • Band 2: Die Zeit des Ersten Weltkrieges und der Weimarer Republik 1914–1933. München, 2010. Link zum Volltext

  • Band 3: Die Zeit des Dritten Reiches 1933–1945. München, 2013. Link zum Volltext

  • Band 4: Die Ära Fritz Schmitt. München, 2008. Link zum Volltext

Sektion Berlin

Klaus Kundt (Hg.). Die Geschichte der Berliner Bergsteiger bis 1945 : Erfolge, Intrigen, Intoleranz. Berlin, 2008/2009, erschienen in zwei Teilen.

Sektionen Dresden und Sächsischer Bergsteigerbund

Joachim Schindler. Chronik zur Entwicklung des Antisemitismus in touristischen Organisationen, zum Ausschluss der Alpenvereinssektion „Donauland“ aus dem DuÖAV, zur nationalsozialistischen Gleichschaltung des Bergsportes, zum Schicksal jüdischer Bergsteiger sowie zum Widerstand von Wanderern und Bergsteigern gegen den Nationalsozialismus in Sachsen. Manuskript, Dresden, 2022. Link zum Volltext

Sektion Frankfurt am Main

Auf der Webseite präsentiert die Sektion Frankfurt ihre Rechercheergebnisse zu ehemaligen Mitgliedern der Sektion Frankfurt am Main, die während der NS-Zeit als Jüdinnen und Juden verfolgt wurden: Spurensuche Nationalsozialismus - Ein Projekt der Sektion Frankfurt am Main des Deutschen Alpenvereins

Sektion Freiburg im Breisgau

Friedrich Kluge (Hg.): Zur Geschichte der Sektion Freiburg im Breisgau des Deutschen Alpenvereins in den Jahren 1933–1945, Freiburg, 2007 – erschienen als Band 2 der Reihe "Veröffentlichungen der Sektion Freiburg-Breisgau des Deutschen Alpenvereins". Link zum Volltext

Sektion Hamburg

Karin Thomsen. Zur Entwicklung der Sektion Hamburg und Niederelbe e.V., insbesondere der Umgang mit ihren jüdischen Mitgliedern. Hamburg, 2015. Link zum Volltext

Sektion Hochland

Alois Mittermaier. Erinnerungen an einen verdienstvollen Hochländer – Ignaz Stiefel.

In: Jahresbericht 2019 der Sektion Hochland, S. 12–13. München, 2019. Link zum Volltext

Sektion Karlsruhe

Susanne Schätzle. Spurensuche – Vereinsgeschichte der Sektion Karlsruhe. Karslruhe, 2012.

Auf den Seiten 24–26 widmet sich das Kapitel "Antisemitismus im Alpenverein" einzelnen jüdischen Mitgliedern der Sektion. Link zum Volltext

Sektion Kassel

  • Andreas Skorka. Dr. Otto Heß: Ein jüdischer Bergsteiger in unserer Sektion. o. O., 2012. Link zum Volltext

  • Andreas Skorka. Die Sektion Kassel in der Donaulandaffäre. Kassel, 2012. Link zum Volltext

Sektion Nürnberg

Maximilian Wagner. Mit Berg-Heil und Heil Hitler. Die Sektion Nürnberg und der Nationalsozialismus. Nürnberg, 2019. Link zum Volltext

 

Sektion Ravensburg

Markus Braig. Eine Geschichte der Ausgrenzung Link zum Volltext

Sektion Regensburg

Julia Kohl. Zwischen Alpinismus und politischer Ideologie. Die Sektion Regensburg des DAV von 1870 bis 1950, Masterarbeit Universität Regensburg, 2019

Sektion Rheinland-Köln

André Postert, Reinhold Kruse (Hg.). Wer Mitglied werden will, muss arischer Abstammung sein. Der Antisemitismus in der Sektion Rheinland-Köln des Deutschen Alpenvereins. Köln, 2015. Link zum Volltext

Sektion Schwaben

  • Dieter Angst. Zum dunkelsten Kapitel der Alpenvereinsgeschichte. Die Schicksale der jüdischen Mitglieder der Sektion Schwaben in den Jahren 1933 bis 1945. o.O., 2008. Link zum Volltext

  • Wilhelm Schloz: Aus der Geschichte der Sektion Schwaben in der Zeit von 1933 bis 1945. In: Schwaben Alpin 4, 2021, S. 36–41 Schwaben_Alpin_0421_web.pdf (alpenverein-schwaben.de)

  • Erinnerungsorte in Stuttgart für ehemalige Mitglieder. Die Webseite zeigt Erinnerungsorte in Stuttgart für ehemalige Mitglieder der DAV-Sektion Schwaben, die wegen ihrer jüdischen Herkunft Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden. Recherche und Text: Wilhelm Schloz, Mai 2022